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Donnerstag, 18. Mai 2006

Die Geschichte, die NICHT "Freibeuter des Herzens" heißt - Teil 4

Albert von der Taubeninsel entstammte einer Dynastie von Piraten, die auf den gefürchteten Ferdinand den Seebeuter zurückging, welcher genau vor 317 Jahren am höchsten Mast eines Dreimastschoners von seiner Mannschaft aufgeknüpft worden war. Nichtsdestotrotz hatte er zu diesem Zeitpunkt schon ein erkleckliches Sümmchen beiseite geschafft, dessen Aufbewahrungsort er nur an eines seiner Kinder weitergegeben hatte, von denen es jedoch noch viele mehr an jedem Ende der Welt gab. Und während die meisten anderen der ehrenwerten Tradition ihres Vaters und der Freibeuterei folgten, spazierte Karl, der Sohn Ferdinands mit einer polnischen Dienstmagd, einundzwanzigjährig auf einen großen Raddampfer, um sich mitten im sumpfigen Delta der Spree eine kleine Insel zu kaufen und eine herrschaftliche Villa darauf zu errichten. Diese Insel, die Taubeninsel, ist nur den wenigsten Leuten bekannt, ganz im Gegensatz zu der Pfaueninsel, einem beliebten Ausflugsort, und versteckt sich hinter einem undurchdringlichen Wald aus alten Eichen. Kaum einer hat sie je betreten.

Versonnen beobachtete ich den neuen Gast und vermeinte das kühn geschwungene Profil eines Piraten in seinen Zügen zu erkennen, was natürlich völliger Unsinn war, da er ja gar nicht dieser Linie abstammte. Sehr bald wurde ich dann auch aus meinen Träumereien gerissen, weil Tante Bärbel mit mir plaudern wollte.

„Was machen dein Bruder und seine neue Freundin?“

„Denen geht es gut.“

„Ich habe gehört, seine neue Freundin, wie heißt sie doch – Gunhilde, soll ein wenig eigenartig sein?“ Ihre Augen funkelten lüstern.

„Wie kommst du darauf?“

„Na, deine Mutter hat überall erzählt, sie hätte schon nach drei Wochen des Kennenlernens seine dreckige Wäsche in ihrer Waschmaschine gewaschen.“

„Ach weißt du, sie fand es vorher ebenso merkwürdig, als die damalige Freundin jahrelang seine Wäsche NICHT gewaschen hat. Ich glaube, das hat nicht viel zu sagen.“

Insgeheim fragte ich mich, nach welcher Zeitspanne es wohl gesellschaftlich akzeptiert und nach welcher sogar gesellschaftlich gefordert wird, die dreckige Wäsche seines Liebhabers zu waschen.

Um mich herum war die Stimmung genau wie der Lautstärkepegel rapide angestiegen, denn nicht nur ich hatte kräftig mit alkoholischen Getränken desinfiziert. Die alten Leute - Bekannte, Freunde und Geschwister meiner Tante -, die vor zwei Stunden noch relativ still ihren Kuchen zermatscht hatten, wurden mopsfidel, wie man so schön sagt. Einige verlangten lautstark nach Musik und eine Vinylplatte mit Gassenhauern aus den zwanziger Jahren wurde aufgelegt.
Schon bei „Am Sonntag will mein Süßer mit mir Segeln geh’n“ schunkelten die ersten lustvoll auf ihren Stuhlkanten mit und summten pianissimo im Takt. Zur Melodie „Das ist die Berliner Luft“ grölte schließlich die ganze Runde entfesselt mit und hämmerte mit den Fäusten im Rhythmus auf den Tisch, dass die Wände wackelten. Der famose Ex, dem wohl mein sowohl amüsierter wie auch fassungsloser Blick nicht entgangen war, zwinkerte mir vergnügt zu. Und spätestens als die Zeilen „Die ganze Welt ist wie verhext. Veronika, der Spargel wächst.“ erklangen, hatte sich das kleine Zimmer in einen Hexenkessel verwandelt, in welchem Onkel Gustav Tante Sieglinde auf den noch immer drallen Hintern klapste, während Onkel Herrmann, ihr Mann, süffisant grinste und Tante Helga das Knie tätschelte, ohne dabei zu vergessen, auch Tante Barbara mit einigen Spritzern Sekt in ihr hasenpelz-geschmücktes Dekollete zu beglücken, welche daraufhin kokett kreischte. Tante Bärbel hingegen lachte lauthals und ließ ihre Brüste unter dem Strickpullover undefinierbarer Farbe im Takt zur Musik mithüpfen.

Nicht nur die Leidenschaften kochten, auch die Luft im Wohnzimmer war siedend heiß, zumindest schien es mir so. Mein Gesicht glühte und auch meine Zunge wollte mir nicht mehr so recht gehorchen. Gerade schunkelte die versammelte Mannschaft ausgelassen Busen an Busen zu „Püppchen, du bist mein Augenstern. Püppchen, hab dich zum Fressen gern...“ als ER sich neben mich auf die Sofakante setzte und fragte, ob ich auch Lust auf ein bisschen Abkühlung hätte.
Natürlich hatte ich das! Und so ließ ich mich nicht lange bitten und folgte ihm in die kaum merklich kühlere Küche, wo wir uns ein kaltes Mineralwasser eingossen.

„Sodom und Gomorrha.“ lachte er.

„Ja, unglaublich!“ antwortete ich und lachte zurück.