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Sonntag, 21. Juni 2009

Barfuss in schneestiller Nacht

Schweigend liegt das alte Pfarrhaus, eingebettet in der samtigen Geborgenheit der Nacht. Kein Mondlicht fällt durch die hohen Fenster als ich erwache. Angestrengt lausche ich in die Dunkelheit. Dann und wann ist ein leises Ächzen und Seufzen der Dielen zu hören. Es ist der tiefste Punkt der Nacht, eine Zeit in der jeder Mensch schläft. Ich allein bin wach. Aus einem inneren, unwiderstehlichem Drang heraus, zieht es mich hinaus und ich schleiche barfuss, nur mit meinem Pyjama bekleidet, am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei, öffne die Wohnungstür und tappe vorsichtig die Treppen des Hausflurs hinunter. Sobald sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, reicht das Licht gerade aus, um die allernötigsten Umrisse zu erkennen. Unten angekommen öffne ich die massive, schwere Haustür, indem ich mein ganzes Körpergewicht dazu einsetze. Doch was ich dann erblicke ist atemberaubend und überraschend. Es muss während der vergangenen Stunden geschneit haben und weißer Schnee bedeckt die Wege und Vorgärten außerhalb des Hauses, erleuchtet die lichtlose Nacht mit seinem Strahlen. Es ist, als gehe ein zarter Lichtschein von ihm aus. Verzückt betrachte ich diesen märchenhaften Anblick, noch immer gegen die schwere Haustür gelehnt und im Glitzern der winzigen Kristalle schwelgend. Bewusst wird mir nun auch die große Stille, eine Stille, die außergewöhnlich ist. Doch ich fürchte sie nicht, ebenso wenig wie die Dunkelheit. Im Gegenteil. Ich fühle mich schützend umhüllt vom seidigen Schwarz der Nacht und ihrer Schönheit.

Das schneebedeckte Land vor der Haustür zieht mich magisch zu sich hinaus. Obwohl ich nichts an den Füßen habe, mache ich einen vorsichtigen kleinen Sprung in den Schnee hinaus. Es fühlt sich herrlich an. Nicht kalt und nicht nass, sondern einfach nur watteweich und erfrischend. Es ist ein bisschen wie auf Wolken zu gehen. Ich überlege, was ich mit dieser zauberhaften Nacht anfangen könnte. Sie zu verschlafen wäre viel zu schade. Besser wäre es, hinunter zum Fluss zu laufen und dort die Schönheit und die Stille um mich herum zu genießen. Sorgen, dass mich jemand nur mit dem Pyjama bekleidet trifft, muss ich mir wohl keine machen, denn ich bin ganz sicher allein in dieser Stunde. Kurzzeitig kommt mir die Gefahr des Erfrierens in das Bewusstsein, doch sie erscheint mir völlig unmöglich. Ich spüre keine Kälte noch sonst etwas feindliches. Ich bin völlig geborgen und geschützt in dieser traumhaften Welt und so mache ich mich auf den Weg zu der vereisten Quelle am Fluss.

Dort setze ich mich auf einen Felsen, sauge die klare Luft mit vollen Zügen in mich hinein und horche. Sogar der Kirchturm, der schwarz in die Nacht ragt, gibt keinen Laut von sich. Es ist wunderbar zu lauschen und je mehr ich es tue, um so mehr öffnet sich mir die Stille gleich einem geheimen Tor und offenbart ihre Schätze. Erst ist es das leise Knistern und Knacken des Schnees, später ist es das Seufzen eines Tieres oder das Rascheln eines Zweiges. Tiefer und tiefer dringe ich in die Stille, Hülle um Hülle durchbreche ich, lausche ihrem Gesang, der auf jeder Ebene anders tönt. Bald höre ich das Atmen meiner Poren und das Klingen der Sterne, eine Melodie, deren Resonanzkörper direkt im Herzen zu finden ist, für das Ohr unhörbar. Staunend nehme ich das Universum wahr, welches unerhört zwischen den Klängen des Außen schwingt, umgeben vom schwärzesten Schwarz der Nacht und weißesten Weiß des Schnees. Der Weg der Stille führt in mein Inneres, wo der Raum größer und größer wird, unermesslich und unfassbar groß, weiter als der Sternenhimmel. Tür um Tür öffne ich, ein Labyrinth, welches nur eine Richtung kennt, bis ich zur allerletzten Kammer gelange. Eines feines Vibrieren geht von dieser aus, vergleichbar dem Vibrieren eines Maschinenraumes, in welchem Maschinen im stetig gleichmäßigen Rhythmus arbeiten. Nur ist kein Ton zu hören. Das Vibrieren ist so lautlos wie Vogelflaum, der über die Haut weht. „Was ist das hier?“ frage ich und erhalte sofort die Antwort von einer unsichtbaren Stimme: „Dies ist der Klang, aus dem du geboren wurdest.“
Ehrfurchtsvoll lauschen die Härchen meiner Haut, lauschen die Sohlen meiner Füße, lauschen meine Muskeln, in denen der Schall sein Echo findet, lauscht der winzige Punkt in der Mitte meines Seins, der Punkt, der niemals schläft. Da hebt ein schreckliches Gebrüll an. Die Kirchturmuhr schlägt unerträglich laut in meinen Ohren, holt mich zurück durch jede einzelne der durchschrittenen Türen, bis ich fürchte, mein Kopf müsse mir zerspringen. Es brüllt und brüllt.....rasselt und rasselt, der Wecker rasselt und ich schlage erschrocken die Augen auf. Gleißendes Licht dringt durch die Fenster, Stimmengewirr und Türenschlagen aus den Nachbarzimmern ist zu vernehmen, Kinderweinen von der Straße und das Gedröhn der Müllabfuhr. Verwundert betrachte ich die Wasserflecken, welche ich zwischen dem Bett und der Türe entdecke...