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Die Gedichte meines Vaters

Meine Mutter gab mir heute einen Packen Zettel mit, die sie irgendwo gefunden hat und die Gedichte und kurze Tagebuchnotizen meines Vaters enthalten. Nicht sehr viel - ich weiß nicht, ob es davon noch mehr gibt -, aber das größte Problem ist seine Schrift. Es ist fast unmöglich, diese zu entziffern. Ein einzelnes Gedicht ist mit Schreibmaschine geschrieben, welches, wie ich finde, sein ganzes Leben und Dilemma sehr genau zusammenfaßt:

Einsam, immer wieder einsam,
ach, was hab' ich schon gebangt, gefleht;
einsam, immer wieder einsam,
nie ein Mensch an meinem Wege steht.
Nie ein liebes, holdes Mädchen,
das mit glücklich strahlendem Gesicht
spricht: ich liebe dich!

Einsam, immer wieder einsam,
warum lern' ich nie die Welt verstehn?
Steh' ich still und schau ich tiefer,
rufen dunkle Stimmen: weitergehn!
Niemals, niemals rührte mich im
Herzen fremdes, grauenvolles Leid,
ich bin Einsamkeit.

Einsam, immer wieder einsam,
schauderhaftes Schicksal meiner Nacht:
Du hast mich voll bittrer Kälte,
seelenlos und lebenskrank gemacht.
Wie ich sehne mich nach Liebe,
kann kein Mensch auf dieser Erd' versteh,
so soll's weitergehn?

Ich wußte, daß er es weiß. Und trotzdem hatte er in seinem Unglück auch sehr viel Glück. Er hatte eine Familie und eine Frau, die ihn trotz allem nie fallen gelassen hat. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er sich dessen bewußt ist oder es jetzt wird.

In einer Notiz schreibt er:

"Ofui, Teufel! Wie sind die Menschen alle so verlogen! Die ganze Welt wird durch sie verdorben! Und da soll es nicht gären? Was ich will, weiß ich noch nicht, auf jeden Fall aber etwas "anderes" - als das, was augenblicklich besteht...
...Als Christ würde ich es nicht aushalten, KEIN Theologe zu sein; da ich aber "Literat" (!) werden will, kann ich kein Christ sein, denn sonst müßte ich mein Berufsziel aufgeben."
ElsaLaska - Do, 23:43

Stiller Respekt.

Vor diesen Ansprüchen deines Vaters. Zunächst mal.
Wenn ich auch einräumen muss, dass es ziemlich viele Christen gab, die theologisch und literarisch wirklich viel geleistet haben und damit auch aufwiesen, dass das eine das andere nicht ausschließen muss.
Aber darum ging es nicht wirklich grad. I know.

Ich wüßte auch nicht,

warum man als Christ kein Literat sein könnte und kann dazu nichts weiter von dem Zettel entziffern. Aber irgendwie ist das auf gewisse Weise typisch.

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