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Samstag, 9. Dezember 2006

Erster Geburtstag im Pflegeheim

Heute feierte mein Vater seinen 77. Geburtstag, den ersten im Pflegeheim. Deshalb gingen wir diesmal alle zusammen hin, was aber nicht sehr günstig ist, da das Zimmer so sehr klein ist. Man tritt sich dann immer gegenseitig auf die Füße, wenn man um das Bett herumsteht. Mein Vater hatte vom Heim selbst einen Blumenstrauß bekommen und eine Karte mit Glückwünschen von der Heimleiterin. Das Lustige ist, dass es eine von den Karten mit christlichen Sprüchen war, die meine Mutter stapelweise aus seinen Karteikästen geräumt und dem Pfarrer des Heimes übergeben hatte. Aber natürlich ist das meinem Vater gar nicht aufgefallen, statt dessen freute er sich, dass sogar die Leiterin ihm schrieb, denn auf Titel, Ränge und Hierarchien hat er ja schon immer großen Wert gelegt. Ich selbst habe ihm ein Doppelpack Pralinenauslese mitgenommen, da er so gerne nascht und im Heim unter dem Personal schon als "der Süße" verschrien ist, sowie ein regenbogenfarbiges Muschelmobile. Anbringen muss das jedoch der Hausmeister, weil die Wände alle Beton sind und man nicht mal einen Nagel einschlagen kann. Als wir kamen war er ziemlich übellaunig, was aber kein Wunder ist, denn er hatte gerade geschlafen und wurde aufgeweckt - da bin ich auch immer übellaunig. Dann schaute er jedoch wieder in seinen Fernseher, den wir ihm vor einigen Wochen gekauft hatten und amüsierte sich wie Bolle über einige Cowboys, die versuchten, Hühner mit dem Lasso zu fangen. Danach fragte er mal nach, was das für ein Tier sei, was gerade zu sehen war und las, was wir ihm aufschrieben. Zuerst dachten wir, das Fernsehen würde ihn gar nicht interessieren und natürlich bekommt er auch keinen Ton mit, er sieht nur die Bilder, aber einige Sachen verfolgt er doch ziemlich aufmerksam. Den Käsekuchen von meiner Mutter wollte er nicht, statt dessen fragte er, ob es dieses Jahr noch keine Pfefferkuchen gibt. Neben dem Bett stand ein Teller Pfefferkuchen vom Heim und als wir ihm den zeigten fragte er: "Ach, von der Alten?", womit natürlich mal wieder die sehr nette Schwester gemeint ist, die seine Ungezogenheiten aber mit Humor nimmt. Als wir nach einer Stunde gingen wurde er erneut übellaunig und fragte, dass wir doch hier Kaffee trinken wollten, was wir aber keineswegs vorgehabt hatten und was auch gar nicht wirklich geht, da das Zimmer so klein ist. Es steht zwar ein Tisch drin, aber nur mit zwei Stühlen und kaum Platz, um daran zu sitzen. Außerdem ist es dort so überheizt und warm, dass ich fast kollabiert bin und Schweißausbrüche bekam, aber meinem Vater war trotzdem kalt. Wahrscheinlich geht das den anderen Alten so ähnlich, weshalb sie wie in einer Sauna einheizen. Meine Mutter ist ja nun fast jeden Tag da und jedesmal, wenn sie geht fragt er sie, wo sie hingeht. Sie sagt stets "Nach Hause, Schlafen" und zeigt mit einer Handbewegung in irgendeine Richtung. Diesmal fragte er: "Wie, im Freien?" und wollte wissen, wo zu Hause ist. Nächste Woche wollen ihn auch sein Bruder und seine Schwester besuchen, das ist dann das erste Mal nach seiner Krankheit. Überraschenderweise hat mein Onkel, sein Bruder, der noch um einige Jahre jünger ist, vor kurzem ebenfalls einen Herzschrittmacher bekommen. Als mein Vater dies erfuhr, konnte er es nicht fassen.
Außerdem wurde er dazu auserwählt, als "Prüfungsobjekt" für die Prüfung eines Auszubildenden herzuhalten. Meine Mutter hat dazu ihr Einverständnis gegeben. Die Heimleitung wollte extra ihn, gerade weil er ein schwieriger Patient ist, denn die Azubis sollen zeigen, dass sie auch mit solchen Leuten umgehen können. Er wird sich deshalb sicher wundern, wenn demnächst eine fünfköpfige Prüfungskommission um ihn herum steht und zuschaut, wenn ihn jemand versorgt, aber was solls, so ein bißchen Aufregung kann sicher nicht schaden, zumal er körperlich inzwischen sehr stabil ist und immer mehr Fortschritte macht, wenn auch nur in kleinen Schritten. Letztens hat er sogar mal für kurze Zeit in einem Rollstuhl halb liegend am Fenster gesessen, wollte jedoch nach einiger Zeit wieder zurück ins Bett. Der Physiotherapeut hat es als Ziel gesetzt, dass er nächstes Frühjahr richtig im Rollstuhl sitzen kann. Nur geistig ist er immer mehr verwirrt.