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Dienstag, 31. Mai 2016

Im Frühtau zu Berge

Die letzten drei Tage lang habe ich nur Wände gestrichen. Also nicht allein gestrichen, denn das ist ja das einfachste dabei und geht am schnellsten. Sehr viel mehr Aufwand und Anstrengung bedeuten die Vor- und Nacharbeiten. Ausräumen, Abschrauben, Abdecken und Aufpassen, daß der Teppich ja keine Flecken abbekommt. Hinterher dennoch vorhandene Flecken entfernen, sauber machen, anschrauben, einräumen. In so einem bewohnten Zimmer, wo man keine Ausweichmöglichkeiten zum Lagern oder Schlafen hat, kann man sich immer nur von Ecke zu Ecke hangeln und das bedeutet die ganze Prozedur ständig wieder auf das Neue. Blöderweise habe ich den Malerkrepp an den Kanten mit der gelben Farbe erst entfernt, als die Farbe trocken war und deshalb mußte ich noch einmal über die Kanten gehen, damit die nicht so ausgefranst aussehen. Bei der weißen Kreidefarbe funktioniert das zwar gut, aber bei einer Latexfarbe hinterläßt das eben Fransen. Hätte ich mir eigentlich vorher denken können. Zwischendurch habe ich die Täubchen in Aufregung versetzt, weil ich bei offener Balkontür gearbeitet habe, und ich konnte zweimal den "fliegenden Wechsel" beobachten. Die wechseln sich tatsächlich ab mit dem Brüten. Eine Taube kommt angeflogen zur Ablösung und die andere macht sich aus dem Staub. Über Entfernung kommunizieren sie mit ihrem "Regenlied". Ich mag dieses "Regenlied" der Tauben, weil ich es mit den Sommern meiner Kindheit verbinde. Es gab keinen Sommer draußen auf dem Spielplatz unter den Pappeln, in welchem nicht dann und wann diese dunklen Rufe zu hören waren. Aber wenn die Regenrufe direkt vor der Tür zu hören sind, sind sie verdammt laut. Leider kann ich nicht unterscheiden, welche Taube Männchen und Weibchen ist und welches davon die ist, die eisern auf dem Nest sitzen bleibt und die, die panisch davonflattert. Aber nach meinen bisherigen Erfahrungen mit brütenden Vögeln schätze ich mal, daß auch bei Tauben wohl eher die Männchen die Angsthasen sind.
Während ich so die Wände strich, hatte ich dauernd "Im Frühtau zu Berge" als Ohrwurm im Kopf, was mich veranlasste, darüber zu meditieren, wie bescheuert es doch ist zu singen: "Wir ziehen ohne Sorgen singend in den Morgen noch ehe im Tale die Hähne kräh'n." Bei "noch ehe im Tale die Hähne kräh'n" bin ich sowieso raus. Zwar bin ich auch dann und wann mal ohne Sorgen in den Morgen gezogen, aber zu solchen Liedern sollte es immer einen Warnhinweis geben: "Achtung, singen Sie nicht zu laut. Die Sorgen werden Sie bald eingeholt haben."
Nun ja, nach drei Tagen die Leiter hoch und runter hatte ich heute einen mörderischen Muskelkater in den Beinen, war aber so wahnsinnig, trotzdem zum Zumba zu gehen. Schon nach dem ersten Lied, bei welchem wir immer so viel hin- und herrennen, dachte ich, ich brech zusammen. Meine Beine haben sich wie Watte angefühlt. Trotzdem hielt ich irgendwie durch, aber nach Hause bin ich mehr gekrochen. Als ich vom Supermarkt das letzte Stück gegangen bin, haben Kinder auf dem Sportplatz gerade Staffellauf gemacht. Hätte mir in diesem Moment jemand einen Staffelstab in die Hand gedrückt, hätte ich ihm den an den Kopf geworfen. Jetzt bin ich sowas von müde, daß ich auf der Stelle ins Koma fallen könnte. Heute mache ich jedenfalls nichts mehr, auch nicht Fenster putzen. Zwar sieht es hier immer noch nach Katastrophe aus, aber beim Schlafen sehe ich das ja nicht. Morgen kommt der Farbnachschub, damit kann ich das letzte Stück Wand versorgen. Wenn ich es dann noch schaffe, in dieser Woche die Fenster zu putzen und Gardinen zu waschen, kann ich mir auf die Schulter klopfen.