Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Sonntag, 9. Dezember 2007

Mein Vater ist heute 78 Jahre geworden.

Als ich zum Pflegeheim fahren wollte und die Menschentraube an der Bushaltestelle gesehen habe, dachte ich echt, ich bin im falschen Film. Die Busse waren heute fast noch voller als wöchentlich zur Hauptverkehrszeit. Ich frage mich, ob die Leute am Advent alle kein Zuhause haben. Meine Mutter hat meinem Vater zum Geburtstag einen kleinen, mit echtem Leder bezogenem Flachmann geschenkt, den sie mit Weinbrand gefüllt hatte. Sie hatte schon vorher immer eine unauffällige weiße Plastikflasche mit Rotwein mit in das Heim genommen. Ich fragte sie deshalb scherzhaft, ob sie ihn jetzt noch zum Alkoholiker machen wolle und sie meinte nur, was könne ihm denn schon jetzt noch passieren. Leider gab es auch an diesem Geburtstag wieder einen Todesfall zu beklagen, denn einige Tage zuvor ist ein Studienfreund meines Vaters gestorben. Als er das erfuhr, war er zwei Tage lang total geknickt. Heute wirkte er dagegen wieder sehr fidel, war aber völlig woanders. Schon gestern hatte er eine große Planung aufgestellt, wer alles zu seinem Geburtstag kommen solle und hatte überlegt, welches Zimmer er zum Feiern nimmt. Er war vollkommen im Dorf und im Zuhause seiner Kindheit. Auch heute wollte er dauernd seine Schuhe haben, um Bus zu fahren (in seinem Dorf fuhr natürlich nur alle paar Stunden der Bus, den man nicht verpassen durfte) und wurde dann ungeduldig, weil sich keiner bemüßigt fühlte, ihm Schuhe zu bringen. Soll ich vielleicht mit Pantoffeln Bus fahren? - fragte er und nannte meine Mutter mal wieder bekloppt, weil sie immer nur beschwichtigend abwinkte. Wir mußten darüber lachen, weil das so typisch ist - alle anderen sind bekloppt, nur er nicht. Aber in seiner jetzigen Situation wirkt dieses Spiel natürlich immer grotesker. Dann fragte er meinen Bruder und mich, was wir davon halten, daß meine Mutter immer sagt, er braucht keine Schuhe und soll liegen bleiben. Wir bestätigten dies eifrig und sagten, daß der Bus oft fahre, er brauche sich nicht zu beeilen und könne auch im Bett bleiben. Dann gab er mit den Schuhen Ruhe ("Ach, am besten ist, ich bleibe im Bett."), hatte aber immer Angst, daß wir nun den Bus verpassen. Er fragte, wo die Haltestelle ist, schaute dauernd auf seine Armbanduhr und rief: "Es ist ja schon dreiviertel Vier! Müßt ihr denn nicht los?" Wir sagten zwar, daß wir uns beeilen würden und die Haltestelle gleich um die Ecke wäre, aber so hat er uns dann mehr oder weniger rausgeschmissen. *gg*
Er war wirklich die ganze Zeit in dem Dorf seiner Kindheit, dachte wohl auch, er befände sich in seinem Elternhaus und ich war mir nicht mal sicher, ob er mich für den hält, der ich bin, oder nicht vielleicht für seine Schwester. Er erzählte nämlich auch wiedermal, daß er mich im Fernsehen gesehen hätte, sagte aber immer den Namen meiner Tante. Doch dann fragte er mich plötzlich, ob mir die Tochter seines Studienfreundes erzählt hätte, daß dieser gestorben ist. Ich habe nämlich einmal vor vielen Jahren, noch während meiner Ausbildung, während eines Praktikums, mit der Tochter zusammengearbeitet. Da war ich wiederum platt, daß er das noch wußte.

*das neunte Teetürchen, einen chinesischen Grüntee, schlürft*

Der Dorfdichter

Eine Geschichte wie aus ferner Zeit. Mit einem Bus fuhr ich durch dieses Dorf, zusammen mit meinen Klassenkameraden. Wir waren auf Klassenfahrt und hielten hier kurz. Ich stieg für einen Moment aus und als ich wieder einsteigen wollte, schloß die Tür vor meiner Nase und der Bus fuhr davon. Die haben mich einfach hier in diesem gottverlassenen Nest vergessen und zurückgelassen. Im Traum habe ich jedoch Schwierigkeiten einzuordnen, ob das gerade erst passiert ist oder schon vor mehreren Jahren, denn obwohl ich meine, fremd hier zu sein, scheine ich doch einige Leute zu kennen und gehe geradewegs zu einem Garten, der etwas entfernt vom Dorfkern liegt. Eine ältere Frau bewirtschaftet ihn. Ich gehe in den Garten hinein und finde sie, wie sie gerade mit einem Eimer Schlamm schöpft. Ich begrüße sie, sie kennt mich schon und ich sie, und helfe ihr, indem ich ebenfalls einen kleinen Buddeleimer mit Schlamm fülle und neben den Gartenweg stelle. Wir unterhalten uns über jemanden und dann verabschiede ich mich wieder. Sie begleitet mich zum Gartentor, verbarrikadiert sich dahinter und lächelt mich an. Zwischen ihren Vorderzähnen hat sie eine kleine Zahnlücke und sie trägt eine Brille. Schade, daß sie da so hinter dem hohem Tor steht, denn ich hätte sie gerne umarmt oder mich von ihr umarmen lassen, aber das will sie wohl nicht. Ich gehe zum "dunklen" Dorfkern zurück, dunkel deshalb, weil der Dorfanger wie eine Insel voller dichter und hoher alter Bäume mitten auf dem freien Platz zwischen der Dorfstraße liegt. Die Bäume auf dem Dorfanger stehen so dicht, daß es dort tatsächlich sehr dunkel ist und der Anger ist ziemlich groß, womit er fast wie ein kleiner Wald wirkt. Ich spaziere in diesen Wald hinein und treffe auf ein Denkmal zwischen den Bäumen, welches mich seltsam fasziniert. Es zeigt die dunkel verwitterte Gestalt eines jungen Mannes, um welche herum ein kleiner quadratischer Platz mittels Steinen und Hecke abgeteilt wurde, ungefähr so wie bei größeren alten Familiengräbern auf dem Friedhof. Dieser Platz scheint dem Gedenken zu dienen, denn es liegen dort einige Blumen. Ich stütze mich mit den Armen auf die kleine Umfassungsmauer und betrachte das Denkmal genauer. Der junge Mann ist von schlanker, schöner Gestalt und hat ein fast engelhaft lächelndes schönes Gesicht. Ich weiß nicht, ob es seine Schönheit ist, aber irgendetwas berührt mich an ihm sehr. Neugierig suche ich das Denkmal und die Umfassungsmauer nach einem Namen ab, finde jedoch nichts. Aber ich scheine schon zu wissen, daß es ein Dichter ist. Das Denkmal erst einmal hinter mich lassend spaziere ich weiter und finde viel kleine, durch Hecken abgetrennte quadratische Plätze zwischen den Bäumen. Vielleicht bin ich ja hier auf dem Dorffriedhof gelandet. In der Dunkelheit sehe ich etwas entfernt ein schwarzes Tier hinter einem Baum erscheinen. Es kommt auf den schmalen, versteckten Weg getrottet, auf dem ich stehengeblieben bin, und ich kann nicht gleich erkennen, was es für ein Tier ist. Schließlich entscheide ich, daß es wohl ein Lämmchen sein muß, allerdings ein schwarzes. Nun bemerke ich neben mir außerdem noch viele kleine schwarze Kätzchen, die aus einer Hecke kommen und niedlich herumpurzeln. Das Muttertier stolziert hinterher und stellt sich dem schwarzen Lämmchen in den Weg, vielleicht um es zu beschnuppern. Das Lämmchen selbst ist nicht viel größer als die Katze und wirkt außerdem irgendwie krank oder unterernährt. Die Katze und das Lamm stupsen ihre Nasen zusammen, aber als die Katze ihre Zähne bleckt, wird mir schlagartig bewußt, daß sie trotz aller Niedlichkeit ein Raubtier ist und frage mich, ob sie das Lämmchen wohl angreifen und fressen wird. Die Kraft dazu hätte sie auf jeden Fall. Etwas besorgt beobachte ich die Situation, doch die Katze beißt dem Lämmchen nur in die Nase und läßt dann ab. Ich nehme jetzt den Weg zurück zum Denkmal und treffe dort einen Mann auf der Mauer lehnend. Ich lehne mich neben ihn und nutze die Gelegenheit, um ihn anzusprechen. Dabei sage ich ein wenig unsicher, daß dies also sowas wie ein Dorfdichter war und der Mann lacht bei diesem Begriff amüsiert und meint, so könne man es nennen. Ich weiß nicht, ob er mir auch den Namen nannte, aber er erzählte, daß dieser Mann Katzen in das Feuer warf und wohl auch sonst ziemlich bösartig und unausstehlich war. Das erstaunt mich etwas, weil es so gar nicht zum Aussehen passt, aber ja, es ist eigentlich nichts neues, daß auch schöne Menschen böse sein können. Nur geht man bei ihnen gerne und leicht vom Gegenteil aus. Doch diese Erzählung steigert mein Interesse und die Faszination für diese Gestalt nur noch mehr. Es ist jetzt, als würden sich die Zeiten ineinander verschieben, sich vermischen, denn plötzlich erscheint der Dorfdichter selbst an seinem Denkmal. Sein Aussehen erinnert mich an Johnny Depp in irgendeinem Film, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, denn er trägt einen seltsamen Hut, eine Mischung aus Zylinder und ballonartigem Aufbau, sowie ein buntes Halstuch, auf aristokratische Art gebunden. Neugierig folge ich ihm nun durch das Dorf, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er mich wahrnimmt und wir uns kennen, oder ob ich ihn nur beobachte. Persönlich ist mir aber, als würden wir uns kennen und uns sogar sehr vertraut sein. Während ich ihn begleite, bekomme ich einige wüste Beschimpfungen von ihm mit, die er gegen andere ausstößt, und sehe, wie er eine Katze ertränkt. Dann kommen wir, es ist inzwischen dunkler Abend, an einer langen und hohen Mauer vorbei, die sich entlang einer Straße hinzieht. An der Ecke der Mauer führt eine gewundene Treppe bis zu einer Art Aufbau auf der Mauerecke, welcher an eine Kirchenkanzel erinnert. Der Dorfdichter stürmt davon und auf diese Treppe. Im Laufschritt nimmt er die Stufen. Was will er denn jetzt, denke ich. Da bemerke ich mit Schrecken, daß er sich anscheinend von da oben hinunterstürzen will. Das ist ganz offensichtlich. Er läuft impulsiv die Kanzel und einen Teil der Mauer ab, um den besten Punkt dafür zu finden, und ich überlege fieberhaft, wie ich ihn davon abbringen oder was ich tun kann. Ich möchte nicht, daß er sich umbringt, denn ich habe ihn gerne und glaube, daß sein ganzes Benehmen aus einer Form von tiefer Verzweiflung zustandekommt. Auch die anderen Menschen auf der Straße bemerken jetzt, daß er sich hinunterstürzen will und rennen schreiend weg. Ich laufe hinterher, weiß aber selbst nicht warum, denke jedoch, daß ich sowieso nichts hätte tun können. Mit diesen anderen Leuten befinde ich mich jetzt in einer Gaststube. Es wird die Geschichte des Dorfdichters erzählt. Er sei einstmals bei einer Klassenfahrt hier zurückgelassen worden, und danach im Dorf geblieben. Wäre er nicht vergessen worden, hätte der Ort wohl nie einen eigenen Dichter gehabt. Eine Frau sagt, daß es Zeit wäre, den Morgen einzuläuten. Dabei klapst sie auf eine Uhr, die sofort beginnt laut zu ticken, so als hätte sie die vergangenen Stunden stillgestanden. Die Uhr zeigt genau sechs.
(Danach erwachte ich, es war ca. gegen 9 Uhr.)