Alien
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Um auch sinnlich ein Verständnis für das Befinden meiner Mutter zu bekommen, starte ich einen Selbstversuch so wie ich mich in einen Charakter als Schauspielerin/Regisseurin einarbeiten würde. Ich trinke zwei Liter warmen Tee, nehme die Unterteile eines Besens und eines Schrubbers und schnalle sie mir unter die Sohlen von zwei verschieden hohen Schuhen, um die Arthrose zu simulieren. Nehme eine alte Brille meiner Großmutter, verkleinere das Sichtfeld mit dunklem Klebeband, beschmiere den Rest mit Spülmittel, lege eine Einlage aus dem Krankenhaus ein, stopfe mir die alten Hörgeräte meines Vaters in die Ohren, verstelle sie sinnlos, nehme Mutters Stock und schwanke so ins Treppenhaus. Wahrscheinlich sollte ich noch drei Cognac trinken, doch darauf verzichte ich. Dafür atme ich bewußt falsch, hyperventiliere fast. Nach der dritten Treppe stellt sich eine Unsicherheit ein. Ich halte die vermaledeiten 76 Stufen durch. Ungeduld und Wut kommen in mir hoch: Ich möchte es besser können. Scheiße, ich könnte schneller sein. Zurück nach oben spüre ich die Anstrengung, mir ist schwindelig und schlecht. Ich uriniere absichtlich in die Einlage, sie saugt nicht alles auf. Urin fließt an meinen Beinen herunter in meine Schuhe. Ich höre den Schlüssel meiner Nachbarn im Schloss, nee, ist mir das peinlich! Ich flüchte in die Wohnung zurück, werde das Malheur gleich aufwischen. Wie meine Mutter das ohne meine Kraft schafft, ist mir ein Rätsel, immerhin trennen uns 39 Jahre.
(aus "Hilfe, meine Eltern sind alt" von Ilse Biberti)

So genau würde ich nun gar nicht wissen wollen wie das ist. Ich fand es in den letzten Jahren schon beängstigend genug, wenn der Rücken streikt und man auf sich alleine gestellt ist.
Namesi (Gast) - Fr, 22:48

Alt werden ist wohl nicht so toll wie uns Filme wie Wolke 7 (oder 9 ?) weismachen wollen. Und dann dieser Druck: Die Alten sollen verdammt noch mal aktiv sein. Sie sollten so aussehen wie die Alten in der Werbung. Schlank nicht dick. Gesund nicht krank. Grauhaarig zwar, aber mit Gesichtern wie Mittdreißiger, die auf alt geschminkt wurden. Sie sollten mit 80 noch sexuell aktiv sein, um so am Ende auf ein erfülltes Leben zurückblicken zu können. Aber wie ist es wirklich? Meine langsam einsetzenden Erfahrungen (schließlich habe ich 59 Lebensjahre hinter mir) lassen mich ein anderes Bild erahnen. Ich erspare mir nähere Erläuterungen. Ich erinnere mich an eine TV-Sendung, in der das Alter simuliert wurde, indem jungen Menschen eine Bekleidung verpasst wurde, die schwer wie eine Rüstung war, den Blick trübte und das Gehör einschränkte (an weitere Details kann ich mich nicht mehr erinnern). Die Erfahrung der jungen Menschen war sehr eindrücklich. Sie fanden Alt werden doof.

Ich habe zwar

noch nicht so viele Jahre Erfahrung wie du, aber ich glaube, daß der Druck im Alter eher selbstgemacht ist, gerade weil die Angst davor da ist, bzw. vor allem wahrscheinlich vor den damit auftretenden Hilfebedürftigkeiten. Wie das ist, wenn man nicht mehr in seine Sachen kommt usw. durfte ich ja auch schon erleben und es macht einfach Angst, besonders wenn man keine Kinder hat, die man herumschicken kann. Also denken sich viele, sie müssen irgendwie fit bleiben, um auch selbstbestimmt bleiben zu dürfen. Ich habe eher das Gefühl, daß der Druck von außen im Alter nachläßt, weil einem dann mehr als sonst zugestanden wird, daß man etwas pummelig wird, Falten bekommt oder tüttelig wird, und einem in der Leistungsgesellschaft mehr Schwächen "erlaubt" werden. Davon, daß man mit 80 noch sexuell aktiv sein soll, habe ich auch noch nichts gehört. Mehr im Gegenteil ist das doch eines dieser verbreiteten Tabus, weil man sich achtzigjährige beim Sex nicht wirklich vorstellen möchte.
Namesi (Gast) - Fr, 23:49

Ich habe mit meinem Alter kokettiert. Und du hast mich dabei erwischt. :) Macht aber nichts. Ich versuche, die Mitte zu halten.

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