Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Montag, 2. Januar 2006

Begegnungen

Ich weiß nicht, wie viele persönliche Kontakte ich bisher zu Büchern hatte, denn ich zählte sie nicht, aber es reicht um zu behaupten, dass die Begegnung mit Büchern den Begegnungen mit Menschen nicht unähnlich ist. Da gibt es welche, die viel zu erzählen haben und solche, die nur wenig preisgeben. Einigen lauscht man gerne, bei anderen hingegen unterdrückt man krampfhaft das Gähnen, um nicht unhöflich zu erscheinen. Manche verhelfen einem zu neuen Aha-Erlebnissen und Erkenntnissen, wieder andere hinterlassen nur einen stumpfsinnig trüben Blick. Und dann gibt es da noch diese ganz besonderen Bücher. Die Feststellung, dass sie etwas ganz besonderes sind, trifft man spätestens dann, wenn man sich mit leuchtend-glänzenden Augen und einem Lächeln auf den Lippen beim Lesen ertappt, während man in seinem Bauch so ein angenehm warmes Prickeln und ein so aufregendes Kitzeln verspürt, dass man gar nicht mehr stillzusitzen vermag, sondern das Buch in seinen Armen wiegend vor Begeisterung und Freude tanzen möchte. Spätestens dann weiß man, dass man unerwartet von Amor's Pfeilen getroffen wurde und sich verliebt hat - in ein Buch. Oder in einen Menschen.

So ein Buch, das einen zu überraschen, zu inspirieren und zu begeistern vermag, ist schwer zu finden. Man begegnet im Leben nur ganz wenigen davon. Wenn man so eines gefunden und einen beschwingten Flirt mit ihm begonnen hat, möchte man es am liebsten gar nicht mehr lassen, ja, sogar mit Bedauern strebt man der letzten Seite entgegen, ohne sich jedoch in Zaum halten zu können, bis auch das letzte Blatt sich wendet und wir schließlich das Erlebte mit einer kleinen Traurigkeit im Herzen noch einmal Revue passieren lassen. Diese Trauer ist nicht unberechtigt, denn jetzt beginnt der Ernst des Lebens. War dieser euphorisierende Flirt nur ein kurzer Rausch? Ein rasch heruntergebranntes Strohfeuer? Oder könnte daraus noch eine lange und tiefe Freundschaft werden? In der Regel wird man bemerken, dass viele Bücher, die einen beim ersten Lesen noch so sehr zu begeistern vermochten, beim zweiten Lesen ihren Reiz verloren haben. Es sei denn, man entdeckt an ihnen eine ganz neue Facette, etwas, das einem beim ersten stürmischen Lesen noch nicht aufgefallen war. In den Tiefen so mancher Zeile schlummert dann plötzlich einen Zauber, der einem in der anfänglichen feurigen Glückseligkeit entging und nun den Atem stocken läßt, ein Zauber, den man unbedingt weiter ergründen möchte. Wenn das so ist, dann hat man das große Los gezogen, denn nun ist die Chance groß, dass man sich auch auf Dauer nicht miteinander langweilen wird.

Und das Wunderbare an der Sache ist, dass man vorher nie weiß, aus welchem Topf man dieses Los ziehen wird, denn keine Kategorisierung, Zuordnung oder Kritik kann letztendlich garantieren, wem unser Herz gehören wird. Sei es der Klassiker, die gute Literatur, das preisgekrönte Werk oder der Schundroman und der verrissene Thriller. Auch wenn wir glauben, das eine zu wollen, ist es manchmal das andere, was uns begeistert. Ganz wie im richtigen Leben - da glaubt man, sich zwecks Nestbau und Familiengründung in den hochgebildeten und vermögenden Harvard-Absolventen und Golfspieler aus adeligem Hause verlieben zu wollen und bleibt bei dem kiffenden Punk hängen, der einem in zärtlicher Fürsorge das gut gekühlte Bier ans Bett reicht, seine letzte Sicherheitsnadel für das Hochzeitskleid aus der Altkleidersammlung opfert und die Braut einschließlich der Trauzeugen in den Flitterwochen in eine herrschaftsfreie und nicht-kapitalistische Großkommune entführt.

...

Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als ich heute morgen aus der Haustür trat. Nicht nur, dass es immer noch nach Qualm stank, die Straße selbst sah aus, als hätte eine Bombe in großes Müllauto eingeschlagen. Direkt vor der Bushaltestelle stolperte man über meterweise leere Kartons und Pappen, in denen Silvesterfeuerwerk transportiert worden ist, sowie über leere Sektflaschen und diversen anderen Müll. Als der Bus kam, musste man sich erst durch diese Müllkippe hindurchfädeln, ohne irgendwo drauf zu treten, denn das Zeug lag ungelogen überall. Wenn ich einen Fotoapparat dabei gehabt hätte, hätte ich ein Bild davon gemacht, denn ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich habe zwar schon einige Silvester miterlebt, aber so etwas noch nie. Ich war richtig erschrocken. Nicht einmal bei der Loveparade habe ich so viel Müll gesehen.
In der U-Bahn erfuhr ich dann über den Info-Bildschirm, dass die Feuerwehr dieses Jahr zu Silvester "nur" 245 Brände in der Stadt löschen musste. Das ist ein fünftel weniger als sonst. Trotzdem hat mich diese Zahl überrascht, denn bisher war mir nicht bewußt, dass es zu Silvester tatsächlich so oft brennt.
Ich nehme ja an, dass der Müll inzwischen von der Straßenreinigung geräumt wurde, wenn ich nach Hause komme. Und ich wage gar nicht darüber nachzudenken was wohl wäre, wenn die ausgerechnet heute streiken würden.