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Unversöhnliche Lyrik

Montag, 1. September 2008

Die Gedichte meines Vaters | 7

Noch immer denk ich dein
in bangen und in trüben Stunden;
Du warst mein:
Die Zeit, sie ist entschwunden.

Du warst mein...
Auch wenn nur in Gedanken.
O, wie allein
muß ich durch's Leben wanken.

Allein und nicht allein
und doch stets verlassen,
im Stillen glücklich sein;
leicht könnte ich dich hassen!

Laß mich allein!
Versuch mich nicht zu lieben!
Und doch bin ich dein...
von Sehnsucht getrieben.

Noch einmal?...nein!
Ich kann nicht mehr lieben!
Die Zeit ist nicht mein...
Und...nichts ist geblieben!

10/48

Die Gedichte meines Vaters | 6

Das Wasser glänzt, der Himmel blinkt,
ein Segel auf den Wellen winkt.

Der Wald steht düster in der Fern,
wie kommt's, dass ich dich hab' so gern?

Ein Paddelboot zieht leis dahin,
warum ich nur so traurig bin?

Bist neben mir und doch so weit,
im himmelblauen Sommerkleid.

Ein Windeshauch mich leis berührt,
hat Liebe je mein Herz verspürt?

War ich nicht einsam, stets allein,
und wird es ewig nicht so sein?

Das Wasser glänzt, der Himmel blinkt -
ein Mädchenmund mir niemals winkt.

Die Gedichte meines Vaters | 5

Ein Blick bis in die Augen, es war zu viel.
Noch taumelnd, o du himmlische, spüre ich's:
Mein Leben ist dir ganz verfallen.
Dir möcht' ich Liebe vom Munde saugen

durch heiße Küsse, schmachtend nach tiefem Glück.
Sei du mir alles, Freuden gewährend mir,
die stets das Schicksal mir versagte.
Ewige Liebe und viele Freuden

sind uns verschlossen, irdische Liebe doch
gewährt Gott uns. Lasset uns lieben, denn
der Tod kommt früh.

Sonntag, 31. August 2008

Die Gedichte meines Vaters | 4

Du bist mein Schicksal,
ich ahnt' es schon beim ersten Blick.
Du bist mein Schicksal,
es gibt für mich nie ein zurück.

Die Unschuld selbst, im Sommerkleide,
so sagtest du an jenem Tisch;
das dunkle Haar, die reinste Seide,
so wunderbar, so träumerisch.

Ein Blick aus deinen klaren Augen -
ich konnte ihm nicht widerstehn,
vom Mund die heißen Küsse saugen -
sei mein, laß mich umsonst nicht flehn.

Sei mein! Des Glückes schönste Stunde
erwartet uns, voll Seligkeit
reichst du mir deine Hand zum Bunde:
O höchstes Glück, werd' Ewigkeit!

Berlin, 30/7/50

Samstag, 30. August 2008

Die Gedichte meines Vaters | 3

Noch jetzt ich täglich mich entzünde
an deinem lieben Augenlicht.
Ich weiß: auch das ist keine Sünde,
DEIN Mund in meinem Herzen spricht.

Wann wirst du wieder mir erscheinen
bei mir zur Nacht? - die Couch ist weich -
und unsre Seelen sich vereinen -
die deine ist ein tiefer Teich.

Es wartet schon die Schokolade,
"Halbbitter", "Vollmilch", "Nuß", "Kakao";
die Liebe dein ist niemals fade;
drum nenne ich dich stets: Oh Frau!

Den Busen dein mit Küssen decken,
umfangend EIN Fleisch nur zu sein,
die Freuden höchster Wollust schmecken
- und dennoch bleiben herzensrein!

Die Couch ist sanft, dein Fleisch ist weich
- zwei Herzen Liebe sich gestehn -
die Seele dein ein tiefer Teich,
es dämmert schon? Auf Wiedersehn!

29/10/55

Das ist ja auch wieder absolut typisch, daß er von Schokolade schreibt. Er konnte schon immer von Süßem nicht genug bekommen. Im November 1955 wurde mein Bruder geboren. Wenn ich also davon ausgehe, daß er meine Mutter meint, läßt sich erahnen, warum er in diesem Gedicht Schokolade braucht. Das dürfte sein letztes Gedicht gewesen sein. Genau wie mein Großvater, sein Vater, hat er anscheinend ab dem Zeitpunkt, an welchem er Familie hatte, nichts mehr gedichtet. Wahrscheinlich fordert Familie einfach zu viel Realitätsbewußtsein und ist deshalb der Dichtkunst einigermaßen abträglich.

Freitag, 29. August 2008

Die Gedichte meines Vaters | 2

Du und das Zitherspiel-
dass es das noch gibt!
Verloren der Welt
wer nicht liebt.
Süsse Melodien
den zarten Händen entsprungen-
es war
als ob ein Engel gesungen.
Ich seh' deine Hand
über die Saiten
sanft zupfend gleiten
und mit herrlichen Tönen
dieser Welt mich versöhnen.
Dass es das noch gibt
in dieser Zeit-
und ich glaubte das Glück
so weit!

Ich erinnere mich, daß mein Vater in meiner Kindheit, einmal mit einer Zither ankam. Ich weiß nicht genau, woher er sie hatte, aber schätze, daß er sie von einem verstorbenen Gemeindemitglied geerbt hatte, so wie ihm oft Bibeln, Bilder oder Kunstgegenstände vermacht wurden. Über mehrere Jahre stand zum Beispiel ein "dicker Schinken" in unechtem Goldrahmen unter unserer Dielenkonsole, der einen in Andacht versunkenen Einsiedler zeigte und niemand wußte wohin damit, zumal meine Mutter sich standhaft weigerte, ihn in der Wohnung aufzuhängen. Zur Zither gehörte ein Packen Papiereinlagen, welche man unter die Saiten legen und so sehr einfach verschiedene Lieder und Melodien nachspielen konnte, indem man einfach die eingezeichneten Noten zupfte. Das Gedicht muß vor dieser Zeit entstanden sein. Mein Vater konnte sich schon immer für das Zitherspiel begeistern. Einer seiner Lieblingsfilme war "Der dritte Mann" und sobald irgendwo jemand Zither spielte, war er Feuer und Flamme. Ich frage mich, ob wohl die im obigen Gedicht besungene Situation Ursache dafür ist. Jedenfalls versuchte er tatsächlich eine gewisse Zeit lang, das Zitherspielen zu lernen. Irgendwann gab er es auf und die Zither verschwand wieder. Ich glaube, sie wurde verschenkt.

Donnerstag, 28. August 2008

Die Gedichte meines Vaters

Meine Mutter gab mir heute einen Packen Zettel mit, die sie irgendwo gefunden hat und die Gedichte und kurze Tagebuchnotizen meines Vaters enthalten. Nicht sehr viel - ich weiß nicht, ob es davon noch mehr gibt -, aber das größte Problem ist seine Schrift. Es ist fast unmöglich, diese zu entziffern. Ein einzelnes Gedicht ist mit Schreibmaschine geschrieben, welches, wie ich finde, sein ganzes Leben und Dilemma sehr genau zusammenfaßt:

Einsam, immer wieder einsam,
ach, was hab' ich schon gebangt, gefleht;
einsam, immer wieder einsam,
nie ein Mensch an meinem Wege steht.
Nie ein liebes, holdes Mädchen,
das mit glücklich strahlendem Gesicht
spricht: ich liebe dich!

Einsam, immer wieder einsam,
warum lern' ich nie die Welt verstehn?
Steh' ich still und schau ich tiefer,
rufen dunkle Stimmen: weitergehn!
Niemals, niemals rührte mich im
Herzen fremdes, grauenvolles Leid,
ich bin Einsamkeit.

Einsam, immer wieder einsam,
schauderhaftes Schicksal meiner Nacht:
Du hast mich voll bittrer Kälte,
seelenlos und lebenskrank gemacht.
Wie ich sehne mich nach Liebe,
kann kein Mensch auf dieser Erd' versteh,
so soll's weitergehn?

Ich wußte, daß er es weiß. Und trotzdem hatte er in seinem Unglück auch sehr viel Glück. Er hatte eine Familie und eine Frau, die ihn trotz allem nie fallen gelassen hat. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er sich dessen bewußt ist oder es jetzt wird.

In einer Notiz schreibt er:

"Ofui, Teufel! Wie sind die Menschen alle so verlogen! Die ganze Welt wird durch sie verdorben! Und da soll es nicht gären? Was ich will, weiß ich noch nicht, auf jeden Fall aber etwas "anderes" - als das, was augenblicklich besteht...
...Als Christ würde ich es nicht aushalten, KEIN Theologe zu sein; da ich aber "Literat" (!) werden will, kann ich kein Christ sein, denn sonst müßte ich mein Berufsziel aufgeben."