Alien
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Was blieb...

Eisiger Wind hatte den tropfenden Tau alten Schnees zu bizarren Formen gefrieren lassen. Buchstaben und Schneeflocken tanzen vor meinen Augen. Das Bahnhofsdach. Ein leises Beben unter meinen Füßen. Es zieht sich hinauf bis in den Magen. Leicht nur, unmerklich. Schwankender Boden. Der Zug kann nicht mehr fern sein. Langsam kommt das Ungetüm gekrochen. Aber es schnauft nicht, nein. Das Zeitalter der Drachen ist vorüber. Widerstrebend hält das gestreifte Untier an. Eine Luke öffnet sich. Zwei Augen richten sich spitzbübisch auf mich herab. Der Zugbegleiter. So nennen sie sich wohl heute.
„Da denkt man, man hat Feierabend, und dann so was!“
Ich grinse höflich und beschließe, diese Bemerkung keinesfalls als eine Ausladung zu betrachten. Nur hereinspaziert. Enge Zugluft. Kabinenmief.

Schnell bugsiere ich den Koffer auf eine der Ablagen über meinem Kopf. Rotäugig grüßt die untergehende Sonne durch die verschlossenen Fenster. Stille Freude kribbelt in meinen Adern. Dies eine Gesicht begegnet mir stets auf das neue, überall, egal wo ich bin. Heimat.
Der Zug setzt sich schweigsam in Bewegung. Ein Geisterzug. Gibt es das? Wie Geisterschiffe nur toter. Heimlich ziehe ich die Sonne hinter mir her. Ein Papierdrachen. Die Leine lang lassen. Konturen verschwinden. Luft kräuselt sich in lautlosen Wellen. Hunderte Kilometer entfernt schwappt ein Zweig auf grünem Wasser. Ein Kind warf ihn hinein. Rannte fort durch den Sand, zu den krummen Tannen, sturmgebeugt.
„Warst du wieder am Strand?“ fragt die Mutter. Das Kind nickt.
Herzensschwer. Spürt die Kindheit gehen. Eine Ahnung von Leid. Heißer Kakao kriecht dampfend in die Luft. Was bleibt sind die Klänge, sind die Gerüche, sind die Farben. Alles übrige ändert sich.

Ein Mann, jung und blondhaarig, auf der anderen Seite des Ganges. Vertrauter Fremder mit gleichem Ziel. Lehnt mit bequemer Lässigkeit in seinen Sitz und liest.
Schwarzer Dampf, schnaubend. Verweinte Frauen halten sich am Taschentuch fest. Männer ziehen in den Krieg. Euphorisches Schlachtvieh. Der Sieg ist unser. Die richtigen Worte und der Massenwahnsinn nimmt seinen Lauf. Solche wissen, wie man mit Emotionen spielt. Alle Regierenden wissen das. Willige Herden. Mähääää!
Ich drücke mich tiefer in den verbrecherisch unbequemen Luxussitz. Würde mich gerne unterhalten jetzt. Woher des Weges? Wie war der Aufenthalt? Unverhoffte Muße. Willkommene Langeweile. Kostbare Antiquität aus früheren Zeiten. Das Kind pustet in den heißen Kakao. Nichts zu tun mehr heute. Das Leben ist lang.

Die Zugfahrt ist es auch und müde blättere ich in einem Magazin mit hochrot glänzenden Bildern, als er mich anspricht, dieser Mann. Wo hab ich ihn gesehen? Auf dem Bahnhof? Ich weiß es nicht. Lächelnd zeigt er mir seine Visitenkarte und behauptet, er wäre von den Janus-Wasserwerken. Bei mir dämmert’s. Warum jetzt?
Ich bedeute ihm, neben mir Platz zu nehmen und vorsichtig lässt er sich nieder, darauf achtend, seinen zerknitterten Trenchcoat nicht zu zerknittern.
„Sie sind eine Nachteule.“ sagt er. „Und Sie der Morgenvogel.“ antworte ich, den die Katze frisst - denke ich. Er hat verstanden. Seine blauen Augen blinzeln müde.
Aus der Manteltasche holt er ein in Zeitungspapier verschnürtes Paket, von welchem ich mich ob seiner Größe frage, warum ich es nicht schon durch seinen Mantel hindurch gesehen habe. Ein Trenchcoat mit ungeahnten Tiefen.
„Nehmen Sie.“ sagt er und legt es in meine Hände. „Von Rotkehlchen als er starb.“
„Er hat zu viel gesungen?“ frage ich, eher eine Feststellung denn eine Frage.
Morgenvogel nickt. „War nicht mehr tragbar.“
Ich erinnere mich an seinen roten Bart und die silberglänzende Brille vor den farblosen, grauen Augen. Freund und Feind in einer Person.
„Was soll ich damit?“
Der Mann, blauäugig, rosenmundig, zuckt mit den Schultern. „Er hatte keine Angehörigen.“
„Und...“ setzt er hinzu, „Sie sollen in seine Fussstapfen treten.“
„Was heißt das? Seine Füße waren mir immer schon zu gross.“ erwidere ich.
„Sie“ stellt er trocken fest, „Sie sollen seine Kontakte weiterverfolgen, ihr Vertrauen erschleichen. Trauer und Rache sind ein gutes Motiv. Sie trauern doch?“
Ich antworte nicht. Fühle nichts außer Bedauern. Bedauern darüber, dass wir uns ein Leben erwählt haben, in welchem wir niemals jemandem trauen durften.
„Ja“ sage ich.
Langsam wickle ich das Päckchen aus und spähe vorsichtig hinein, jedoch darauf achtend, dass niemand sonst etwas vom Inhalt erhaschen kann. Eine kleine Beretta, ein Schlüssel und eine silberfarbene Halskette finden sich darin.
„Ich werde ihr Verbindungsmann sein.“ sagt der Morgenvogel. „Wenn Sie Kontakt wollen, wenden Sie sich an die Janus-Wasserwerke und nennen Sie meinen Decknamen. Steigen Sie in Prag aus und gehen Sie in das Hilton-Hotel, Zi. 234. Dort bekommen Sie weitere Instruktionen.“
„Ist gut.“ sage ich, müde.
Und leise wie ein Schatten ist er verschwunden. Habe ich geschlafen?
schneck06 - Mi, 22:02

IM-zuckerwattewolkenmond? ich finds wunderschön, habe es aber wohl nicht verstanden. na, macht nix...

*gg*.....da gibts gar nicht viel zu verstehen, ein bißchen Spinnerei - könnt' auch ein Anfang sein, aber Hauptsache, es ist schön. ;o)
schneck06 (Gast) - Mi, 22:13

das ists!;-)

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