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Dienstag, 19. Juni 2012

Nur nette Leute heute.

So viel Freundlichkeit bin ich gar nicht mehr gewohnt, wenn man sonst wochenlang angezickt oder ignoriert wird, deshalb fällt es auch sofort auf. Sogar in meinen Träumen bekomme ich seit zwei Tagen nur noch Komplimente, Belobigungen und Belohnungen. Meinetwegen kann das so weiter gehen. Was ist passiert? Vielleicht liegt es ja einfach daran, daß ich mich dem Internet ferngehalten habe. Im realen Leben sind die Leute generell höflicher, warum auch immer. Wahrscheinlich ist das wie beim Autofahren. Wenn man als Autofahrer im Wagen sitzt, fühlt man sich sicher und geschützt genug, um andere Verkehrteilnehmer wie Rumpelstilzchen anzugiften, es gibt psychologische Untersuchungen darüber. Wenn man jemandem ohne Blechpanzer gegenübersteht, ist das schon schwieriger. Und auch andere Dinge sind im realen Leben einfacher. Die Leute, die einem etwas zu sagen haben, die reden auch mit einem und schauen idealerweise ins Gesicht, während die, die mir nichts sagen wollen, es eben lassen, aber dabei in der Regel trotzdem noch die üblichen Höflichkeitsformen einhalten. Keine dubiosen unspezifischen Botschaften, von denen man nicht weiß, ob man sich angesprochen fühlen soll oder nicht. Von daher haben solche Abstinenzen immer einen angenehm ausgleichenden Einfluß, bevor man sich wieder in die Höhle der freien Meinungsäußerung und des Identitätenkarnevals begibt. Die Erdbeerfrau an der Ecke ist dieses Jahr eine besonders Nette, da kauft man gleich doppelt so gerne. Die gigantischen Riesenerdbeeren habe ich diesmal aber nicht auf einen Kuchen gelegt, sondern gleich in den Magen sortiert.

Erdbeeren

Bei der Zahnärztin ließ ich mal eben knapp 370 EUR und bei der Blumenfrau rettete ich zwei Tomatenpflanzen vor dem sicheren Tode, denn die preislich heruntergesetzten und schon in die Höhe geschossenen Stauden standen in knochentrockener Erde, während alle anderen Pflanzen gegossen waren. Vermutlich meinte man, die stehen gelassenen Tomatenpflanzen sind des Wassers nicht mehr wert. Immerhin sind an einer schon zwei Tomaten dran, so daß ich, sollten sich die beiden nicht mehr wirklich dauerhaft aufpäppeln lassen, zumindest diese zwei Tomaten noch ernten kann. Und wie ich finde ist mein Balkon jetzt gut als Schmetterlingsbiotop präpariert:

Balkon

Meine (inzwischen ehemalige) Mitpatientin erzählte mir danach von ihrer Kur. Anscheinend sind diese Kuren heutzutagen wortwörtliche Hungerkuren, denn sie hat es nicht geschafft, zum Mittagessen eine zweite Kartoffel zu bekommen. Es gab generell nur eine Kartoffel (mit wenig Gemüse und Fleisch) und als sie beim Kantinenpersonal den Wunsch äußerte, eine Kartoffel mehr zu erhalten, war man voll Unverständnis und Empörung (natürlich nur beim Personal - die anderen Gäste hätten auch gerne mehr gehabt, trauten sich aber nicht, etwas zu sagen). So etwas habe man noch nie gehabt und da müsse man erst die Chefin fragen, womöglich erst noch einen Antrag ausfüllen. Schließlich dachte sie sich, die können mich kreuzweise, und hat sich mit einer Kartoffel zufrieden gegeben. Da ich mit ihr öfters gegessen habe, weiß ich, daß sie ganz normale Portionen isst, deshalb glaube ich ihr das. Wenn ich daran denke, daß ich gestern abend zehn Pellkaroffeln verputzt habe (allerdings ohne Beilagen, nur mit Butter), ist mir klar, daß ich mit einer Kartoffel auch am Hungertuch nagen würde. Vor allem bei Krebspatienten wundert mich das, weil bei denen ja Diäten normalerweise nicht indiziert sind. Desweiteren klagte sie, daß ihre Familie diese Müdigkeits- und Schwächeattacken nicht nachvollziehen könne und sie immer mit ihrer eigenen Müdigkeit vergleichen, obwohl es sich ganz anders anfühlt als eine normale Müdigkeit. Das kenne ich nur zu gut, ich glaube, jemand, der das nicht am eigenen Leib erlebt, kann es sich ganz einfach nicht vorstellen. Das ist genauso wie mit den Rückenschmerzen. Da nervt es gewaltig, wenn man sich mit einem Bandscheibenvorfall wochen- und monatelang zur Arbeit schleppt und dann von der Chefin zu hören bekommt, sie verdrehe sich beim Schlafen auf dem Bauch manchmal den Hals und hätte dann auch einen ganzen Tag Schmerzen. Aber vor zwanzig Jahren hätte ich mir selbst noch nicht vorstellen können, daß es Rückenschmerzen gibt, mit denen man vorm Waschbecken kniet. Das ist blöd und man kommt sich manchmal ziemlich mißverstanden vor, aber so ist das nun mal. Ein jeder wird erst durch Erfahrung klug.