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Ein olfaktorischer Überfall

ereilte mich heute mittag, natürlich außerhalb der Sprechstunde, als ein Klient meines Kollegen vor der Tür stand, ein Wagenburgbewohner. Vor Dreck starrend hat man von ihm kaum noch das Gesicht oder die Hände gesehen, alles schwarz, aber der Geruch war besonders übelkeiterregend. Auf den ersten Blick sah er außerdem nicht ungefährlich aus, zumal ich mit psychisch Kranken ja schon so einige Erfahrungen habe, nachdem ich aber etwas dominanter wurde, war er ziemlich zahm. So nötigte ich ihn dann auch nach einigen vergeblichen Versuchen schließlich energisch, sich auf den Besucherstuhl zu setzen, der glücklicherweise zwei Meter von mir entfernt steht, weil er ansonsten ständig neben mir herumgezappelt hätte. Das hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt. Er wollte neue Einrichtung beantragen. Erst nur Farbe, Dämmwolle und Holzplatten, dann eine neue Couch und Sessel, und ach ja, einen Herd bräuchte er auch, da er bisher nur über Lagerfeuer gekocht hat, und sein Fernseher funktioniert eigentlich ebenfalls nicht mehr so richtig. Die Wände des Wagens seien verschimmelt, da er im Winter nicht immer dort gewesen sei. (Wahrscheinlich auf Platte - und für die, die es nicht glauben: Er MöCHTE da wohnen. Hilfsangebote für Wohnungen hat er stets ausgeschlagen.) Während ich das alles aufnahm, unterhielt ich mich mit ihm wie mit einem Kind, weil er fasziniert mein Schreiben beobachtete und fragte: "Ui, Sie können aber schnell auf dem Computer schreiben. Da komme ich ja kaum mit dem Gucken hinterher. Muß man das können?"
Ich: "Ja, wenn man hier arbeiten will, muß man das können." Er: "Haben Sie das gelernt?"
Ich: "Nein, gelernt nicht. Ich schreibe ja nicht mit zehn Fingern, sondern nur mit zwei."
Er: "Aber trotzdem sehr schnell, ui,ui." Er entdeckte eine Akte von jemandem, der "Knoblauch" heißt: "Ui, hier hat jemand zuviel Knoblauch gegessen, hi, hi."
Ich glaube, ich habe wirklich in meinem Leben noch nie so schnell geschrieben, denn ich wollte ihn so bald wie möglich wieder aus dem Zimmer kriegen. Danach habe ich zwei Stunden lang gelüftet, aber gänzlich ist der Gestank irgendwie nicht mehr zu entfernen.
Da weiß ich doch wieder, woher ich komme - also beruflich -, die Abhärtung durch die Jahre bei den Obdachlosen hat bereits ganz schön nachgelassen. Eigentlich wäre mal wieder ein Extrem-Training fällig, (oder lieber doch nicht).
Chutzpe - Mi, 18:46

Ichweiss jetzt nicht, ob ich den süss oder eklig finden soll.

Ich kann jeden verstehen, der SO leben WILL - weil es eben seine bewusste Entscheidung ist, sich von der Gesellschaft nicht mehr kasteien zu lassen.

Und nicht alle enden so verwahrlost.

Letzte Woche allerdings sah ich ein Foto von einem Obdachlosen oder Wagenburgbewohner, dessen eines Bein bis fast zum Knie von Maden aufgefressen wurde - ich nehme an, die haben das amputiert - er lag jedenfalls auf ner Liege in nem KH oder Sani-Station - mich juckt gleich wieder.
Dass es mal Maden geben kann, kann ich ja verstehen, doch dass man dann nicht schaut, das kann ich nicht verstehen - ausser man ist so schlecht beeinander, dass einem alles egal ist - so sah er nun aber auch nicht aus - eher von seinem Lebensstil gebeutelt...

Ich glaube,

es liegt vor allem daran, daß man da schnell in schlechte Gesellschaft kommt und sich mit runterziehen läßt, und/oder aber einfach eine feste Tagesstruktur fehlt. Wenn man gerade labil ist, kann das sehr schädlich sein.
Chutzpe - Mi, 20:24

Das stimmt bestimmt - und doch gibt es einige, denen es recht wohl zu sein scheint.
Kinkerlitzch3n - Do, 00:00

Ich glaube, die Leute stumpfen einfach durch Alkohol, Tabletten und Drogen dermaßen ab, dass sie nicht mehr richtig mitkriegen, wie weit sie bereits von einem "normalen" Leben entfernt sind.
Vielleicht überlegen viele doch mal eine Beratungsstelle oder Ähnliches aufzusuchen - morgen dann - und morgen passt grad auch nicht, also übermorgen und das verschleppt sich immer weiter.
Und irgendwann stirbt auch der Glaube an eine mögliche Veränderung.

Ich weiß noch, dass ich nach meiner Zeit auf der Straße (gottlob nur kurze Zeit!), erst im sauberen, elterlichen Badezimmer bemerkte, welchen erbärmlichen Gestank ich verströmte. Und ich hatte schon darauf geachtet, soweit möglich ein Mindestmaß an Körperpflege einzuhalten. Aber die Klamotten bleiben dreckig und versifft und die Nase gewöhnt sich dran . Unter seinesgleichen fällt das ohnehin nicht auf.

Dazu noch das Problem, dass man sich in Obdachlosenheimen und Übernachtungsstellen klarerweise in seiner Freiheit beschränkt fühlt. Und Freiheit ist vielleicht noch das letzte Gut, dass ein Mensch in dieser Situation zu haben glaubt.

Sehr, sehr schwierig und sehr, sehr traurig was da abläuft.
Wobei die Wagenburgbewohner es bestimmt um einiges besser haben als die Leute auf Platte.

Warst du Sozialarbeiterin, Streetworkerin oder was hast du konkret gemacht?
Bzw. was machst du jetzt? Genau konnte ich das noch nie rauslesen, aber vielleicht möchtest du auch nicht genauer werden...

lg Kinker

Ganz so dicht dran

bin ich nicht. Bin nur vom Amt. Erst Obdachlosenanlaufstelle und jetzt für Behinderte.
Kinkerlitzch3n - Do, 19:07

Das Fräulein vom Amt ... ;o)

Genau. *gg*

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