Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Kafka, rein subjektiv

Stets schaudert es mich, wenn ich Kafka lese, doch sobald ich versuche, dem eigentlichen Grund dafür nachzuspüren, verwässert er sich und wird ungreifbar. Es ist etwas in seinen Texten, das mich intuitiv ein Warnsignal empfangen läßt, so wie ein Bauchgefühl einem sagt, daß man diesen Weg besser meiden oder jenem Menschen nicht vertrauen sollte. Auch hier sagt das Signal: Es stimmt etwas nicht. Doch es sind nicht die mysteriösen Handlungen und "kafkaesken" Situationen, denn diese erwarte ich ja, wenn ich Kafka lese. Solch albtraumhaftes Erleben fürchte ich nicht, es fördert nur die Spannung. Da ich Träume liebe, liebe ich auch sie - je absurder, desto besser. Es ist etwas außerhalb der Geschichten, das sich jedoch als unsichtbares Ding über jeden Satz, jedes Wort legt und sich zwischen die Zeilen drängt. Mal umschrieb ich es als Kälte, das Führen der Schreibfeder im Stil eines Pathologen, der Leichen seziert. Dann wieder meinte ich, Kafka hätte seine Texte ausschließlich mit der linken Gehirnhälfte und dem Verstand geschrieben, das Gefühl aber, nein, nicht weggelassen, sondern als Ausgangspunkt für sein Seziermesser benutzt, bis nichts mehr davon übrig ist, außer einer wagen Ahnung, um welche alle Protagonisten und Personen mit emsiger, berechnender Bemühtheit konversieren und aktionieren, während die Ungeheuerlichkeit des Erlebens als etwas Unausgesprochenes im Raume hängen bleibt. Natürlich könnte man annehmen, Kafka hätte dies als Stilmittel benutzt, aber etwas läßt mich daran zweifeln. Ist es wirklich möglich solch eine Distanz und Unerbittlichkeit auf Dauer als Stilmittel aufrechtzuerhalten, ohne mit dieser Art des Erlebens sehr vertraut zu sein? Jede seiner Geschichten könnte man anders, emotionaler erzählen, und sie würde etwas von ihrem Zynismus, ihrem typischen Charakter verlieren, ohne deshalb zerstört zu sein. Doch auch das beschreibt es noch nicht ausreichend. Und heute kam ich endlich darauf, was ich bisher übersehen hatte. Es ist nicht nur Distanz und Unemotionalität, sondern Grausamkeit. Pure Grausamkeit, die sowohl gegen andere als auch gegen sich selbst gerichtet ist, in ganz besonderem Maße gegen sich selbst. Keine Person in seinen Texten wird irgenwie bevorzugt oder empathischer beschrieben als eine andere, auch nicht die, bei denen man Ähnlichkeiten mit dem Verfasser zu bemerken meint. Über allen scheint derselbe Fluch eines herzlosen Schöpfers, in ihrem Falle Autors, zu liegen, der nicht das geringste Mitempfinden zeigt und damit auch das Mitfühlen der Leser auf wirksame Art unterbindet, ohne dabei die Spannung zu verringern. Der Leser wird in den Sog eines kühlen wissenschaftlichen Interesses gezogen, das aus reiner Neugier beobachten will, was mit diesen fremdartigen und doch so vertrauten Geschöpfen in seltsamen Situationen weiter geschieht. Was bleibt, ist ein stetiges Unbehagen, aber ebenfalls ein Lenken aller übrigen Gefühlsreserven auf die vermeintliche Hölle dessen Verursachers.
Sammelmappe (Gast) - Sa, 07:23

Bei mir ist die Wirkung etwas anders. Ich fühle ganz viel mit in seinen Geschichten, aber auch in den Briefen und im Tagebuch. Aber dieses Mitfühlen führt zu dem Gefühl, dass es sinnlos ist, mitzufühlen. Dass das Gefühl nicht reicht, dass kein Gefühl der Welt ausreichend sein kann - und das macht einerseits einerseits sehr kalt, aber auch klar.

Hallo Sammelmappe,

ich denke, es ist bei mir sogar ähnlich, nur daß ich nie direkt mit den Figuren in den Texten mitfühle, so wie ich bei reiner Unterhaltungsliteratur mitfiebern würde, sondern sich dieses Mitgefühl immer sofort auf den Verfasser selbst erstreckt. Und der Schauder, den ich übrigens ebenfalls oft beim Lesen seiner Tagebücher verspürte, rührt vielleicht auch daher, daß da tatsächlich dieses Gefühl der Sinnlosigkeit ist, weil es den Anschein hat, es schreibe jemand, der in seiner Hölle nicht mehr erreicht hätte werden können und in seinem eigenen zerstörerischen Denken völlig abgeschnitten und gefangen ist.
books and more - Sa, 09:43

Kenn ich, das Gefühl! Brr!

Wieder zurück?

books and more - So, 09:58

Ich frage mich zwar wovon, aber antworte mal mit ja! :-)

Na vom Berg

oder aus dem Keller, oder was weiß ich...*gg*
books and more - So, 14:34

Aktuell wär' ich noch ein Weilchen da! Später dann im Wald, die Woche über dann weit hintern den Bergen mit den sieben Zwergen, bei Gringotts.
Chutzpe - Sa, 17:07

Wenn ich deinen letzten Satz an Sammelmappe lese, frage ich mich, ob Kafka und ich ev. hätten Freunde sein können - ich habe noch nie was von ihm gelesen - ausser dass ich diese Aussage sehr mag:
Wenn du vor mir stehst und mich ansiehst, was weisst du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiss ich von den deinen. Und wenn ich mich vor dir nieder werfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest du von mir mehr als von der Hölle, wenn dir jemand erzählt, sie ist heiss und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehen wie vor dem Eingang zur Hölle.

chSchlesinger - So, 12:41

Wenn ein Bettler in der Bahn dem Abteil seine Leidensgeschichte erzählt, spüre ich auch eine gewisse Distanz und Unerbittlichkeit ringsum. Lauter Kafkas, vor denen man gewarnt sein sollte?

???

Es geht doch nicht um Distanz der Zuhörenden zum Erzähler, sondern um die Distanz und Unerbittlichkeit des Erzählenden zu sich selbst.

Trackback URL:
https://weltentanz.twoday.net/stories/kafka-rein-subjektiv/modTrackback