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Dienstag, 18. September 2007

Aus dem Nachwort zu den Hesse-Gedichten

Ähnlich ungebrochen antwortet Hesse selbst im Januar 1934 einem Kritiker seiner Verse: "Ich habe in der Tat vor 'Herz und Schmerz' nicht die mindeste Scheu. Ich bin der Meinung, dass diese Reime, ständige Ornamente im Volkslied, schon den Eichendorff oder den Goethe keineswegs durch ihre Originalität erschüttert haben, sondern daß sie von allen deutschen Dichtern einige Jahrhunderte lang ebenso natürlich und harmlos gebraucht wurden, wie wir uns der Buchstaben und Interpunktion bedienen. So wenig ich das Bedürfnis habe, plötzlich das Komma oder das Fragezeichen durch irgendwelche neue Zeichen in irgendeinem persönlichen Jugendstil ersetzen zu wollen, habe ich Bedenken, diese alten heimeligen Reimpaare immer wieder zu verwenden. Die Sprach-Turnereien heutiger Originale werden altes Blech sein, noch ehe ihre Schöpfer graue Haare kriegen."...
...Die Liedhaftigkeit, die das Inhaltliche auf eine Weise in Klang und Rhythmus zu verwandeln vermag, daß es im Hörer auch unbewußt wirkt und weiterlebt, gehört zu den Geheimnissen der Lyrik und unterscheidet sich deutlich von Epik und Prosa. Doch geht jedes Abweichen von den traditionellen Effekten des Reims und Rhythmus auf Kosten des spezifisch Lyrischen und nimmt dem Gedicht etwas von dem, was es ausmacht, seine Mehrdimensionalität.
Deshalb kann Hesse den Vorwurf, artistisch einfallslos oder gar ein Epigone zu sein, getrost in Kauf nehmen, solange in den Gedichten seiner kritischen Kollegen das Neue einzig darin besteht, einen mehr oder weniger klaren Prosasatz schon dann als Gedicht auszugeben, wenn er in die äußere Form eines Gedichtes gebracht worden ist....
....Daß solche Gebilde, um noch als Gedicht begriffen werden zu können, geradezu angewiesen sind auf Interpretations-Prothesen, ist nicht verwunderlich. Ihre philologische Eingemeindung in die Gattung der Lyrik ist denn auch schwierig und macht sie abhängig vom Einfallsreichtum der jeweiligen Auslegung, zumal das einzige poetische Element, das solche "Gedichte" dann im Idealfall noch haben, aus komplizierten Analogien besteht, die entschlüsselt und begreiflich gemacht werden müssen.

(Volker Michels)

Die alte Shoppingmeile

Just (Hab ich heute einen niederdeutschen Bauern gefrühstückt?) mußte ich an die Einkaufsrunden aus meiner DDR-Kindheit denken, die ich immer mit meiner Mutter zusammen absolvierte. Diese begannen bei dem Gemüseladen, in welchem man Gemüse kaufte, führten die Straße entlang zum Käseladen, wo man Käse kaufte, weiter zum Fleischer, bei welchem man Wurst und Schnitzel holte, um die Ecke herum zum Fischladen, wo eventuelle Fischgelüste befriedigt wurden und nochmals um die Ecke zum Bäcker. Hier bekam man ofenfrisches Brot und Brötchen. Im Gemüseladen roch es meist erdig, mit einem Hauch Suppengrün, im Käseladen duftete es würzig-pikant, so dass einem sofort beim Eintritt das Wasser im Mund zusammenlief, beim Fleischer war die Luft ebenfalls würzig, allerdings weniger pikant, als vielmehr mit einem Schuß Blut vermengt, im Fischladen roch es keineswegs stark nach Fisch, sondern überwiegend nach Meerwasser. Dort gab es noch Bottiche mit lebenden Fischen. Wenn man einen davon wollte, wurde er mit dem Kescher herausgefischt und mit der Holzhammermethode erledigt. Und beim Bäcker duftete es herrlich nach Frischgebackenem. Für mich fiel immer sofort etwas ab: im Gemüseladen noch nicht so viel, außer es gab mal Bananen oder anderes rares Obst. Die ollen Äpfel wollte ich nie. Im Käseladen erhielt ich eine Scheibe butterweichen Käse in die Hand gedrückt und beim Fleischer eine frische Wiener. Aus dem Fischladen zog ich nie ab ohne meine geliebte Anchovispaste (die ich natürlich nicht aus der Hand aß) und beim Bäcker bekam ich ein Schweineohr, Mürbeplätzchen oder ähnliches. Manchmal erlaubte mir meine Mutter sogar, das ofenfrische Brot mit der verführerischen Kruste anzuknabbern, welches ich im Arm trug. Meist war ich nach solch einer Einkaufstour seelig und satt.
Wenn ich heute im Supermarkt bin, riecht es, wenn ich Glück habe, nach gar nichts, und wenn ich Pech habe, nach verfaulten Kartoffeln.