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Radio-Weihnachten und Tipp

Im Fernsehen ist über die Feiertage nichts los, aber wenigstens auf das Radio ist Verlass. Seit gestern hänge ich bereits stundenlang mit demselben herum und zwar nur wegen diesem Hörspiel-Extra: "Leben und Ansichten von Tristram Shandy - Ein fortschrittlicher Roman" im Deutschlandfunk. Die ersten drei Teile liefen gestern von 14.05 Uhr bis 17 Uhr und die nächsten Teile laufen jeweils noch bis einschließlich Sonntag ab 14.05 Uhr bis 16 Uhr. Also insgesamt sind es neun Teile und dieser Roman, bzw. das Hörspiel ist wirklich sehr vergnüglich und erstaunlich modern, wenn man bedenkt, daß der Roman aus dem 18. Jahrhundert stammt.

"Eine stringente Biografie beinhalten die neun Bände sicherlich nicht. Stattdessen prägt den Roman eine assoziative Struktur: Vor und zurück blickt der Erzähler, der sich nicht an eine Chronologie halten mag; ebenso wechselt sein Gestus - von beißender Satire oder einem spöttischen Ton bis zu pathetischen Beschreibungen. Und auch optisch verrät Sternes Roman, dass er sich nicht an das hält, was seine Gattung bisher auszeichnete.

Das Vorwort leitet die Geschichte nicht ein, es wird stattdessen nachgereicht, mitten in der Erzählung. Und die wiederum ist gespickt mit Auffälligkeiten: mit Auslassungen, Reihen von Sternchen-Symbolen, oder mit ganzen Kapiteln, die fehlen. Andere Seiten sind dafür ganz in schwarz gehalten, gefüllt mit Druckerschwärze, nicht mit sinnerfüllten Zeichen. All das sind Hinweise darauf, dass die Ordnung hier bewusst gebrochen wird, dass Autor und Erzähler Freigeister sind, die weniger an einer Biografie interessiert sind als an der bis heute bestehenden Frage, ob sich eine solche erzählen lässt. Vom Leben dieses vermeintlichen Protagonisten und Ich-Erzählers, Tristram Shandy, liest man entsprechend wenig - seiner Zeugung wird ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie seiner Geburt, von der erst im dritten Band berichtet wird.

Sehr einprägsame und detailreiche Beschreibungen gelten dagegen anderen Figuren: allen voran Tristrams Vater und seinem Onkel Toby - zwei äußerst eigenwillige, bisweilen schrullige Charaktere, die der Erzähler aber nie so sehr dem Lächerlichen preisgibt, dass sie darüber ihre liebenswerte Note verlieren, ganz Karikatur werden. Nietzsche galt Sterne deshalb als "der freieste Schriftsteller aller Zeiten", gegen ihn, so schreibt er in Menschliches Allzumenschliches II, seien "alle anderen steif, vierschrötig, unduldsam und bäuerisch-geradezu".
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Beim Bayrischen Rundfunk kann man die Folgen nachhören: http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/hoerspiel-sterne-tristram-shandy-gentleman-100.html

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