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Samstag, 12. November 2016

Tanzen ist Risiko

Nachdem ich stundenlang umsonst versuchte, den neuen Duschgleiter und -stange irgendwie auseinander zu bringen, schmiß ich stattdessen die alte Stange mit Gleiter in eine Lauge aus Gardinenweiß und hoffte, daß sie davon wieder weißer wird. Das war nur sehr minimal der Fall und auch die abgeplatzten Kanten repariert das nicht, aber dafür ist sie jetzt porentief sauber bis unter jedes Gummi. Und so habe ich nun die 20 Jahre alte Stange wieder befestigt. Dann bleibt sie halt die nächsten 20 Jahre auch noch dran, bzw. so lange sie den Duschkopf am richtigen Platz hält, egal wie alt und kaputt sie aussieht. Ich werde kein Geld mehr herausschmeißen für etwas neues. Und ich zeige dem Schrott den Mittelfinger und allen Schrottverkäufern. Ich habe fertig. Endlich bin ich wieder frisch geduscht mit Haare waschen und allem drum und dran. Sich zu ärgern und nicht duschen zu können ist doppelt so schlimm.
Auch den Geschirrspüler nahm ich auseinander, reinigte Sprühköpfe und Sieb und jetzt funktioniert wieder alles. Merkwürdigerweise hatte ich nicht den Eindruck, daß irgendetwas verdreckt gewesen wäre, denn ich hatte ja das Sieb erst vor kurzem schon einmal gereinigt, aber gut - wer weiß.
Außerdem fiel mir noch ein anderes Ärgernis ein, nämlich weil ich gestern meine Nachbarin im Bademantel gesehen habe. Meine Nachbarin ist klein und wenn man klein ist, hat man wahrscheinlich kein Problem, Bademäntel zu finden, die bis zum Knöchel gehen. Für mich ist das ein Ding der Unmöglichkeit, ganz besonders, wenn ich auch noch Reißverschluß statt Bindegürtel, den ich eher störend finde, bevorzuge. So etwas gibt es höchstens annähernd, wobei man irgendwo immer Abstriche machen muß. Ich denke manchmal an diesen Spruch, den man dauernd in der DDR hörte: Im Westen gibt es alles. Mir war damals bereits klar, daß dies so nicht sein kann, Jetzt bewahrheitet sich meine ketzerische Vermutung leider sehr häufig. Zu DDR-Zeiten habe ich mir mal selbst einen Bademantel aus Frotteestoff mit japanischem Design genäht. Der war knöchellang und ich habe ihn sehr lange getragen. Ich habe allerdings keine Lust mehr, mir wieder einen Bademantel zu nähen. Zum einen kann ich nicht perfekt nähen, sondern nur ein bißchen, so wie ich eigentlich generell von allem ein bißchen kann, aber nichts so richtig. Und zum anderen ist es auch nicht meine bevorzugte Beschäftigung.

Da die BVG gestern etwas dagegen hatte, daß ich zum Zumba gehe, war ich abends also zu Hause und landete dafür bei den Tanzdokumentationen "Let's dance" auf arte. Statt zu tanzen schaute ich mir diese Dokus an, in denen es natürlich nicht um Zumba ging, Zumba kann ja jeder. Aber was die Choreographen und Tänzer so erzählten, fand ich interessant, da ich meine eigenen Gedanken darin wiederfand. Zum Beispiel daß Empfindungen sagen, wie die eigene Bewegung aussieht. Ich kann nicht beurteilen, ob Spiegel Tänzer verderben, aber ich merke es selbst an mir, daß mich Spiegel eher von der Musik ablenken, wenn ich darin mich als jemand anderen herumhüpfen sehe. Deshalb eignen sie sich vielleicht, um mal eine Haltung oder Handbewegung zu überprüfen, aber beim Tanzen stören sie. Nun habe ich bei mir in der Küche keinen Spiegel, aber eine verspiegelte Schwingfläche an meinem Mülleimer, die mich etwas verzerrt, aber vollständig spiegelt, und in der ich mich manchmal beobachte, allerdings sieht man dadurch nicht wirklich mehr und kommt schwerer in das gute Gefühl, das man hat, wenn man richtig in der Musik ist und alles eine Einheit ist. Dies sind ziemlich seltene Momente, vor allem in den Zumba-Kursen, aber genau diese Momente sind mein Ziel und meine Belohnung, von der körperlichen Fitness mal abgesehen. Am ehesten finde ich diese Momente, wenn ich mich nicht mehr all zu sehr auf die Schritte, die Choreo und den Zumba-Instructor konzentrieren muß, sondern alles soweit drauf habe, daß ich mehr freie Synapsen für die Musik habe. Dennoch ertappe ich mich dabei, daß ich selbst nach solchen Momenten noch überlege, wie das ausgesehen hat. Irgendwann habe ich dann beschlossen: scheißegal - wenn es sich gut anfühlt, ist es auch gut. Allerdings ist dies eine bewußte Entscheidung, schließlich tanze ich ja sowieso nur für mich und es muß niemandem gefallen, aber wirklich sicher bin ich mir da nicht. Manchmal würde ich schon gerne Mäuschen spielen und mich von außen beobachten, ob ich in den guten Momenten tatsächlich anders tanze und aussehe, als in den Momenten, in denen es sich eher anstrengend oder blockiert anfühlt. Vielleicht ist das sogar der eigentliche Reiz am Tanzen. Tanzen ist Risiko. Während ich beim Schreiben o.ä. das Ergebnis komplett vor Augen habe und hundertmal überprüfen kann, also die volle Kontrolle habe, kann ich beim Tanzen zwar an meiner Körperbeherrschung arbeiten, muß mich aber letzten Endes doch dem Moment und dem Empfinden hingeben, ohne das genaue Ergebnis zu sehen. Für jemandem, dem es eher schwer fällt, seinen Gefühlen zu vertrauen, eine echte Herausforderung, aber gerade deshalb eventuell eine gute Übung.

Eine andere nützliche Übung, nicht nur beim Tanzen, sondern generell im Leben, ist es, nicht zu bewerten. Es ist auch eine ungemein schwere Übung, denn wir alle sind darauf konditioniert, zu bewerten. Es ist zum Beispiel notwendig, um schnell und sicher gefährliche von ungefährlichen Situationen unterscheiden zu können und so zu überleben. Ohne Bewerten geht es also gar nicht. Allerdings machen sich diese Bewertungen schnell selbständig und behindern Vertrauen und Selbstausdruck, egal ob man nun sich selbst oder andere bewertet. Letzten Endes sind Bewertungen tatsächlich nur Projektionen, wie auch in der Doku geäußert. Um das Beispiel der Kunst zu nehmen: Wenn Kunst von Können kommt, wer entscheidet dann, ab wann das Können beginnt? Es ist doch so, je weniger man selbst kann, um so schneller ist man vom Können anderer beeindruckt oder erkennt es im anderen Extrem vielleicht gar nicht, während Experten und Könner zwar das Können anderer sehen, aber trotzdem viel schwerer zu beeindrucken sind, besonders wenn sie hohe Leistungsansprüche an sich selbst haben. Also alles rein subjektiv, je nachdem auf welchem Stand man selbst ist und welchen Überzeugungen man anhängt. Bliebe noch der Geschmack, über den sich bekanntlich nicht streiten läßt. Es ist einfach so, daß mir bestimmte Dinge gefallen und andere nicht. Das bedeutet allerdings nicht, daß das, was mir nicht gefällt, deshalb schlechter ist. Beim Tanzen zum Beispiel bevorzuge ich es sehr dynamisch, locker und etwas unperfekt, genauso wie mir Live-Musik auf einem Konzert besser gefällt als auf einer geleckten CD. Sehr reglementierte, steife und akkurate Tanzstile, wie zum Beispiel Ballett, reißen mich irgendwie nicht mit und wirken leicht einschläfernd, obwohl ich durchaus das Können und die Leistung der Tänzer dabei bewundere. Natürlich mochte ich als kleines Mädchen Ballett. Irgendwie mögen alle kleinen Mädchen Ballett. Das liegt vielleicht an diesen Tüllröckchen. Jedes kleine Mädchen möchte auch gerne Prinzessin sein. Einmal ging die Künstlerfreundin meiner Mutter, bei der ich Malen und Zeichnen lernte, mit mir in einen Kunsthandel. Dort durfte ich mir ein Bild, natürlich nur eine Reproduktion, für mein Kinderzimmer aussuchen. Ich wählte das Tänzerinnenbild von Degas. Ich weiß gar nicht, ob ich es noch irgendwo habe, aber an der Wand hängt es bei mir schon lange nicht mehr. Und wenn ich mir den Tanzstil von Josephine Baker so anschaue, kann Hasenhoppeln durchaus eine Kunstform sein.

Degas - Tänzerin auf der Vorbühne