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Montag, 17. Juli 2006

Neues aus dem Krankenhaus

Da war ich wohl ein klein wenig zu optimistisch, als ich dachte, dass mein Vater es eventuell bald schaffen könnte wieder zu sitzen. Im Moment kann er sich noch nicht mal selbst auf die Seite drehen. Die Narbe heilt schlecht, ist immer noch ein ganzes Stück offen und anscheinend hat er auch immer noch starke Wundschmerzen. Als die Schwester kam, bat meine Mutter, das Krankenbett am Kopfende etwas höher zu stellen und schon bei der kleinsten Bewegung sah ich, wie er zusammenzuckte und laut aufschrie. Er schreit auch, wenn man seine Füße etwas stärker bewegt, was ich mir nur so erklären kann, dass er durch das lange Liegen noch steifer geworden ist, da er ja vorher schon Arthrose hatte. Vielleicht ist er auch tatsächlich durch das Morphium, das er noch immer bekommt und die starken Schmerzmittel, die er schon vorher genommen hat, schmerzüberempfindlich geworden ist, denn früher kannten wir das an ihm überhaupt nicht, im Gegenteil, meine Mutter und ich haben uns immer über sein dickes Fell gewundert.
Sie wollte ihm dann heute unbedingt die Zehennägel machen, obwohl er schon die letzten Tage immer abgewehrt hat und sie nicht an die Füße ließ. Er hat dabei geschriehen wie am Spieß, wenn ich allerdings sehe, dass meine Mutter den halben Zehennagel abknipst bis ins Nagelbett, dann wundert mich das überhaupt nicht, da würde ich wohl auch schreien. Eigentlich fand ich seine Zehennägel gar nicht so unerträglich lang, wie meine Mutter meinte, dass man ihm dieser Tortur nun unbedingt unterziehen müsste. Sie sind einfach total verwachsen, verdickt und pilzig, aber da hilft auch das Abknipsen nichts und so lange sie nicht wirklich zentimeterlang sind, würde ich da gar nichts machen. Aber meine Mutter fühlt sich einfach nicht wohl, wenn sie nicht stundenlang an einem rummachen kann, das kenne ich ja noch von meinen eigenen Krankheiten.
Ich konnte beobachten, dass sie jetzt meinem Vater gegenüber immer solche Bewegungen und Gesten macht, wie sie das sonst bei Säuglingen, Kleinkindern und bei unserer Katze getan hat. Und augenblicklich sehe ich dann eine steile Zornesfalte auf der Stirn meines Vaters erscheinen, doch da er heute nur gehustet hat und kaum sprechen konnte hat er nichts gesagt. Ich vermute, dass es diese Dinge sind, die ihn meiner Mutter gegenüber aggressiv machen, und ich kann das nur zu gut verstehen, da das genau diese Dinge sind, die mich selbst oft auch schon aggressiv gegenüber meiner Mutter gemacht haben, aber das ist ein anderes Kapitel für sich und ich mische mich da auch nicht mehr ein, weil ich nicht vor habe, meine Mutter noch zu ändern.
Er hat mir heute ein Stück Bulette, fünf Erdbeeren und drei Stück Schokolade abgenommen. Ich hatte den Eindruck, dass er von den Erdbeeren noch mehr genommen hätte und meinte zu meiner Mutter, dass sie anscheinend mehr davon mitbringen könne. Darauf sagte sie, dass das aber nichts nützt, weil die Erdbeeren kein Protein enthalten und nicht das sind, was er essen soll. Also so ein Schwachsinn! Ich finde, wenn es irgendwas gibt, was ihm schmeckt und was er ißt, dann soll er so viel davon essen, wie er will, egal ob das nun gerade das ist, was er angeblich braucht. Schließlich lebt man ja nicht nur von Proteinen und die Dinge an denen man sich erfreut, sind ja für den Lebensmut oft viel wichtiger, als alles andere. Und überhaupt geht es hier vielleicht gar nicht mehr um das Gesundwerden, sondern nur noch darum, eine schwere Zeit etwas zu erleichtern.

Jedenfalls, wie ich meinen Vater heute so sah, erschien er mir wirklich sehr alt und eingefallen, er sah genau so aus, wie ich das von sehr alten pflegebedürftigen Personen in Altenheimen kenne, alleine schon das Aussehen und die Art wie er sich bewegt, bzw, nicht bewegt, die Hände hält usw. Für mich ist das gar nicht einfach, sowas zu sehen, deshalb bewundere ich immer das Pflegepersonal, die tagein, tagaus mit solchen Menschen zu tun haben. Mich macht ein Tag allein schon richtig depressiv, allerdings gilt das generell wenn ich solches Elend sehe, nicht nur wenn es mein Vater ist. Aber wahrscheinlich entwickelt man mit der Zeit, wenn man einen solchen Beruf hat, eine gewisse Kunst, sowas nicht zu sehr an sich ran zu lassen, was ja auch viel vernünftiger ist. Denn alleine durch mitleiden hilft man ihnen ja nicht. Auf der Station gibt es eine Schwester, zu der er immer "olle Tante" sagt. Es ist bewundernswert, mit wieviel Humor sie das nimmt. Sie kommt dann ins Zimmer rein und sagt zum Beispiel: "So, hier kommt die olle Tante und bringt ihren Tee....". Schade, dass er das nicht hört.

Nach dem Krankenhausbesuch haben wir uns das Pflegeheim angeschaut, in welches wir versuchen werden, ihn unterzubringen, falls er es schafft, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Es war irgendwann klar, dass meine Mutter das nicht schaffen kann, selbst mit Hilfe. Das Pflegeheim ist nur quer über die Straße von der elterlichen Wohnung, so dass meine Mutter da jeden Tag schnell hin kommt und es gefällt mir ausnehmend gut. Fast könnte man ein bißchen neidisch werden, denn es ist wirklich sehr schön da, sehr gemütlich, mit einem großen Garten und Terasse, einer großen Dachterasse, wo man weit über die Dächer schauen kann, alles sehr liebevoll gestaltet, dekoriert, wirkt sehr heimelig, überhaupt nicht wie ein Heim. Nun wird er davon nicht viel haben, wenn er nur noch liegen kann, aber man hat doch das Gefühl, dass er da gut aufgehoben wäre. Allerdings ist es auch entsprechend teuer, doch glücklicherweise hat er ja finanziell so ausgesorgt, dass es da keine Probleme geben wird.

Danach habe ich dann wieder bergeweise Papier weggetragen und zerschreddert. Meine Mutter hatte beim Aufräumen eine abschließbare Kassette mit Zahlencode gefunden, die sie nicht auf bekam. Wir also an dieser Kassette rumgebastelt, es hat immer sehr geklappert und nach Geld geklungen, meine Bruder unkte schon, dass mein Vater wohl seine Diamanten darin verwahrt hätte. Schließlich hat er sie ganz rabiat mit einem Schraubenzieher aufgebrochen und darin fanden wir zwei kirchliche Spendenbecher mit noch echten ehemaligen Pfennigstücken darin und außerdem ein Portmonnaie mit tschechischen Münzen und Papiergeld. Da die Kassette schon vor dem Öffnen so aussah, als hätte daran jemand rumgefuhrwerkt, habe ich ja den starken Verdacht, mein Vater wußte selbst nicht mehr den Zahlencode zum Öffnen. Es ist wirklich sagenhaft, was meine Mutter beim Aufräumen alles findet. Unter anderem einen riesigen Berg von Spendenquittungen für jede Art von Vereinen und Stiftungen. Es ist unglaublich, wie großzügig mein Vater spenden konnte, und wen er alles unterstützt hat: die Indianer, die Tiere, afrikanische Kinder, die Arthrosestiftung, kirchliche Stiftungen usw. usf. Unglaublich deshalb, weil er der Familie gegenüber immer mehr als geizig war und ich bin mir auch nicht sicher, ob er gespendet hat, um zu helfen, oder ob er sich immer von den kleinen Geschenken locken ließ. Ich kann mich noch erinnern, wo ich ihn das letzte Mal zu Hause gesehen hatte, wie er da von so einer Spendenorganisation einen Blech-Indianeranhänger bekommen hatte, völliger Tünnef, und sich freute wie Bolle. Außerdem ist meine Mutter gerade dabei, sämtliche Abonnements wie zum Beispiel bei der Münze, bei diversen Klassenlotterien u.ä. zu kündigen und es trifft täglich neue Post ein.