Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Sonntag, 3. Juli 2011

Traumsplitter aus dem Krankenhaus

Meine Zimmergenossin im Krankenhaus schaute immer gern alte Westernserien und "Die kleine Farm". In irgendeiner dieser Serien kommt ein Westernheld mit roten Haaren und einem roten kleinen Kinnbart vor. In der Nacht träumte ich folgendes:
Eine schlauchartige Wohnung mit drei zusammenhängenden Zimmern, von denen eines ein Durchgangszimmer ist. Im dritten Zimmer fällt mir auf, daß ich beide Türen des Durchgangszimmers offen gelassen habe. Ich gehe zurück um sie zu schließen, da sehe ich, daß die Wohnungstür im ersten Zimmer ebenfalls offen steht. So etwas Dummes, da kann ja jeder hereinspazieren. Ich eile hin und stelle fest, daß tatsächlich bereits ein Einbrecher die Wohnungsschwelle übertreten hat. Er sieht aus wie obiger Westernheld, nur daß sein Bart meterlang ist und bis auf den Fußboden reicht. Als er flüchten will, packe ich das Ende von seinem Bart und halte es fest, so lange, bis ich ihm den Bart vom Kinn gerissen habe.

Western mit langem Bart sage ich da nur...

Komisch,

daß ich bei dem Wort "Massenaufläufe" zuerst immer ans Essen denke.

Zurück von der unfreiwilligen Brust-op

und mit einer Delle im Kotflügel. Mit 40 bin ich jetzt ein Auslaufmodell. Es gibt mich nur noch mit Beulen, Dellen, Schrammen und Ersatzteilen. In dem Zeitraum zwischen Chemo und Op hatte ich einen Energieschub wie in den letzten drei Jahren nicht mehr, und ich fühlte mich, als sei ich auf dem besten Weg zur Heilung. Bei der Sonografie vor der Op meinte die Ärztin zu mir, wenn man nicht von dem Befund vorher wüßte, würde man gar nichts mehr sehen oder erkennen. Natürlich hätte ich das Risiko eingehen können zu sagen: "Ok, danke schön - ich geh dann mal und komm nicht mehr zur Op." Ich entschied mich für die Nummer sicher, und heute fühle ich mich, als müßte ich noch einmal ganz von vorne beginnen. Das liegt nicht nur an der Brust-Op, sondern auch an den restlichen Ereignissen im Krankenhaus, bzw. an der Reaktion auf meine Reaktion.Auf einen kleinen oder größeren Schreck nach der Op war ich ja vorbereitet, obwohl ich natürlich auf das Beste hoffte. Darauf jedoch, nicht sagen zu dürfen, was ich denke, bzw. den Drill zu einer angepassten Krebspersönlichkeit, war ich nicht gefaßt, und ich glaube fast, das war der größere Schock. Jedenfalls bin ich jetzt am Überlegen, ob es mir wirklich etwas bringt, in eine Rehaklinik zu fahren, denn wenn es in anderen Klinik ebenso zugeht und man mit Angstmacherei gefügig gemacht wird o.ä., sobald man nicht so denkt, wie es erwünscht ist, sollte ich solche Anstalten vielleicht besser meiden. Aber von vorne:
Als ich um 7:30 h im KH ankam, mußte ich nur ganz kurz warten, dann kam ich schon ins Zimmer, und bevor ich überhaupt auspacken konnte, standen bereits die Schwestern mit Rasierer und Tablette hinter und neben mir. Diesmal hatte ich glücklicherweise ein Zweier-Zimmer und es wartete eine Patientin darin, die ich am Tag zuvor bei den Voruntersuchungen kennengelernt hatte und welche ganz genau dieselbe Prozedur durchmachen sollte. Der Schlaf war trotzdem nicht so doll. An die Flugschneise bin ich zwar von meiner Wohnung auch gewöhnt und das Zimmer ging zu einem kleinen Park hinaus, aber dahinter lauerte eine nachts doch ziemlich laute Straße und - richtig gruselig, aber nicht sehr laut - , man hörte besonders in der ersten Nacht die ganze Zeit in regelmäßigen Abständen einen Mann von draußen her stöhnen. Gut fand ich, daß ich diesmal, wie auch meine Zimmergenossin (2 cm größer als ich), eine Bettverlängerung bekommen habe. Wenn ich beim ersten Krankenhausaufenthalt gewußt hätte, daß es sowas gibt, hätte ich danach gefragt, aber stattdessen mußte ich immer meine Beine irgendwie verknoten. Die Schwester, darauf angesprochen, meinte zerknirscht, die seien eigentlich für Männer, aber die Frauen würden auch immer größer. Nach der Op hatte ich diesmal das erste Mal das Pech, daß mir kotzübel war. Das hatte ich sonst nie und ich vermute, daß der eigentliche Grund nicht die Narkose war, sondern das Schmerzmittel, das mir im Aufwachraum ungefragt reingejagd wurde. Ich kenne dieselbe Reaktion von Tramadol. Davon fange ich an, den ganzen Tag zu kotzen, ich kriege klapprige Beine und es dreht sich alles. Das hatte ich zwar angegeben, aber wahrscheinlich gibt es noch andere ähnliche Präparate, die ich auch nicht vertrage. Ich bin jetzt schlauer und werde NIE MEHR im Aufwachraum sagen, daß ich Schmerzen habe, wenn ich definitiv weiß, daß ich kein oder nur ein einfaches Schmerzmittel will. Jedenfalls lag ich dort völlig benommen, da es immer ewig dauert, bis ich richtig zu mir komme, und versuchte mich bemerkbar zu machen, indem ich meines Erachtens nur hauchte: "Mir ist übel!" und irgendwie schien es niemand zu hören, bis dann im letzten Moment doch jemand mit einer Schale neben mir stand. Nach mehrmaligem Übergeben war die Hälfte davon auf der Bettdecke und oben auf Station bezog die Schwester das Bett neu, worauf mir sogleich erneut übel war und die Schwester mich "streng" ermahnte: "Nicht auf die Bettdecke!" Sie sah sich wahrscheinlich schon das dritte Mal das Bett neu beziehen, hätte mir aber sicher nicht den Kopf abgerissen, denn sie war schon in Ordnung. Ich muß sagen, ich habe echte Hochachtung vor denen, die den ganzen Tag kotzende Leute im Job sehen und versorgen, wobei das wahrscheinlich im Gegensatz zu anderen Dingen noch eine Bagatelle ist, und überhaupt auch vor den Ärzten, die dauernd an Wochenenden im Krankenhaus sitzen und immer dünner werden. Seltsamerweise bekam ich diesmal nach der Op keine Infusionen, das wunderte mich ein wenig, da ich bei meiner Zimmergenossin, die wohl gleich nach mir an der Reihe gewesen ist, eine gesehen habe, aber das war ganz gut so, denn mein Blutdruck war stabil und hat keine Höhenflüge gemacht wie beim letzten Mal nach den Kochsalzinfusionen. Nach der Op fühlte ich mich erst einmal ziemlich erleichtert, das hinter mich gebracht zu haben und gleich am nächsten Morgen war die Chefarztvisite, wo die Kompressionsbhs bei uns abgenommen wurden. Beim ersten Blick von oben fiel mir sofort der ziemlich markante Form-und Größenunterschied auf, weshalb ich spontan äußerte, daß das komisch aussehe. Eigentlich erwartete ich, daß man noch ein bißchen was erklärt, vielleicht gesagt bekommt, daß man warten müsse, wie sich das noch zieht und das Gewebe abgeheilt ist, vielleicht auch, daß man noch später ein Beratungsgespräch über weitere Korrekturmöglichkeiten oder irgendsowas erhält. Halt etwas Praktisches. Stattdessen war die Ärztin sofort auf der Flucht zur Tür, jedenfalls kam es mir wie eine Flucht vor, und schickte die Pychologin zu uns beiden ins Zimmer. Diese erzählte uns dann von einer leuchtenden, schicksalsergebenen Krebsvorbildpersönlichkeit, der wir anscheinend nacheifern sollten. Ich fand das völlig daneben, denn das ist so die subtilere Art fünfte Klasse wie: "Die 'Marie' ist aber viel tapferer als du und weint auch gar nicht." Ich fand das schon als Kind schrecklich und für einen mündigen Erwachsenen, der man ja als Krebspatient immer noch ist, und welcher gerade emotional aufgewühlt ist und ganz andere Fragen hat, die ein Arzt besser hätte beantworten können, eher in diesem Moment Thema verfehlt. Später fragte ich meine Leidensgenossin, wie sie das fand, weil ich dachte, daß ich vielleicht nur zu überempfindlich bin, aber sie hat es als ebenso daneben empfunden. Immerhin schien es der Psychologin danach selbst aufzufallen, denn sie sagte noch in einem kleinen abschließenden Satz, aber auch das, was wir sagen, müsse gesagt werden dürfen. Das ist zwar richtig, doch wenn das jemand so sagt und uns dabei"bravere" Patienten vor Augen hält, impliziert das ja geradezu, daß es eigentlich etwas Ungeheuerliches ist, das zu sagen, und man dafür eine Extraerlaubnis braucht. Nachdem der Besuch der Psychologin ja schon fast wie eine Drohung, bzw. drohender Vorgeschmack, gewesen ist, hätte man natürlich einfach den gefügigen und demütigen Krebspatienten spielen können, den alle bemitleiden können und der anscheinend gewünscht wird. Normalerweise bin ich ja eher der Typ, der immer die Klappe hält. Wenn mir das Ergebnis beim Friseur nicht gefällt, dann schlucke ich das lieber runter und denke mir, daß die Haare wieder wachsen oder ich es mir selbst nachkorrigiere. Aber Brüste wachsen nun mal nicht wie Haare nach und auch nicht am Baum, deshalb bin ich der Meinung, doch ein Anrecht auf unterstützende weiterführende Informationen oder Hinweise in jeder Hinsicht zu haben. Es gibt ja Möglichkeiten. Ich kenne Patientinnen, die haben mit kleineren Größenunterschieden trotzdem Einlagen von der Krankenkasse bezahlt bekommen oder andere, die sich später haben die gesunde Brust angleichen lassen. Solche #Informationen bedeuten ja nicht automatisch, daß man sie hinterher auch anwendet, aber man sollte seine Wahlmöglichkeiten kennen dürfen. Und ich beschwere mich gar nicht oder mache irgendjemandem einen Vorwurf. Im Gegenteil, ich glaube tatsächlich, daß die Ärzte ihr Bestes und sich die allergrößte Mühe gegeben haben. Ich mag die alle und denke, daß sie mit Herz dabei sind. Es tut mir schon fast leid, daß ich ihnen damit, daß ich nicht wirklich glücklich mit dem Ergebnis bin, nun auch keine Freude mache, aber schließlich geht es ja um mich. Vielleicht hatte ich mir zuviel erhofft, denn ich hatte im Vorfeld Berichte von Chirurgen darüber gelesen, wie sie die brusterhaltenden Ops durchführen. Dabei wird der Tumor mit millimeterweisem Sicherheitsabstand herausgeschnitten und das ganze Brustgewebe aber dann mit Blick und Vergleich auf die andere Brust, wieder so geformt und angeglichen, daß hinterher bis auf die Narbe kaum etwas zu sehen ist. So hatte ich es mir erhofft. Die operierte Brust für sich alleine sieht ja an sich gar nicht schlecht aus bis auf die kleine Delle vorne. Sie ist straffer und kleiner und sieht deshalb fast so aus wie früher mit 16, aber zusammen mit der anderen ist der Unterschied doch ziemlich krass, besonders ohne BH. Und ich trage sowieso nicht gerne BHs. Ich habe damit erst mit 24 angefangen und zuhause lasse ich die Dinger weg. Ich bin froh, daß ich über dem Waschbecken keinen Spiegel habe, denn wenn ich mich hinunterbeuge ist es am schlimmsten. Außerdem hat man dauernd das Gefühl, daß man schief steht oder sitzt. Und Freibad oder Schwimmen wird wohl auch schwierig. Vielleicht zieht und "hängt" es sich noch von allein etwas aus, gleich etwas ändern lassen würde ich eh nicht, da erst einmal andere Dinge wichtiger sind. Am nächsten Tag jedenfalls war wieder Visite mit einer anderen Ärztin und Schwester. Sie fragte uns direkt, wie zufrieden wir sind und wir antworteten beide wahrheitsgemäß, daß wir nicht so glücklich sind. Anscheinend war das für die Ärztin unvorstellbar und nach ihrer Ansprache war meine Zimmerkollegin dann auch still. Ich dagegen beschloß, nicht mehr länger auf brauchbare Informationen zu warten, sondern direkt zu fragen. Als ich also freundlich Möglichkeiten, von denen ich gehört hatte, ansprach, guckten sie mich an, als wollten sie mich gleich auffressen. Jedoch wurde bestätigt, daß es die Möglichkeit der Angleichung gäbe. Dann wurde mir erklärt, wofür ich alles dankbar zu sein habe. Das muß mir allerdings niemand sagen, das weiß ich selbst sehr genau, wofür ich dankbar sein sollte und dankbar bin. Allerdings bedeutet Dankbarkeit ja nicht automatisch, daß ich jetzt alles ganz toll finden und mich mit allem zufrieden geben muß. Klar, wenn ich denken würde, daß ich bald sowieso tot bin, dann könnte ich so denken, weil alles egal wäre. Aber so denke ich nicht und fast scheint es mir, daß dies gar nicht erwünscht ist, denn gleich darauf erhielt ich noch mit extra viel Nachdruck an den Kopf: "Sie haben Krebs!", was sich zwischen den Zeilen aber mehr anhörte wie "Wir versuchen Sie hier vom elendigen Tode zu retten, also zicken Sie nicht wegen so einer Lappalie herum." Hurra! Und ich dachte, daß das alles bisher nur ein großes Freizeitvergnügen war und die Chemotherapie ein geselliges Zusammensein, weil ich so gerne kotze und mir nichts Schöneres vorstellen kann, als alle Haare zu verlieren. Es ist zwar nicht so, daß ich keine Angst hätte, aber weder habe ich vor, von der Angst mein Leben bestimmen zu lassen, noch mich damit zum willenlosen Patienten machen zu lassen. Auch mit Angst und mit Krebs bin ich noch mündig. Ich möchte deshalb ALLES wissen, was mich betrifft und was man mit mir vorhat, ich möchte ALLE Informationen, die ich brauche, ich möchte Mitbestimmung und Entscheidungsfreiheit. Wahlmöglichkeiten gibt es immer, auch wenn es nicht sehr viele sind. Und ich möchte von den Ärzten bei jeder Entscheidung, die ich treffe, unterstützt werden, auch wenn sie ihnen nicht in den Kram paßt. Ist doch eigentlich nicht schwer zu verstehen, oder?
Total erschüttert, jetzt nicht mehr von der Brust-Op, lag ich im Bett, als eine Schwester zum abendlichen Stechen und Messen ins Zimmer kam. Sie setzte sich auf mein Bett und sprach mich an, draußen erzähle man sich, ich fände das Ergebnis der Op scheiße. Hoppla, denke ich bei mir, jetzt verursache ich schon einen mittleren Aufruhr in der Klinik und das mit einer Aussage, die ich so nie getan habe. Das ist ja fast wie bei mir im Büro. Ich stellte also erst einmal klar, daß ich nicht gesagt habe, ich fände das Ergebnis scheiße, sondern daß ich damit (noch) nicht ganz glücklich bin. Sie fragte mich, was ich mir vorgestellt hatte, und das war das erste Mal, daß mich jemand wirklich gefragt hat, weshalb und warum das so ist. Wir unterhielten uns und sie fuhr dann schwere Geschütze auf mit ihrer eigenen Erkrankung und dem Brustkrebs einer Bekannten, so als wolle man mir erneut ein schlechtes Gewissen machen, aber bei ihr kam das alles sehr witzig rüber und ich hatte den Eindruck, daß sie mich wirklich nur aufmuntern wollte. Ich fand es auch supernett von ihr, daß sie, obwohl allein unterwegs und wahrscheinlich mit viel Arbeit, sich die Zeit genommen hat. Das Gespräch war nämlich aufbauender als das mit der Psychologin.
Am letzten Tag erzählte meine Zimmergenossin von einer Hautfalte an ihrer operierten Brust, die sie neben den Dellen störe und sie frage sich, warum die dran gelassen wurde. Ich als Laie denke mir, daß so eine Hautfalte relativ leicht zu korrigieren sein müßte, weshalb ich so dahin sagte, sie könne ja beim nächsten Termin die Hautfalte ansprechen. Darauf meinte sie, man traue sich ja gar nichts mehr zu sagen. Endlich durften wir das IrrenKrankenhaus verlassen. Den ersten Tag habe ich mich dann ganz pathologisch allein und in Ruhe ausgeheult, ohne daß gleich eine zentrale Krisenkonferenz einberufen wurde und eine Delegation von Gardinenpredigern an mein Bett gepilgert kam. Das tat gut. Aber fassungslos bin ich noch immer. Ich sitze die ganze Zeit herum, schüttele den Kopf und denke bei mir: Hast du das wirklich erlebt? Das kannst du doch gar nicht erlebt haben." Im Nachhinein empfinde ich das alles als sehr surreal und kafkaesk, nur daß es mich diesmal nicht an das Schloß (wie bei diesen Erlebnissen), sondern an den Prozeß erinnert.