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Dienstag, 27. Januar 2009

Schweben

Ich stelle fest, daß ich schweben und noch etwas anderes kann, zwei physikalisch völlig unnatürliche Dinge. Das beschäftigt mich sehr, denn eigentlich dürfte das doch gar nicht möglich sein. Ich probiere es immer wieder, sobald ich mich darauf konzentriere, kann ich in der Luft herumschweben, als wäre ich schwerelos, unglaublich. Das Gefühl, aber auch die Erkenntnis, daß dies entgegen aller gültigen Gesetze geht, ist überwältigend und etwas furchterregend. Vielleicht sollte ich auf einen Schrank eine Digitalkamera stellen und mich fotografieren, wenn ich mit den Beinen oben hänge, damit mir das jemand abnimmt. Ich überlege außerdem, über einen Fluß hinüberzuschweben, allerdings ist mir das dann zu riskant, denn sobald meine Konzentration abnimmt, könnte ich ins Wasser stürzen und das muß nicht unbedingt sein. Bisher habe ich über die ungewöhnlichen Fähigkeiten geschwiegen, aber jetzt kann ich es nicht mehr. Vielleicht ist es ja ein Familienerbe und mein Bruder kennt das auch, hat sich aber bisher nicht getraut, darüber zu sprechen. So ist es eventuell ganz gut, wenn jemand das Schweigen bricht. Während wir an einem Tisch zusammensitzen, sage ich deshalb ganz unverblümt zu meinem Bruder, daß ich schweben und ..... kann. Mein Bruder schaut mich an, als wäre ich übergeschnappt. Oh! Es war wohl ein Irrtum zu glauben, daß ihm diese Fähigkeiten bekannt sind. Anscheinend bin ich alleine damit. Auf dem Klavier meiner Mutter sehe ich jetzt Noten von Rilke. Besser gesagt, es ist ein Rilke-Gedicht, das nach Noten gespielt wird, aber dies kommt mir seltsam falsch vor. Ich denke mir, daß diese Noten, bzw. dieses Gedicht nicht wirklich zum einfachen Spielen gedacht sind, sondern eine tiefere, magische Bedeutung haben, weshalb man mit ihnen etwas anderes tun muß.

In einem zweiten Traum ist schon wieder A. zu Besuch. Diesmal sieht er sehr ausgemergelt aus und trägt einen Vollbart. Fast hätte ich ihn nicht erkannt. Ist er es überhaupt? Wenn ich genauer hinschaue, wandelt sich sein Aussehen in das eines blonden, athletischen jungen Mannes. Aber ist das A.? Ich betrachte die Details - sein Profil, seinen Mund - nein, er kann es definitiv nicht sein. Da gibt sich doch jemand bei mir für A. aus! Dies sage ich ihm geradeheraus ins Gesicht und er schaut mich durchdringend mit großen Augen an, fast ein wenig unheimlich. Sofort tut es mir leid, daß ich so offen war. Vielleicht ist er ein Verbrecher und hat nun Angst, daß seine Tarnung aufgeflogen ist? Dann bringt er mich vielleicht noch um die Ecke? Mir fällt ein, daß es auch der Kumpel von A. sein könnte. Der war blond und ebenfalls im Knast. Aber was will er jetzt bei mir? Ich entferne mich und M., mein früherer Spielfreund, kommt durch die Wohnungstür. Er will mich warnen und steckt mir deshalb unauffällig einen Zettel zu. Auf dem Zettel steht der wahre Name des Besuchers, welcher mir völlig unbekannt ist und den ich mir nicht gemerkt habe.

Bemerkung: Witzig, daß ich von den "Rilke-Gedichtnoten" geträumt habe. Ich wußte nämlich vorher nicht, daß ich auf der Ansprache heute Rilke zu hören bekommen würde. Es hat mich sogar einigermaßen überrascht.

Die Beerdigung

Warum müssen Beerdigungen immer so traurig sein? Meine Mutter wollte extra noch "Air" von Bach auf einem Cello spielen lassen, was glücklicherweise auch kurzfristig klappte, obwohl der Bestatter ihr nichts versprechen konnte, und die Pfarrerin begann ihre Rede gleich mit der Bemerkung, daß mein Vater ein großer Lyrikliebhaber gewesen sei und mit einem Gedicht von Rilke. Mein Vater und Rilke? Nun ja, die Gedichte von Christian Morgenstern mochte er lieber und wahrscheinlich hätte ihm so ein richtig bizzares aus den "Galgenliedern" gefallen, wie zum Beispiel:

Der Würfel

Ein Würfel sprach zu sich: "Ich bin
mir selbst nicht völlig zum Gewinn!

Denn meines Wesens sechste Seite,
und sei es auch Ein Auge bloß,
sieht immerdar, statt in die Weite,
der Erde ewig dunklen Schoß."

Als dies die Erde, drauf er ruhte,
vernommen, ward ihr schlimm zumute.

"Du Esel" sprach sie, "ich bin dunkel,
weil dein Gesäß mich just bedeckt!
Ich bin so licht wie ein Karfunkel,
sobald du dich hinweggefleckt."

Der Würfel, innerlichst beleidigt,
hat sich nicht weiter drauf verteidigt.


Aber sowas kommt bei Beerdigungen sicher nicht so gut an. Jedenfalls wußte ich schon, daß es besser ist, Taschentücher einzustecken und die brauchte ich auch. Der ausgesuchte Kiefernsarg mit den gelb-blauen Frühblühern sah wirklich gut aus, besser als in den Katalogen. Außerdem kamen sogar ein Pfleger und eine Pflegerin aus dem Heim und die Chefin meines Bruders.
Nach der Beerdigung waren wir nur noch Eisklötze und in der Gaststätte, wo wir danach aßen, war es nicht sehr viel wärmer. Erst langsam taue ich jetzt wieder auf. Zum Schluß wurden einige Beerdigungsanekdoten meines Vaters zum besten gegeben, da er ja als Pfarrer selbst viele Leute unter die Erde gebracht hat. Dabei ging ab und zu etwas schief, wie zum Beispiel in dem Fall, als er die Ansprache hielt und die Frau des Verstorbenen plötzlich völlig außer sich aufsprang und schrie: "Das stimmt alles gar nicht! Er war ein richtiges Ekel!" Mein Vater war darauf so verwirrt, daß er die Ansprache schnellstens beendete und den Sarg hinaustragen ließ. Er sagte später dazu, daß ihm sowas noch nie passiert sei. Auch die Beerdigung, als er spätnachts völlig besoffen und lauthals "Alles ist Scheiße!" grölend nach Hause getorkelt kam, ist in guter Erinnerung. Jetzt ist er ebenfalls unter der Erde und hat seine Ruhe.