Das Liebesleben der anderen
Gut, das ist jetzt vielleicht kein angemessenes Karfreitagsthema, aber meine Nachbarn nehmen darauf keine Rücksicht und das ist gut so, steht doch schon in der Bibel, der Mensch solle fruchtbar sein und sich mehren. Ich möchte mich hier keineswegs über meine Nachbarn beschweren, denn ich höre ihnen gerne beim Sex zu. Also nicht so, daß ich darauf aus bin und auf voyeurhaftes Lauschen stehe, aber wenn etwas zu hören ist, stopfe ich mir auch nicht die Ohren zu, sondern mir gefällt es, zumindest bei ihnen. Es gibt Paare, denen hört man gerne zu, und es gibt Paare, die nerven. Wahrscheinlich ist es eine glückliche Fügung, daß es ein Pärchen unter meine Wohnung verschlagen hat, welches zu ersterer Kategorie gehört. Nicht daß ich ansonsten viel mit ihnen zu tun hätte oder sie übermäßig sympathisch finden würde. Sie sind noch sehr jung, Anfang zwanzig würde ich schätzen, und ihr einräucherndes Wesen ist manchmal ziemlich lästig. Aber während ihrer intimen Zweisamkeit erinnern sie mich immer an das Taubenpaar, das in einem Sommer ihr tägliches Stelldichein auf meinem Balkon hatte. Es klingt sehr echt und glücklich, kein angestrengtes Porno-Gestöhne, sondern glückseliges Jauchzen und Jubilieren, ab und zu unterbrochen von Kirchern und verliebtem Gurren. Man bekommt sogar vom Zuhören gute Laune, jedenfalls freue ich mich immer für sie mit. Heute allerdings hat es sich auch ein bißchen so angehört, als hätten sie sich dabei von Schränken und Tischen gestürzt. Egal, irgendwie hat man ja doch lieber glückliche Menschen in seiner Umgebung, als zum Beispiel verbitterte Alte oder Paare, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Mein erster Nachbar in der Nebenwohnung hatte eine Partnerin, mit der er sich regelmäßig so gestritten hat, daß man dachte, die bringen sich gerade um. Da wurden Türen geschmissen, was das Zeug hielt, und zwar derart, daß davon sogar meine Wohnungstür manchmal aufgesprungen ist. Seit dieser Zeit habe ich die Angewohnheit, von innen das Sicherheitsschloß zu schließen. Einmal knallte es in solch einer Lautstärke, daß es klang, als sei der ganze Fußboden mitsamt allem, was darauf ist, zur darunterliegenden Wohnung durchgebrochen. Am nächsten Tag konnte ich dann den Nachbarn mit einer Halskrause um das Genick begrüßen. Die junge Frau, die vor dem Pärchen in der Wohnung unter mir wohnte, hatte ein eher sporadisches Liebesleben mit langen Pausen und eine obsessive Leidenschaft für das Lied "Tränen lügen nicht", welches oft und gerne außerhalb der Zimmerlautstärke und in Endlosschleife gehört wurde. Das Pärchen dagegen, das jetzt die Nebenwohnung bewohnt, höre ich weder miteinander reden noch miteinander schlafen und das macht mir, ehrlich gesagt, Angst. Während mich früher noch die extreme Hellhörigkeit in diesen Wohnungen geärgert hat, stelle ich fest, daß ich mit zunehmendem Alter mehr Gefallen an dieser Geräuschkulisse finde, weil man sich darin so ein bißchen eingebettet fühlt. Und ich möchte nicht wissen, was meine Nachbarn von den Geräuschen halten, die aus meiner Wohnung kommen, zumal sicherlich teilweise etwas befremdlich, wenn ich da zum Beispiel an die experimentelle Klangschalen-Massage denke oder meine üble Angewohnheit, sobald ich mich alleine und ungehört wähne, ganz unvermittelt und auch gerne ohne äußeren Anlaß "Coooooooooooool!" zu rufen, mit einem kleinen kindlichen Juchzer am Ende.
zuckerwattewolkenmond - Fr, 17:36
Coool
Also