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Die Gedichte meines Vaters | 3

Noch jetzt ich täglich mich entzünde
an deinem lieben Augenlicht.
Ich weiß: auch das ist keine Sünde,
DEIN Mund in meinem Herzen spricht.

Wann wirst du wieder mir erscheinen
bei mir zur Nacht? - die Couch ist weich -
und unsre Seelen sich vereinen -
die deine ist ein tiefer Teich.

Es wartet schon die Schokolade,
"Halbbitter", "Vollmilch", "Nuß", "Kakao";
die Liebe dein ist niemals fade;
drum nenne ich dich stets: Oh Frau!

Den Busen dein mit Küssen decken,
umfangend EIN Fleisch nur zu sein,
die Freuden höchster Wollust schmecken
- und dennoch bleiben herzensrein!

Die Couch ist sanft, dein Fleisch ist weich
- zwei Herzen Liebe sich gestehn -
die Seele dein ein tiefer Teich,
es dämmert schon? Auf Wiedersehn!

29/10/55

Das ist ja auch wieder absolut typisch, daß er von Schokolade schreibt. Er konnte schon immer von Süßem nicht genug bekommen. Im November 1955 wurde mein Bruder geboren. Wenn ich also davon ausgehe, daß er meine Mutter meint, läßt sich erahnen, warum er in diesem Gedicht Schokolade braucht. Das dürfte sein letztes Gedicht gewesen sein. Genau wie mein Großvater, sein Vater, hat er anscheinend ab dem Zeitpunkt, an welchem er Familie hatte, nichts mehr gedichtet. Wahrscheinlich fordert Familie einfach zu viel Realitätsbewußtsein und ist deshalb der Dichtkunst einigermaßen abträglich.
WilderKaiser - So, 11:28

Ich finde es ja immer wieder spannend, schriftliche Aufzeichnungen der Eltern zu lesen (auch wenn das in meinem Fall eher unbeabsichtigt war). Da geht es dann querbeet durch den Gefühlsgarten. Irgendwie ist es sehr kunstfertig, wie dein Vater mit einzelnen Motiven und Begriffspaaren spielt; jedenfalls ahnt man, dass in deiner Familie eine kleine musische Tradition vorhanden sein muss. :-)
LG, WilderKaiser

Ja, spannend

ist es sehr. Und das querbeet durch den Gefühlgarten kann auch ziemlich aufwühlend sein, selbst wenn es nichts ist, was man nicht schon längst geahnt hat. Ich habe erst hin- und her überlegt, ob ich diese doch sehr intimen und authentischen Gedichte öffentlich machen soll oder ob dies nicht eine "Grenzverletzung" wäre. Allerdings war es in unserer Familie immer so eine Sache mit den Gefühlen. Ich hatte zwar ein loyales und sicheres Elternhaus, aber Gefühle wurden selten bis gar nicht gezeigt. Insbesondere mein Vater hat sich immer versteckt und war nicht erreichbar, meine Mutter war aber auf anderer Ebene ebenso (siehe "Weinerlichkeit" aus einem vorigen Eintrag). Ich habe mich deshalb entschlossen, stellvertretend für ihn und völlig unbarmherzig, wenn auch weitgehend anonym, die Mauer niederzureißen, ob es ihm nun passen würde oder nicht.

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