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Donnerstag, 11. Mai 2006

Die Geschichte ohne Titel - Teil 1

Eigentlich habe ich mich wohlweislich aus all den Fortsetzungsgeschichtenschreibereien rausgehalten, um mich in Ruhe den wichtigeren Dingen widmen zu können, aber nun hat mich das um sich greifende Virus doch infiziert. Und da ich hoffe, mich bald in eine Sommerb(l)aupause begeben zu können, wurden sämtliche guten Vorsätze von mir über Bord geworfen. Die Geschichte hat noch keinen Titel, aber Vorschläge sind jederzeit willkommen.


In einem blechdachbewehrtem Haus mit blinkenden Zinnen, hinter den sieben Bergen und jenseits der sieben Brücken, unter nördlicher Sonne nur 28°05’15“ entfernt vom Wendekreis des Krebses, wo der Polarstern, welcher ebenfalls Polaris oder Nordstern genannt wird, der äußerste Stern an der Deichsel des Sternbildes Kleiner Wagen, oder auch an dessen Handgriff, wenn man in dem Wagen eine Schubkarre erkennen möchte, einen Winkel von 50°21'' zum topozentrischen Horizont bildet, genauer gesagt unter den Koordinaten 13° 24' 11'' östlicher Länge und 51° 31' 15'' nördlicher Breite, da, wo man Zwerge kacken und Mauersegler kreischen hören kann, lebte und schlief eine junge Frau vier Stockwerke hoch über einer großen Stadt. Die helle Frühlingssonne hatte sich gerade einen schmalen Spalt zwischen den schweren Gardinen gesucht und blinzelte neugierig in das Zimmer hinein. Was sie sah, befremdete sie. Hohe Stapel von Büchern türmten sich an den Wänden entlang unordentlich auf und das Dach war anscheinend undicht, wie ein brauner Wasserfleck an der Decke bezeugte, was dem Zimmer aber keineswegs den Charme der Dachstube des armen Poeten verlieh. „Die arme Kleine“, dachte die Sonne, „kann sich noch nicht mal ein anständiges Bücherregal leisten.“ Dann kitzelte sie mich an der Nase – der treue Leser, der mir bis hierher auf dem beschwerlichen Weg gefolgt ist, wird sicher schon längst vermutet haben, dass es sich bei der jungen Frau um keine andere als mich selbst handeln kann – und mein Blick fiel schläfrig auf den Riss in der fleckigen Tapete, welcher sich wie der Ableger eines riesigen Mangrovenbaumes über die Wand hin zog. Hinter der Tapete rieselte es leise, als ich den großen Zeh unter der Bettdecke hervorreckte und vorsichtig mit ihm gegen dieselbe stupste.
„Ich muss was tun!“ fuhr es mir durch den Kopf. Dann seufzte ich noch einmal tief und sprang hastig aus den Federn. Weniger als eine Stunde nach einem schnellen Frühstück, bestehend aus süßem Rosinenbrot mit Butter und dem obligatorischen Multivitamin-Nährstoff-Trunk mit Gelee Royale, grünem Weizengras-Extrakt, Lecithin, Shiitake-Pilz-Extrakt, Möhrensaft, Rote Beete-Saft, Bierhefe, Aloe-Vera-Saft und vielen anderen wohlschmeckenden Zutaten, fand ich mich im örtlichen Baumarkt wieder.
Anfangs noch ziellos, irrte ich mit ungestümem Wagen durch hallenhohe Regale und bestaunte die Vielzahl der Möglichkeiten, die sich mir auch ohne ein schwedisches Möbelhaus auftaten. Bald erlangte ich die Orientierung zurück und als ich ausgiebig zwischen Gartenzubehör, Badeinrichtung, Schneidbrennern und sonstigen Werkzeugen, deren Zweck und Anwendung mir gänzlich fremd und unbekannt waren, gestöbert hatte, lud ich ein, was ich zu benötigen glaubte – Tapetenrollen, Leim, Wandfarbe, Gipsspachtel und einiges mehr. Dabei bemerkte ich ein elegantes ahornfarbenes Wandbord, das ebenfalls zum Verkauf angeboten wurde. Die klare Form kombiniert mit der kühl-distinguierten Farbe überzeugte mich und ich beschloss, dass sich meine Bücher ausnehmend gut darauf machen würden, auch wenn es bei weitem nicht für alle literarischen Werke ausreichen würde. Um den Kauf eines richtigen Regals kam ich nicht herum. Vollbepackt, meine Neuerwerbung in schützender Umarmung haltend, gelangte ich wieder nach Hause und stimmte mich auf das Abenteuer Renovierung ein.

Das erste Problem, das sich mir in den Weg warf, war das der Bekleidung. Irgendwo mussten doch noch ein paar alte Turnschuhe und abgetragene bequeme Klamotten zu finden sein, nur wo? Konsequenterweise folgte ich der Spur, welche in meinen Kleiderschrank führte, und mit wenigen Handgriffen hatte ich sämtliche Frühjahrs-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektionen um mich herum auf dem Fußboden ausgebreitet, gefolgt von dreißig Paar Schuhen vielfältigster Konstruktion, von denen ich einige infolge arbeitschutztechnischer Bedenken sofort von der Benutzung für angedachte Zwecke ausschloß. Schließlich schälte ich mich in ein baumwollrippenes Unterhemd, geringelte Leggins, die vor zwanzig Jahren äußerst hip gewesen waren und deren Ringel damals beileibe noch nicht so breit ausfielen wie heute und mich wie ein schwangeres Zebra aussehen ließen, sowie ausgelatschte Textil-Sneaker. Das restliche Zeug stopfte ich schnell wieder in den Schrank hinein, um freie Bahn zu haben.
Glücklicherweise befanden sich nicht sehr viele Möbel im Zimmer, so dass ich alles bald von der Wand abgerückt, in der Zimmermitte aufgebaut und mit Folie abgedeckt hatte. Die Bücher stapelte ich vorsorglich in den Korridor um. Sollte der Postbote ruhig sehen, wie hochgradig intellektuell ich war, wobei ich das literarisch wertvolle Werk „Die Glut der Leidenschaft“, welches wahrscheinlich einige Analogien zu Bloom’s (Anmerkung der Verfasserin: Hauptfigur des Romans „Ulysses“ von James Joyce) „Die Süße der Sünde“ aufweisen dürfte, wohlachtsam mit dem Buchrückentitel zur Wand kehrte. So vorbereitet hatte ich mich gerade auf die oberste Sprosse der altersschwachen Leiter begeben um die Tapete einzuweichen, als das Telefon klingelte.