die ich fast jeden Morgen zur U-Bahn hoch gehe und die quasi zu meiner unmittelbaren Heimat gehört, so mag, sind diese meterhohen Unkrautfelder links und rechts vom Gehweg. Da sieht man mannshohe Klettenbüsche, tellergroßen Huflattich, Schafgarbe, Beifuß und was es nicht sonst noch alles gibt an zähem Grünzeug. Wenn man im Sommer auf dieser Straße unterwegs ist, dann kann man sich mit viel Phantasie fast vorstellen, irgendwo auf einer wilden Heide zu sein, mal ganz abgesehen von den Schmetterlingen, Katzen und Vögeln, die sich dort ebenfalls sauwohl fühlen. Ich fürchte nur, wenn die Stadt wieder mehr Geld hat, kommt irgend so ein Beamtenfuzzi daher und sagt: "So geht das aber nicht! Das ist doch kein Zustand mit diesem Drecksunkraut in unserer schönen Stadt. Da muss eine ordentliche Betondecke drüber." Ok, mit viel Glück werden vielleicht auch nur Blumenrabatten angelegt, in denen die Stiefmütterchen in Reih und Glied stehen. Stiefmütterchen in allen Ehren, aber ist dieser Ordnungsfimmel der Menschheit nicht manchmal erbärmlich? Wo kämen wir denn auch hin, wenn jeder macht was er will, ganz besonders die Pflanzen? Nein, es muss bitteschön Zucht und Ordnung herrschen! Also verschwinden langsam aus den Vorgärten die völlig pflegeleichten und schönen Farne und werden dafür mit ultrakurzem Rasen ersetzt, der jeden Sommer Unmengen von künstlich zugeführtem Wasser verschlingt, um sich nicht in eine braune schrumpelige Strohdecke zu verwandeln. Aber wehe, er wird nur einige Zentimeter zu lang, dann muss sofort wieder so ein kreischendes, plärrendes Ding von Rasenmäher her. Wo haben die Leute bloß ihren Verstand? Werden sie ihn alle erst wiedererlangen, wenn wirklich das eintritt, was bei dieser Klima-Vorhersage-Dokumentation analysiert wurde, nämlich, dass Brandenburg zu einem steppenähnlichem Gebiet wird, in dem Wasserknappheit herrscht? Wenn es dann völlig aussichtslos ist, kurzen Rasen anzupflanzen, weil das Wasser sauteuer und der Boden steinhart ist, dann, aber erst dann, werden sie nach dem dreckigen Unkraut mit den langen Wurzeln schreien. Nur gut, dass Unkraut sich nicht so schnell ausrotten läßt wie manch eine Tierart, denn dann sähen wir es schon heute wahrscheinlich nur noch gepresst in altertümlichen Hebarien.
behaupten zumindest meine ehemaligen Kollegen. Ich meine, dass es nach drei Tagen zu früh ist, sowas zu sagen und außerdem merke ich davon überhaupt nichts. Aber sie sagen, wenn er mir nichts tut, dann reicht das schon, um es zu wissen. Na prima. Und Kollege M. sagt, dass Herr N. in den letzten Tagen immer mit so einem Grinsen auf dem Gesicht im Flur herumlaufe. Ihm gefalle das gar nicht.
Ich kann dazu nichts sagen, weil ich Herrn N. von vorher ja nicht kenne und wir uns ansonsten selten sehen, obwohl wir im gleichen Zimmer arbeiten, da jeder hinter seinem riesigen Computermonitor versteckt sitzt. Das "Du" hat er mir aber noch nicht angeboten und das nervt mich, weil ich dieses ständige Gesieze mit Kollegen, die ich den ganzen Tag sehe, nicht mag. Leider ist er älter als ich.
Im übrigen stimmt es tatsächlich, was mir die eine Kollegin über seinen Körpergeruch erzählt hat. Sobald er im Zimmer ist, riecht es sofort irgendwie merkwürdig alt und muffig. Ich habe das zuerst auf die alten Fußbodenbeläge geschoben, merke aber, dass der Geruch längst nicht so stark ist, wenn er nicht im Büro ist. Es riecht richtig EXTREM alt und muffig, und das, obwohl ich den ganzen Tag weit das Fenster geöffnet habe, der Geruch geht nicht einmal von frischer Luft weg. Gerade wenn man draußen war und wieder in das Zimmer kommt, ist er besonders stark, und ich denke immer, er müßte es doch auch bemerken, wenn er in das Zimmer kommt, aber entweder sagt er nichts dazu oder er merkt es wirklich nicht. Ich überlege schon, mir so einen Duftstein anzuschaffen, allerdings weiß ich nicht, ob Herr N. das dann nicht als Geruchsbelästigung empfindet.
Das Licht der Neonröhren auf dem Klinikflur fällt durch die Glastür meines Zimmers. Es erhellt nicht die Dunkelheit der Nacht, sondern verstärkt die Schatten noch, ihr Schwarz und ihre Kälte. Flackernde kleine Lichtquellen auch im Krankenhauszimmer selbst, an diversen Geräten. Ich schlafe und schlafe nicht, der Schlaf ist leicht, er scheint mich zu fliehen und doch nicht von mir zu lassen. Immer wieder wache ich auf. Vor dem Schlafraum das kleine Glaskabuff der wachhabenden Schwester. Ich bin in dem Zimmer eingeschlossen, bis auf das Klinikpersonal darf niemand hinein. Jemand klopft an die Tür. Die Schwester fängt den Besucher ab und ich höre, wie sie sagt, dass keine Besuchszeit sei und niemand zu mir dürfe.
Es ist mir recht. Ich will gar nicht wissen, wer der Besucher ist. In schmerzvoller Dumpfheit durchwache ich die Nacht. Wie ein Verhängnis lastet sie auf mir, ein schwarzer schwerer Vorhang, in dessen Falten ich mich verfangen habe. Ein Gefühl von unspezifischer Angst und transzendentem Schmerz. Es gibt keine Ursache, es ist etwas außerhalb meiner selbst. Ich beobachte es wie ein Tier, einen schwarzen Vogel, der auf meinem Brustbein brütet. Es scheint nicht mein Schmerz und meine Angst zu sein, es ist die unter der Schwere und Einsamkeit der Nacht konzentrierte Atmosphäre des Krankenhauses. Ich weiß, dass es nur ein Traum innerhalb eines Traumes ist, weiß, dass mit der Nacht auch dieses Gefühl geht. Alleine sie ist es, welche die Pforten zu den unterschwelligen Abgründen des menschlichen Leids öffnet, am Morgen würden sie wieder verschlossen sein. Es gibt keinen Grund, sich vor der Angst zu fürchten. Sie ist ein Besucher, der mit der Nacht kommt und mit dem Tag geht. Alles ist in bester Ordnung.