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Abgetaucht

Ich weiß, ich werde vermisst, deshalb versuche ich jetzt in Worte zu fassen, was mich in den letzten Wochen beschäftigt hat. Das fällt mir nicht leicht, da mir die Worte irgendwo in den Tiefen des Labyrinths von kindlichen Verstrickungen und alten Glaubensmustern abhanden gekommen sind. In dieses bin ich nämlich abgetaucht, um die Fäden zu entwirren, habe sehr viel nachgedacht, gelesen und noch immer ist mir nicht nach leichtem Geplauder oder Internetablenkungen. Anlaß dazu war eine Reaktion meiner Mutter, die mich ziemlich schockiert hat, aber eigentlich vorhersehbar war. Doch durch die Erkenntnisse, die ich zusammen mit der Psychologin bereits gewonnen hatte, ist mir die Absurdität und Ignoranz dieser Haltung erstmals bewußt geworden, was mir dann irgendwie die Sprache verschlagen hat, während ich es als Kind immer auf mich bezogen habe, was auch die Ursache dafür war, daß ich mit meiner Mutter über gewisse Dinge generell nicht geredet habe und letzten Endes auf der emotionalen Ebene vieles mit mir allein ausgemacht habe. Die Psychologin schlug erst einmal die Hände über dem Kopf zusammen und sagte mir ganz klar, daß meine Mutter auf einer bestimmten Ebene für mich kein Ansprechpartner sei, sie mich auch niemals richtig wahrnehmen oder sehen können würde, da sie selbst zu sehr in ihre Muster verstrickt wäre, im Grunde eine Bestätigung dessen, was ich schon gespürt und gedacht habe, aber nachdem sie mir das so gesagt hat, ist es leichter für mich, meiner Wahrnehmung wirklich zu glauben. Nach der Beschäftigung mit dem Erbe der Kriegskinder-Generation und dem Wissen, daß Traumata bis in die vierte Generation weitergegeben werden können, ist das Verhalten immerhin verständlicher, trotzdem mir einiges noch immer Rätsel aufgibt. Beim Termin am Montag schmiegte sich die Psychologin an mich wie ein Kind, während ich sie tröstete und streichelte. Wenn jemand in das Zimmer gekommen wäre, der hätte wahrscheinlich geglaubt, ich therapiere die Psychologin, aber nein, sie war nur die Stellvertreterin für meine Mutter beim Stellen, während sie versuchte, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ich wünschte, mit mir würde jemand mal so etwas machen, aber nun ist mir klar, warum ich anscheinend als Kind bereits irgendwann beschloß, keine Kinder haben zu wollen, wo ich doch schon zwei große bedürftige Kinder bzw. Elternteile am Hals hatte, emotional und mit meiner Hochsensibilität allein gelassen und völlig überfordert war. Während sich meine Mutter gerne bei mir über ihr anstrengendes, aufopferungsvolles Leben und ihren schlimmen Ehemann ausheulte, hatte ich niemanden. Auch ist mir als Kind schon immer klar gewesen, daß ich lieber unabhängig bleibe, als '50 Jahre Krieg' zu führen, wie meine Mutter sich zur Goldenen Hochzeit ausdrückte. Mein Bruder sieht das anscheinend genauso, denn sogar nach 15 Jahren, hat er es noch nicht geschafft, mit seiner Freundin zusammenzuziehen, obwohl sie gerne möchte. Und ich würde es ganz genauso machen. Ich wollte diese kontrollierenden Beziehungsmuster, die bei meinen Eltern wie die Faust aufs Auge zusammenpaßten, nie leben, doch anscheinend ziehe ich, durch meine eigene Bedürftigkeit oder so, Menschen an, die genau diese Glaubens- und Beziehungsmuster vertreten, vielleicht suche ich sie mir auch selbst aus, wer weiß. Das ist natürlich eine völlig aussichtslose Sache, da zum einen ständig alte Gefühle und Verletzungen reaktiviert werden und ich mir zum anderen der Strategien zu bewußt bin und immer war (obwohl ich vorher nicht wußte, daß es dafür einen Fachausdruck gibt) , um mich blindlings in solch ein Muster hineinziehen zu lassen. Ich habe weder Lust, jemandem Verantwortung für sich selbst abzunehmen, noch sie mir abnehmen zu lassen. Da mir die Arbeit mit dem inneren Kind, wie mir die Psychologin es gezeigt hat, bereits in einigen Situationen erfolgreich geholfen hat, legte ich mir "Das Arbeitsbuch zur Aussöhnung mit dem inneren Kind" zu und bin gerade intensiv dabei, mich mit meinem inneren Kind zu beschäftigen. Und mein inneres Kind braucht, wie es scheint, viel Aufmerksamkeit, die es lange entbehrte.



Beim Termin am Montag stellte ich fest, daß nur eine Straßenbahnstation von der Praxis entfernt ein Bio-Supermarkt existiert. Ich bin gleich mal hinein und habe mich mit einigen Dingen eingedeckt, denn leider ist der Lidl bei mir in der Nähe von einem Tag zum anderen ausgezogen. Der hatte zumindest ein kleines Bio-Sortiment. Zwei große Wünsche für meine Wohnumgebung hätte ich: Der erste wäre, daß die endlich den Hauptstadtflughafen fertigkriegen und ich die Flugzeuge los bin, der zweite, daß in meiner Nähe ein Bio-Supermarkt eröffnet. Zwar sind die Aussichten auch für den zweiten Wunsch nicht sehr groß und daran zu glauben ist vielleicht vermessen, aber da die ehemalige Lidlhalle jetzt leer steht, könnte mit sehr sehr viel Glück dieser Wunsch doch in Erfüllung gehen. Drückt mir die Daumen, daß sich dort ein Bio-Markt niederläßt.
Chutzpe - Fr, 20:45

Ein weiterer grosser Schritt in die richtige Richtung und es wird noch viel mehr "Erleichterung" kommen.

Ich ziehe ja auch eine bestimmte Männergruppe an wie das Licht die Motten und ich mag diese Sorte Männer auch noch sehr. Doch ich weiss, dass ich mich von denen fern halten muss.

Ich glaube, man strahlt irgendwo unbewusst aus, dass man das befriedigen könnte, was die brauchen, auch wenn man es nicht (mehr) tun wird.

Pass gut auf dich auf - ich bin froh, dass du eine geschickte Psychologin hast.

Auf jeden Fall

ist es erleichternd, daß ich jetzt weiß, warum mich ein bestimmtes, nicht unbedingt ungewöhnliches Verhalten wütend und aggressiv macht. Mit offen kontrollierendem Verhalten, wie es mein Vater an den Tag gelegt hat, kann ich eigentlich relativ gut und mit Humor umgehen, ohne daß ich überreagiere (wenn ich solchen Leuten eigentlich auch lieber aus dem Weg gehe), aber das versteckt kontrollierende Verhalten meiner Mutter, von dem ich gar nicht wußte, daß es überhaupt ein kontrollierendes Verhalten ist (obwohl ich es schon immer irgendwie manipulativ fand), ist es, worauf ich auch bei anderen total überreagiere. Vielleicht ja deshalb, weil es so schwer völlig zu durchschauen ist.
Chutzpe - Fr, 21:34

Das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Ich kann solche Leute auch überhaupt nicht ab. Ich sage es mal in meiner Sprache: hinterfotzig.

Nicht

unbedingt immer das. Es gibt da auch andere Strategien (und bei meiner Mutter ganz sicher unbewußte), die ich nicht so bezeichnen würde, aber halt dazu dienen, den anderen in einer bestimmten Verhaltensecke 'sicherzustellen'.
Chutzpe - Fr, 22:11

Das stimmt natürlich - doch es wäre an ihr gewesen, sich dem zu stellen und sich zu "verbessern", denn die meisten Leute - wie du ja auch an dir selber bemerkst - wissen sehr wohl, dass sie sich nicht richtig verhalten, haben aber keine Ahnung, woran das liegt, denn die Eltern (als Bsp.) haben es ja auch schon so gemacht.

Aber

nicht jeder ist dazu in der Lage. Die Psychologin meinte zu mir, daß sie nie die Verantwortung übernehmen wird und man es von ihr auch nicht erwarten oder verlangen kann, weil sie seelisch dazu (noch) nicht reif ist. Das ist aber ein Phänomen, das wohl viele traumatisierte Kriegskinder teilen, was halt wiederum durch das Verhalten deren Eltern kommt, die während und nach dem Krieg mit Überleben und Wiederaufbau beschäftigt waren.
Chutzpe - Fr, 22:33

Kann ich nur ein Stück weit bejahen, jedoch akzeptieren.
LadylikeKandis - Fr, 22:24

ich

wünsche dir natürlich einen neuen lidl mit Bio-markt, aber noch viel mehr wünsche ich dir zu dir selbst zu finden.
ich wollte nie so werden wie meine mutter. ich wollte auch meine kinder anders erziehen, als es meine mutter mit uns getan hat. jahrelang kämpfte ich gegen ihre eigenschaften und habe es schließlich auch anders gemacht. wüsste meine mutter nur halb so viel von meinem leben, würde sie vermutlich sofort an einem herzinfarkt sterben. heute mit fast 44 jahren kann ich etwas lächeln und ganz wichtig, ich kann sie nicht verstehen, immer noch nicht, aber ich kann sie akzeptieren, und trotzdem zu meinem leben stehen. meine älteste tochter hat einen sehr intensiven draht zu ihr, die beiden sollten mutter und tochter sein. dafür merke ich oft, dass meine große mir die vorhaltungen macht, die ich immer von meiner mutter anhören musste.

man lebt damit so gut wie man kann.

für dich: du musst gesund werden. du hast ja nichts zu verlieren, also mach was du willst, tu was dir gut tut!

in gedanken bei dir
kandis

Ich danke dir!

Als Kind wollte ich nie so werden wie mein Vater, während ich meiner Mutter, wenn auch mehr notgedrungen, immer zur Seite gestanden habe. Leider habe ich dabei übersehen, daß sowohl die eine als auch die andere Seite auf gewisse Weise ziemlich einseitig gehandelt und bestimmte Emotionen und Verhaltensweisen unterdrückt hat. Aber als Kind kann man das alles gar nicht sehen und verstehen. Erst jetzt lerne ich so langsam, das Gute von beiden zu nehmen und auch das nicht so Gute an meiner Mutter zu sehen.

Ich geb mir Mühe, gesund zu werden.
books and more - Sa, 02:02

Guter Plan.

Finde ich

auch! Meine Pläne sind immer gut. ;o)
bonanzaMARGOT - Sa, 07:27

familienstories sind ätzend.
ich bin zur zeit randvoll damit.

Das stimmt,

aber leider kann man ihnen nicht immer entkommen.
Chutzpe - Sa, 14:31

dem kann man nie entkommen - irgendwann bricht es auf und die ewige verdrängung ist auch nicht gesünder
bonanzaMARGOT - Sa, 15:11

stimmt. das entkommen wird einem nicht leicht gemacht.
g a g a - So, 01:13

.

tinius - So, 02:28

Wer sich in Familie begibt, kommt darin um - mein Lieblingszitat von Heimito von Doderer. Über meine könnte ich Romane schreiben, denke allerdings, post mortem ist da inzwischen wenig zu löten. LG tinius

Das kann

ich mir denken, denn ich erinnere mich noch gut an ein Gedicht von dir über deine Mutter. Ich finde alledings sogar, daß es nach dem Tod viel einfacher ist, sich mit jemandem auszusöhnen, weil man ja nicht mehr unmittelbar mit dessen Verhalten konfrontiert wird, sondern nur noch mit der Seele in Kontakt steht. Und durch z.B. Familienstellen kann man auch nach dem Tod der Eltern noch Verstrickungen lösen, was einem ja nur selbst zugute kommt. Ich jedenfalls hoffe, daß ich mich mit meiner Mutter auch so aussöhnen kann, wie ich es mit meinem Vater bereits getan habe, befürchte aber ein bißchen, daß es wohl zu Lebzeiten nichts mehr werden wird.

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