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Ohne Boden

Flur

Nachdem ich den großen Fehler gemacht hatte, meinen Flur mit ecrufarbenem Teppichboden auszulegen, mußte jetzt nach nur fünf Jahren der fleckige Überrest einem neuen, dunkelroten Teppichboden weichen. Genau in meiner Lieblingsfarbe, etwas changierend und passend zu dem als Vorhang mißbrauchten indischen Pashmina-Schal. Nicht verstehe ich allerdings, daß mein Rücken solche Aktivitäten so übel nimmt. Da heißt es immer, Bewegung sei gut für den Rücken und bewegen kann man sich bei vielen Tätigkeiten. Wenn ich also renoviere, das Bad fliese oder aber Teppich auslege, dürfte das eigentlich nicht viel andere Folgen habe, als wenn ich Sport mache. Und trotzdem war ich hinterher nicht mehr in der Lage, die Schränke wieder einzuräumen, sondern steif wie ein Brett und mit dem Gefühl, eine Straßenbahn sei über mich hinweggefahren. Ich mußte die Schuhberge deshalb erst einmal zwei Tage im Zimmer verteilt liegen lassen. Früher habe ich alles ruckzuck am Wochenende erledigt, hab höchstens ein bißchen geschwitzt. Und meine Ärztin fragt mich noch, ob ich Streß habe, da ich dauernd Gastritis kriege. Sowas kann nur jemand fragen, der keine Rückenschmerzen hat. Was soll man da antworten? "Nö, wenn ich ganz still liege, nicht atme und nicht aufs Klo muß, habe ich keinen Streß." Es ist sicher kein Zufall, daß es mit den Magenproblemen genau ein halbes Jahr nach Beginn der Rückenschmerzen anfing. Rückenschmerzen sind Streß pur und ich rede dabei noch nicht einmal von den vielen Terminen, die man plötzlich zusätzlich hat. Sogar Herr N. meinte, da lege er sich doch lieber eine andere Krankheit zu, mit welcher er nicht dauernd irgendwo hinrennen muß. Man hat nicht nur deshalb auf einmal viel weniger Zeit als früher, sondern auch, weil man für alles länger braucht, was man sonst im Vorbeigehen erledigen würde. Wenn man Pech hat, muß man sogar alles stehen und liegen lassen und hat dann später, wenn man sich wieder bewegen kann, das doppelte bis dreifache Pensum in weniger Zeit zu bewältigen, um in einen einigermaßen zivilisierten Zustand zurückzukehren. Außer natürlich, es gibt Kinder oder Bedienstete, die man herumscheuchen kann. Kurz gesagt ist es eine sich abwärts bewegende Spirale, in welcher man sich in immer weniger effektiv neben der Arbeit nutzbarer Zeit, vor immer größere Herausforderungen gestellt sieht, bis man das Gefühl hat, daß alles über einem zusammenbricht. Wieviele Jahre kann man sowas wohl mitmachen, ohne "richtig" krank zu werden? Oder bin ich es vielleicht schon? Zum Glück habe ich viel zu wenig Zeit, um darüber nachzudenken, aber immer dann, wenn ich sie habe, ist jetzt nicht nur das Sterben meines Vaters, sondern auch das meiner Großmutter präsent, so wie ich es aus Erzählungen kenne, weil ich damals erst fünf Jahre alt war. Ich frage mich, ob es hochmütig ist, sich zu sicher sein und die Angst zu verdrängen, oder einfach nur einfältig. Warum sollte das Jahresende tatsächlich der rettende Strohhalm sein und warum denke ich bereits drei Monate vorher, daß mir jetzt DAS nicht mehr passieren kann? Woher will ich wissen, daß ich nicht einer dieser vielen Ichnichse bin, die sich eines besseren belehren lassen müssen? Habe ich vielleicht noch viel weniger Zeit, als ich überhaupt ahne? Nur gut, wenn einem dann die Zeit zum Nachdenken fehlt.

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