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Um auch sinnlich ein Verständnis für das Befinden meiner Mutter zu bekommen, starte ich einen Selbstversuch so wie ich mich in einen Charakter als Schauspielerin/Regisseurin einarbeiten würde. Ich trinke zwei Liter warmen Tee, nehme die Unterteile eines Besens und eines Schrubbers und schnalle sie mir unter die Sohlen von zwei verschieden hohen Schuhen, um die Arthrose zu simulieren. Nehme eine alte Brille meiner Großmutter, verkleinere das Sichtfeld mit dunklem Klebeband, beschmiere den Rest mit Spülmittel, lege eine Einlage aus dem Krankenhaus ein, stopfe mir die alten Hörgeräte meines Vaters in die Ohren, verstelle sie sinnlos, nehme Mutters Stock und schwanke so ins Treppenhaus. Wahrscheinlich sollte ich noch drei Cognac trinken, doch darauf verzichte ich. Dafür atme ich bewußt falsch, hyperventiliere fast. Nach der dritten Treppe stellt sich eine Unsicherheit ein. Ich halte die vermaledeiten 76 Stufen durch. Ungeduld und Wut kommen in mir hoch: Ich möchte es besser können. Scheiße, ich könnte schneller sein. Zurück nach oben spüre ich die Anstrengung, mir ist schwindelig und schlecht. Ich uriniere absichtlich in die Einlage, sie saugt nicht alles auf. Urin fließt an meinen Beinen herunter in meine Schuhe. Ich höre den Schlüssel meiner Nachbarn im Schloss, nee, ist mir das peinlich! Ich flüchte in die Wohnung zurück, werde das Malheur gleich aufwischen. Wie meine Mutter das ohne meine Kraft schafft, ist mir ein Rätsel, immerhin trennen uns 39 Jahre.
(aus "Hilfe, meine Eltern sind alt" von Ilse Biberti)
So genau würde ich nun gar nicht wissen wollen wie das ist. Ich fand es in den letzten Jahren schon beängstigend genug, wenn der Rücken streikt und man auf sich alleine gestellt ist.
(aus "Hilfe, meine Eltern sind alt" von Ilse Biberti)
So genau würde ich nun gar nicht wissen wollen wie das ist. Ich fand es in den letzten Jahren schon beängstigend genug, wenn der Rücken streikt und man auf sich alleine gestellt ist.
zuckerwattewolkenmond - Mi, 22:01
Ich habe zwar