Vielleicht hat auch die deutsche Literatur ein klein wenig dazu beigetragen, daß ich mich in dieser Zeit der Kommunistischen Partei Polens anschloß. Denn mich beeindruckte, mich begeisterte seit meiner Jugend ein Stück klassischer deutscher Prosa aus dem neunzehnten Jahrhundert, ein Aufruf, dessen Pathos, dessen Rhetorik, dessen Bilderreichtum mir imponierten, mich sogar bestrickten: das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels.
(aus "Mein Leben" von Marcel Reich-Ranicki)
Auf jeden Fall wäre es im "Literarischen Quartett" sicher spannender gewesen als im Marxismus-Leninismus-Unterricht.
Die Frage, wohin die Transporte gingen, ließ sich schon Anfang August beantworten. Die jüdischen Wachtposten auf dem „Umschlagplatz“ hatten die Nummern der Waggons notiert und mußten zu ihrer Verblüffung feststellen, daß die Züge keinen weiten Weg zurücklegten, daß sie keineswegs nach Minsk oder Smolensk gingen. Denn die Waggons waren schon nach wenigen Stunden, höchstens vier oder fünf, wieder in Warschau. Bald wurde bekannt, daß alle Transporte zu einem nordöstlich von Warschau gelegenen und nicht viel über hundert Kilometer entfernten Bahnhof gingen, der zu Treblinka gehörte, einer kleinen benachbarten Ortschaft. Von diesem Bahnhof führte ein etwa vier Kilometer langes Nebengleis in eine dicht bewaldete Gegend, in der sich das Lager Treblinka befand. Wirklich ein Lager? Wenig später erfuhr man noch, daß dort kein Konzentrationslager war, geschweige denn ein Arbeitslager. Dort gab es nur eine Gaskammer, genauer: ein Gebäude mit drei Gaskammern. Was die Umsiedlung der Juden genannt wurde, war bloß eine Aussiedlung - die Aussiedlung aus Warschau. Sie hatte nur ein Ziel, sie hatte nur einen Zweck: den Tod.
(aus "Mein Leben" von Marcel Reich-Ranicki)
Einen kurzen, winzigen Moment dämmere ich weg und finde mich in klarem, durchsichtigen Wasser treibend wieder. Über mir blauer Himmel, um mich nur Wasser, das in der Sonne glitzert, dennoch scheint es ein Pool zu sein, zumindest macht das saubere Wasser diesen Eindruck. Und es ist angenehm kühl, ja, sogar kalt, aber ungemein belebend. Die Kühle dringt direkt in meinen Körper und schwappt als Welle durch ihn hindurch, um sich im Herzzentrum wie in einer Explosion zu zersprengen. Von diesem Energiestoß werde ich augenblicklich wieder hellwach.