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Sturmnächtlicher Segen

"Die Muschel von Vineta", heute ausgelesen, erinnerte mich an einen Ostseeurlaub während der legendären Sturmnächte der 90iger, als jede Menge Yachten abgesoffen sind und Prerow unter Wasser stand. Glücklicherweise hatten mein damaliger Freund und ich uns für einen anderen Zeltplatz als Prerow entschieden, so daß wir nicht weggeschwemmt wurden, und glücklicherweise konnte K. gut Zelte aufbauen, so daß wir auch nicht weggeweht wurden. Es wurde allerdings ziemlich naß, da es nicht nur stürmte, sondern ebenfalls in Strömen goß. Während der ganzen Nacht war um das Zelt herum solch ein entsetzliches Brausen und Lärmen zu hören, daß man hätte denken können, direkt vor dem Zelt stehe schon eine meterhohe Wasserwand und wir wachen schwimmend auf der Luftmatratze wieder auf. Am frühen Morgen führte mein erster Weg direkt zum Strand, während die Mehrheit der Urlauber ringsherum sich damit beschäftigte, ihre aus der Verankerung gerissenen Zelte wieder aufzubauen oder alles zusammenzupacken und abzureisen. Der Strand war völlig verwüstet und mitgrissenes Holz und Algen hatte das wütende Meer fast bis zum höchsten Punkt des Deiches zurückgelassen, während es jetzt wieder, als könnte es kein Wässerchen trüben, still und in sich zurückgezogen da lag. Dieser Anblick hat mich sehr beeindruckt. Und es sollte nicht die einzige Sturmnacht bleiben. Es folgten weitere, die zwar nicht mehr ganz so heftig waren, aber es regnete als hätte die letzte Sintflut begonnen. Schon am zweiten Tag hatte K. nur noch schlechte Laune, kam nicht mehr aus dem Zelt heraus und wollte unbedingt nach Hause. Mir dagegen, fing es genau jetzt erst richtig an Spaß zu machen. So hätte der Urlaub zumindest für mich weitergehen können. Ich glaube, solange ich einen warmen Schlafsack habe und meine Füße nicht kalt sind, kann um mich herum die Welt untergehen. Vielleicht war ich in einem meiner früheren Leben ein alter Seebär. Das würde erklären, warum meine Barthaare selbst während der Chemo so hartnäckig sind. Man sagt ja, daß der erste Urlaub eine Bewährungsprobe für jede Beziehung ist, weil man sich dabei erst so richtig kennenlernt. Ein Sturmnacht- und Regenflut-Urlaub in nur einem gemeinsamen Zelt ist es noch viel mehr. Wenn die Liebe dies übersteht, übersteht sie noch manch anderen Sturm, würde ich meinen. Unsere tat es nicht.

Niemand hat mir gesagt, was ich unter tiefen Schmerzen ganz für mich selbst entdecken musste: das göttliche Gebot des Eigensinns. Niemand sagte mir, dass Eigensinn nicht dasselbe wie Egoismus ist. Hätte ich doch einen Lehrer gehabt, der mich Misstrauen lehrte gegen jene falsche Selbstlosigkeit, mit der man seine innersten Gefühle, seine Seele, verrät. Niemand hat mir gesagt, dass es nur ein einziges Gesetz gibt: Liebe. Wo ich lieben kann, da bin ich mein Ich. Und wo ich nicht lieben kann, da bin ich mir selbst ein Fremder.
(aus "Die Muschel von Vineta" von Bernhard Langenstein)

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