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Samstag, 2. Juli 2016

Abschiede

Die Tauben sind weg und machen nur noch selten mal am frühen Morgen einen Abstecher zum Balkon. Zumba ist vorbei oder wie schon die weisen Alten wußten: Ist die wilde Raubmaus aus dem Haus, tanzt die Stubenkatze nicht mehr auf dem Tisch. Und ein Abschiedsbrief, den ich eigentlich nicht schreiben möchte, liegt mir schwer im Magen. Denn was schreibt man jemandem, der stirbt? Eine Bekannte meiner Eltern, die in diesem Jahr achtzig Jahre alt geworden ist und mir aus den vielen feucht-fröhlichen "Schneegestöber"-Nächten bei uns zu Hause selbst gut bekannt ist, wirkte bisher immer noch sehr agil und gesund. Im Frühjahr ging sie wegen Bauchbeschwerden zu ihrer Hausärztin. Diese schickte sie ins Krankenhaus, weil eine Gallengangsreinigung gemacht werden sollte. Bei der Gallengangsreinigung wurde ein Tumor gefunden und es hieß, es müßte eine Op stattfinden um abzuklären, ob der gut- oder bösartig ist. Der Bauch wurde aufgemacht und gleich wieder zu, weil alles bereits voller Metastasen war. Seltsamerweise fanden sie aber keinen Ursprungstumor. Sie haben sie auf den Kopf gestellt, aber diesen nicht gefunden. Das wundert mich ein bißchen, weil ich glaubte, daß man an den Zellen der Metastasen feststellen kann, aus welchem Organ diese stammen. Sie haben ihr gesagt, sie soll in ein Hospiz gehen. Das will sie aber nicht. Sie hat stattdessen einen ambulanten Hospizdienst, ist jetzt aber dabei, Dinge aus ihrem Besitz als Andenken zu verschenken. Ich wurde von ihr mit zwei handgetöpferten Schalen eines Künstlers bedacht. Daß mich das auf besondere Weise betroffen macht, die mir die Worte verschlägt, liegt vielleicht daran, daß ich auf doppelte Weise betroffen bin und mich selbst wie in einer Warteschleife fühle. Sie dagegen nimmt es relativ gelassen. Da sie in den letzten acht Jahren um ihren Mann getrauert hat, nimmt sie es anscheinend als eine Art Familienzusammenführung und sagt immer: "G. ruft mich." Außerdem ist sie sehr gläubig, zumal ihr Mann Theologe und der Studienfreund meines Vaters an der Theologischen Fakultät war. Ich persönlich habe dazu eine ganz andere Meinung. Solch ein Siechtum würde ich noch nicht einmal meinen Feinden wünschen, geschweige denn den Menschen, die ich liebe. Deshalb würde ich auch nicht davon ausgehen wollen, daß mir von einem geliebten Menschen so etwas zugemutet wird. Aber dies werde ich ihr natürlich nicht schreiben. Mich kotzt diese Krankheit einfach nur an. Vielleicht liegt es daran, daß ich so sensibilisiert dafür bin, daß ich alles inzwischen wirklich wie eine Epidemie empfinde. Jedenfalls finde ich nicht mehr normal, was ich um mich herum wahrnehme. Für jeden kleinen Virus wird ein riesiger Aufwand betrieben, um mit Impfstoffen den Reibach zu machen, aber hier passiert nichts, absolut nichts. Da stimmt doch etwas nicht.