Auf der Straße
traf ich heute R. und in solchen Momenten bin ich immer froh, daß sich Männer in der Regel nicht für Frisuren interessieren und auch nicht danach fragen. Trotzdem bleibt stets ein Quentchen Zweifel, ob er die verräterischen Indizien nicht doch bemerkt hat und nur zu feinfühlig war, mich darauf anzusprechen. Schließlich habe ich an Stelle der Augenbrauen und Wimpern nur noch ein paar Borsten und fühle mich insgesamt wie ein gerupftes Huhn, das die fremden Federn eines Goldfasans auf dem Kopf trägt. Zumindest sind die Ponyfedern aber so lang, daß man das Gesicht dahinter ein bißchen verstecken kann. Mehr als ein bißchen verstecken geht jedoch nicht. Ich fühle mich alles andere als begehrenswert und bei gewissen Begegnungen nervt das. Natürlich könnte ich mir sagen, wer sich jetzt plötzlich von mir abgeschreckt fühlt, auf den kann ich eh verzichten, aber so einfach ist das nicht. Und natürlich könnte ich mir auch Wimpern ankleben und Augenbrauen malen, so wie eine der anderen Chemopatientinnen, müßte aber Angst vor jedem Tropfen Regen haben, weil die Wimpern mir auf einmal schräg im Auge hängen könnten. Am Mittwoch sprach mich jemand im Chemoraum an, weil meine Fingernägel noch alle normal aussehen. Bei ihr sind sie braun geworden und sie übermalt sie jetzt mit Nagellack. Eventuell blüht mir das später ebenfalls. Und wenn ich mir vorstelle, ich wäre bereits zwanzig Jahre älter und müßte neben Perücke, falschen Wimpern und Augenbrauen, Nägel lackieren, auch an meine falschen Zähne denken, und dazu vielleicht noch an eine Brustprothese, meine Güte, ich glaube, da wäre ich bereits erschöpft, bevor ich einen Schritt nach draußen getan hätte. Was macht man eigentlich, wenn in dieser Situation das Gedächtnis nachläßt? Abhaklisten schreiben und vervielfältigen? Obwohl - noch ein paar Reaktorunfälle und radioaktiver Fallout mehr, und schon sehen alle so aus wie ich....
zuckerwattewolkenmond - Sa, 20:59
die chemo ist irgendwann mal zuende. hoffe ich doch. und hoffentlich auch mit einem guten ergebnis.
die welt ist verrückt. da gibt es menschen wie du, die gegen eine scheiß krankheit ankämpfen; auf der anderen seite der welt werden menschen einfach mal so von einer flutwelle weggespült oder radioaktiv verseucht; und ich trinke mich langsam in die vergiftung und in den tod ...
vielleicht ist das geheimnis, dass man, ganz egal wie man gebeutelt ist, noch irgendwo das licht im leben sieht - trotz krankheit, unglück oder sucht ...
früher oder später ist sowieso alles vorbei. das ganze spektakel. was wäre ein leben, das nur glatt und glücklich verläuft? man würde seine endlichkeit gar nicht spüren. vielleicht würde man dann gar nicht richtig leben.
Ich geb
wenn man noch jung ist, ist es besonders schwer, denke ich. auf der anderen seite ist man aber als junger mensch noch ungeheuer stark und anpassungsfähig.
Ich bin
man plappert im internet so leicht los.
dass du dich alt fühlst, kann ich mir gut vorstellen.
als trinker fühle ich mich auch oft alt. nur holte mich inzwischen das alter wirklich ein ... (lach!)
Ich bin 40,
eben wie dreißig. aber wenn du eh noch so gut aussiehst ... (grins).
kaum vorstellbar, wie jung und gut ich aussähe, wenn ich nicht saufen würde ...; da würde glatt der spiegel platzen!
aber inzwischen bin ich 48, und eigentlich wurde ich auch immer jünger geschätzt - und das nicht nur aus höflichkeit wie bei frauen üblich.
fühlen tu ich mich manchmal unbeschreiblich alt. vorallem wenn ich meine gedichte schreibe. also 100 jahre sind da gar nichts.
Immerhin weiß
ne, die hebamme sagte auf die frage meiner mutter, was ich denn sei:
"ein junge."
und als meine mutter dann weinte. sie hatte sich nämlich ein mädchen gewünscht, fügte die hebamme hinzu:
"an dem ist aber alles dran!"
Na dann
wie geht es dir jetzt?
Den Umständen
alles gute!
Danke.