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Dantes Schulinferno

(Gedicht zum Abschlußfest der Abiturienten-Klasse der Einheitsschule IV im Juni 1948 von meinem Vater)

In meiner Jugend letzten Schulzeit fand
Ich mich in einen Nasenwald verschlagen;
Weil ich vom Lebensweg weit abgewandt,

Mich mußte in der Weisheit Hallen plagen.
Wer diese nun zum erstenmal betritt,
Der weiß vor Schreck nicht ein Wort mehr zu sagen;

Und von den Qualen, die er dort erlitt,
Wird er sein ganzes Leben lang wohl schweigen.
Doch diesem Wald ich vor'ge Woch' entglitt;

Ich will ihn euch von vorn bis hinten zeigen
Und ruf' euch freudestrahlend zu: "Hinein!"
Doch müßt ihr ewig, was ihr hört, verschweigen.

Zuerst begegnet ihr dem Väterlein
Der Klasse, unseren guten, alten Hannes:
"Ihr müßt doch nicht so furchtbar dämlich sein!

Laßt ihn alleine rechnen, los, er kann es.
Los, mach' doch! An die Tafel! Los, los, schreib'!
Quatsch! Nicht doch! Erst xy und dann s.

Dem Dreieck jetzt den größten Kreis umschreib'..."
Und so geht's weiter durch die ganze Stunde.
Wir brauchen alle neuen Zeitvertreib

Und suchen jetzt Belehrung in Erdkunde.
Da hör' ich Flüstern und 'nen leisen Schrei,
Vor Schreck bleibt stecken mir das Wort im Munde,

Und offen bleibt der Mund mir stehen dabei.
Und Teddy tritt herein und auf der Schwelle
Spricht er zu mir: "Tobias sechs, Vers drei!"

Vor Neugier schlag' ich nach die Bibelstelle
Und find: "O Herr, er will mich fressen" dort.
Darauf betrachten wir die Stanleyfälle (?)

Und Teddy fragt: "Im Süden oder Nord?"
Ich muß den Atlas schnell zu Rate ziehen
Und geb' die Antwort, Teddy merkt's sofort:

"Die Antwort ist ja wieder nur geliehen,
Den Brückenwärter haben Sie gefragt,
Doch diesmal sei es Ihnen noch verziehen!" -

Danach die russ'sche Sprachgesellschaft tagt,
Den ersten Vorsitz Mariannchen führet.
Hans-Dieter sich zum zweiten Vorsitz wagt;

Und wie es diesem großen Amt gebühret,
Spricht er 'ne Herzenssprach' zu jeder Zeit,
Die Mariannchens Herz und Auge rühret.

Doch schnell besiegt sie die Verlegenheit,
Sie stützt sich auf den Tisch mit beiden Händen
Und fragt nach eines Verbs Vergangenheit.

Die Russischprüfling' sich von ihr nicht wenden,
Sie prüfte wie 'ne alte Gouvernant',
Man möchte ihr zum Dank wer weiß was senden.

Der nächste wäre unser Laborant,
Ein Chemiker von Kopf bis zu den Zehen.
Doch ist er nebenbei auch Komödiant:

Als schwankend' Rohr sieht man im Wind ihn wehen.
Vor Ärger wird geschmiedet ein Komplott:
"Wenn wir ihn mal allein im Dunkeln sehen,

Verhaun wir schrecklich ihn, dann gnad' ihm Gott!"
So merkt' er, daß wir mit ihm unzufrieden
Und mit ihm trieben unsern Spaß und Spott.

Doch in der Prüfung ändert sich's entschieden:
Er brachte keinen in Verlegenheit,
So schließen wir mit ihm auch unsern Frieden.

Doch schnell von dieser Erd' zur Ewigkeit!
Die Philosophin schwebet in Ekstasen
Und wir in Sphären höhrer Seligkeit.

Wild schleudern in die Luft wir ein'ge Phrasen
Und wollen begreifen gleich die ganze Welt,
Wie wir es einst in Goethes "Faust" schon lasen.

Die nächste Stunde aber erst gefällt!
Herein tritt Paul mit eignen Exemplaren,
Darauf gezeichnet ist die Unterwelt.

Wir schauen an dies mit gesträubten Haaren,
Dann schallt es: "Paule, der Expressionist!"
Zur Antwort sind wir dann "Kulturbarbaren!"

Drauf lächelt unser Paule voller List;
Zitiert uns des Konfuzius weise Worte,
Lehrt, was ein geist'ges Telefonbuch ist.

Bevor wir wenden uns von diesem Orte,
Muß ich euch zeigen einen, der hat frei
Und huldigt auf dem Stadion heut' dem Sporte.

Beim Laufen geht es: hopsa, eins, zwei drei! -
Und schon ist freudig keuchend er am Ziele.
Hier läßt du deine ew'ge Spöttelei.

Auf aller Aufsatzsünder schlechter Stile
Und Komma oder Punkt dich nicht versteife,
Auf Päpste und der alten Kirch' Konzile.

Statt dessen bindst du Kragen dir und Schleife,
Gehst geraden Weges dann zum Unterricht,
Im Mund die unvermeidbar', kurze Pfeife.

Da seht, so sahen wir so manchen Wicht,
Der in der Schul' sein Leben täglich fristet,
Und ihnen allen widme ich mein Gedicht.

Und wenn ihr etwa einen hier vermißtet,
Der für die Chronik käme in Betracht,
So hat er wohl den Dichter überlistet,

Daß der von ihm kein spöttisch Verslein macht.
Seid nur nicht böse wegen diesen Zeilen,
Und wer was übelnimmt, wird ausgelacht.

Doch jetzt schoß ich genug mit spitzen Pfeilen,
Mein Köcher ist so leer schon wie mein Kopf.
Drum will ich stillschweigen nun einstweilen,

Und wer sich ärgert, ist ein dummer Tropf.

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