Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Entdeckung der verlorenen Zeit

Mittwoch, 17. Mai 2006

Die (immer noch) namenlose Geschichte - Teil 3

Mit dem Schraubenzieher ließ sich das mysteriöse Ding dort in dem Stein nicht hinausbefördern, also versuchte ich es mit allerhand anderen Geräten, wie Finger, Pinzette, Messer, Kochlöffel und so weiter. Als auch das keinen Erfolg brachte, kam ich auf die Idee, den Hohlraum mit dem Schlagbohrer zu erweitern. So viel, wie ich zu spachteln hatte, machte ein Loch mehr oder weniger auch nichts weiter aus.
Sorgfältig band ich mir einen strengen Zopf, kramte den Koffer mit der Bohrmaschine hervor und startete so bewaffnet den Angriff. Dröhnend hämmerte der Stahlbohrer auf den Ziegelstein ein. Roter Sand quoll wie Blut einer frischen Wunde aus der Wand hervor, legte sich in leichtem Fall auf Scheuerleiste, Fußboden und die winzigen Wandvorsprünge nieder. Gleich darauf wurde der Sand dunkler, braun und dann auffällig schwarz – schwarz und schmierig.
"was ist das denn?“ Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, kurz davor zu sein, auf eine Ölquelle zu stoßen.

Stattdessen brach ich in den Hohlraum durch. In der vergrößerten Öffnung konnte ich etwas Helles erkennen und eben wollte ich die Bohrmaschine erneut ansetzen, als ein Name in roten Alarmleuchten über meinem Kopf erschien.
„Tante Bärbel!“ stöhnte ich. Die hatte ich ganz vergessen. Dabei hatte ich ihr versprochen, heute zu ihrem halbrunden, dem achtzigsten nicht mehr fernen, Geburtstag zu kommen. Gehetzt blickte ich auf die Uhr: zwanzig vor fünf. Ich ließ alles fallen, stellte mich kurz unter die Brause und zog ein zerknittertes Etwas aus dem Kleiderschrank hervor, das ich mir über den Kopf stülpte. Am Bahnhof griff ich nach dem größten Blumenstrauß, den ich entdecken konnte, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen und eine halbe Stunde später begrüßte mich Tante Bärbel in ihrer kleinen Behausung.

Fesch sah sie aus, wie sie es nannte: die frische Dauerwelle kringelte sich verwegen um ihre altersgroßen Ohren, welche smaragdbehängt der Erdanziehungskraft trotzten, ihre noch immer buschigen Augenbrauen waren gestriegelt und gebürstet und ein leichter, malvenfarbener Lippenstift umspielte ihre dritten Zähne. Lächelnd schubste sie mich auf das Sofa und meinte „Wolltest du nicht eher kommen?“
Ich murmelte irgendwas von ‚Arbeit’ und ließ meinen Blick über den Kaffeetisch schweifen, auf dem eine fettige Butterkrem- und eine Schwarzwälder Kirsch-Torte vor sich hin suppten. Noch ehe ich mir wehren konnte, hatte Tante Bärbel ein riesiges Stück Kremtorte auf meinen Teller geschaufelt, welchen sie mir mit den Worten: „Du musst was essen, Kind! Du bist viel zu dünn!“ servierte. Angestrengt konzentrierte ich mich an der Kaffeetafel auf die Gespräche über Leistenbrüche, Zahnersatz und die neuesten Hausmittelchen, um vorzutäuschen, ich sei so brennend an diesen Themen interessiert, dass ich sogar das Essen darüber vergesse.

Leider fiel diese Strategie mit der Zeit auf, weshalb ich schaudernd die Kirsche von der Tortendecke nippte und mich mit der Gabel bis zum Kuchenboden durchstocherte. Danach schickte ich ein großes Glas Cognac hinterher, um die Bakterien abzutöten. Gerade setzte ich meinen vierten Cognac an, um ihn herunterzukippen, sicher ist sicher, als einer neuer Geburtstagsgast erschien. Spontan machte mein Herz einen Sprung und ich fragte meinen Cousin, der neben mir saß und stumpf auf seinen Teller stierte, wer das sei.
„Der da? Das ist der Ex von der Annette. Du weißt schon. Die Nichte meines Großonkels Albert von der Taubeninsel.“ „Ähem.“ sagte ich und schwieg.

Dienstag, 16. Mai 2006

Die (noch) namenlose Geschichte - Teil 2

„Hallo Mama, mir geht’s gut. Warum das so lange gedauert hat? Äh, ich war da mit was beschäftigt.... Ich will das Zimmer renovieren. Nein, ich falle nicht von der Leiter und hebe auch nicht schwer. Ja, ich passe auf. Weiß ich nicht. Ich habe jetzt erst angefangen. Möbel kommen später. Warum willst du mich besuchen? Bis dahin bin ich noch gar nicht fertig. Geht es nicht ein anderes Mal? Ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht sehen will! Ja, tschüß!“

Entnervt warf ich das Telefon auf den Küchentisch und setzte meine Arbeit für wenige Minuten fort, da klingelte es erneut. Erst nachdem ich wiederum von der Leiter gestolpert und in die Küche gesprintet war, um schließlich irgendetwas in den Hörer zu fauchen, bemerkte ich, dass es diesmal an der Tür läutete.

„Jaaaa?“ fragte ich hektisch, als ich dieselbe schwungvoll aufriss, und sah mich im selben Augenblick meinem unmittelbaren Nachbarn gegenüber. Normalerweise ist dies nichts, was einen in großes Erstaunen versetzen müsste, wie der erwartungsvolle Leser mir sicher zustimmen wird, doch meine Augen wurden kugelrund aufgrund der Tatsache, dass ich zwar schon etliche Jahre in dem blechdachbewehrtem Haus wohnte, diesen Herrn jedoch bisher allerhöchstens bei zwei bis drei kurzen Gelegenheiten zu Gesicht bekommen hatte. Er schien ein sehr zurückgezogenes Leben zu führen. Doch während ich vor Überraschung fast in die Knie ging, störte er sich nicht weiter an meinem blöden Gesichtsausdruck, starrte mich aus durchdringenden grauen Augen an und stellte rhetorisch fest: „Ich habe Sie gehört, Sie machen da was in der Wohnung, stimmt’s?“.

„Ja“, antwortete ich, inzwischen hatte ich mich wieder gefangen, „ich renoviere. Wieso? Bin ich zu laut? Ich habe eigentlich noch gar nicht angefangen.“

Meine Frage hatte er anscheinend nicht gehört. Er starrte mich weiter durchdringend an und wie ich so zurückschaute und ihn in seinem hellgrauen Strickpullunder, den graumelierten Haaren, dem bleichen Gesicht und den anthrazitfarbenen Bundfaltenhosen unauffällig musterte, schoss mir der ketzerische Gedanke durch den Kopf, ob ich ihn tatsächlich nur die wenigen Male getroffen, oder aber nicht vielmehr ihm schon öfters begegnet war, ihn aber nie wahrgenommen hatte.

Er suchte nach Worten – das erkannte ich an den winzigen Bewegungen, die seine Gesichtsmuskeln unter der grobporigen Haut machten.
„Renovieren kann gefährlich sein.“ begann er linkisch, „Sie sollten aufpassen!“

Das wurde ja immer schöner! Nicht nur, dass meine Mutter erst ruhig war, wenn ich in einer dreißig Zentimeter dicken Watteschicht bewegungslos auf dem Sofa ruhte, nein, jetzt fing mein Nachbar auch noch damit an.

„Ja“, entgegnete ich flapsiger als es meine Absicht war, „ich kann von der Leiter fallen und mir den Hals brechen. Danke. Ich werde alles tun, um das zu vermeiden.“

Von dem leichten Unmut in meiner Stimme zurückgehalten, rang er scheinbar mit sich selbst, als wäre da noch etwas mitzuteilen, von dem er nicht wüsste, ob er es tun solle. Ich fühlte sehr deutlich, dass er mehr sagen wollte, doch meine eigene Ungeduld ließ mich davon absehen, genauer nachzufragen. Schließlich beließ er es bei einem kraftlosen: „Wenn Sie irgendwie Hilfe brauchen.....?“

Ich warf noch einmal einen kurzen Blick auf das eingefallene Gesicht und die dünnen Ärmchen in den schneeweißen Hemdsärmeln, dann schüttelte ich versöhnlich den Kopf.
„Vielen Dank. Ich komme schon zurecht.“

Nach dieser doch sehr unverhofften Begegnung war mir etwas seltsam zumute. Vor allem begann mich in meinem nimmermüden Gehirn zu beschäftigen, was jenes wohl gewesen ist, das nun unausgesprochen geblieben war. Diese Grübeleien gewannen fast eine Art Eigenleben und wurden so aufdringlich wie ein Hund, der sich an einem Knochen festgebissen hatte, dass ich sie schlussendlich rigoros beiseite schieben musste.

Stattdessen setzte ich meine Bemühungen fort, die Tapete von der Wand zu lösen. Dies erwies sich als nicht sehr schwierig, allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass der Putz dahinter ausschließlich von der Tapete zusammengehalten wurde. Sobald diese weg war, fiel er in einer aufsteigenden Staubwolke mit größeren und kleineren Klumpen in sich zusammen. Hustend keimte in mir bei dieser Gelegenheit die Vermutung, dass die Idee das Zimmer zu renovieren, vielleicht doch keine so gute war. Aber nun war der Anfang gemacht. Ein Zurück gab es nicht mehr. Draußen auf dem Hof kreischte ein Kind: „Da! Ein Käfer! Ihhhhh!“; in mir kreischte es nur still, doch ich wusste, dass ich das deutlich größere Problem hatte. Vorsichtig klopfte ich die sandigsten Stellen weg, entfernte einige Zeitungsreste einer Ausgabe von 1979, welche unter der alten Tapete geklebt hatten, als ich auch schon auf die roten Ziegelsteine stieß, welche das Grundgerüst der Wand bildeten. Eine Stelle im Putz war besonders weich, es rieselte unaufhörlich. Dann war es mit einem Mal still und es tat sich ein Hohlraum auf. Neugierig untersuchte ich ihn und stellte fest, dass er sich in einem der Steine befand, welcher nach außen hin ein Loch hatte. Weitere gründliche Untersuchungen, welche ich tätigte, indem ich mein Auge an die schwarze Öffnung hielt und versuchte hineinzuspähen, brachten kein Ergebnis. Alles blieb pechschwarz. Aber es gab ja noch andere Möglichkeiten. Ich griff nach einem Schraubenzieher und stocherte damit im Hohlraum herum. Irrte ich mich oder bewegte sich da was? Ich war mir fast sicher, dass sich irgendetwas in diesem Stein befand, und ich hätte schwören können, dass es kein trockener Mörtel war.

Donnerstag, 11. Mai 2006

Die Geschichte ohne Titel - Teil 1

Eigentlich habe ich mich wohlweislich aus all den Fortsetzungsgeschichtenschreibereien rausgehalten, um mich in Ruhe den wichtigeren Dingen widmen zu können, aber nun hat mich das um sich greifende Virus doch infiziert. Und da ich hoffe, mich bald in eine Sommerb(l)aupause begeben zu können, wurden sämtliche guten Vorsätze von mir über Bord geworfen. Die Geschichte hat noch keinen Titel, aber Vorschläge sind jederzeit willkommen.


In einem blechdachbewehrtem Haus mit blinkenden Zinnen, hinter den sieben Bergen und jenseits der sieben Brücken, unter nördlicher Sonne nur 28°05’15“ entfernt vom Wendekreis des Krebses, wo der Polarstern, welcher ebenfalls Polaris oder Nordstern genannt wird, der äußerste Stern an der Deichsel des Sternbildes Kleiner Wagen, oder auch an dessen Handgriff, wenn man in dem Wagen eine Schubkarre erkennen möchte, einen Winkel von 50°21'' zum topozentrischen Horizont bildet, genauer gesagt unter den Koordinaten 13° 24' 11'' östlicher Länge und 51° 31' 15'' nördlicher Breite, da, wo man Zwerge kacken und Mauersegler kreischen hören kann, lebte und schlief eine junge Frau vier Stockwerke hoch über einer großen Stadt. Die helle Frühlingssonne hatte sich gerade einen schmalen Spalt zwischen den schweren Gardinen gesucht und blinzelte neugierig in das Zimmer hinein. Was sie sah, befremdete sie. Hohe Stapel von Büchern türmten sich an den Wänden entlang unordentlich auf und das Dach war anscheinend undicht, wie ein brauner Wasserfleck an der Decke bezeugte, was dem Zimmer aber keineswegs den Charme der Dachstube des armen Poeten verlieh. „Die arme Kleine“, dachte die Sonne, „kann sich noch nicht mal ein anständiges Bücherregal leisten.“ Dann kitzelte sie mich an der Nase – der treue Leser, der mir bis hierher auf dem beschwerlichen Weg gefolgt ist, wird sicher schon längst vermutet haben, dass es sich bei der jungen Frau um keine andere als mich selbst handeln kann – und mein Blick fiel schläfrig auf den Riss in der fleckigen Tapete, welcher sich wie der Ableger eines riesigen Mangrovenbaumes über die Wand hin zog. Hinter der Tapete rieselte es leise, als ich den großen Zeh unter der Bettdecke hervorreckte und vorsichtig mit ihm gegen dieselbe stupste.
„Ich muss was tun!“ fuhr es mir durch den Kopf. Dann seufzte ich noch einmal tief und sprang hastig aus den Federn. Weniger als eine Stunde nach einem schnellen Frühstück, bestehend aus süßem Rosinenbrot mit Butter und dem obligatorischen Multivitamin-Nährstoff-Trunk mit Gelee Royale, grünem Weizengras-Extrakt, Lecithin, Shiitake-Pilz-Extrakt, Möhrensaft, Rote Beete-Saft, Bierhefe, Aloe-Vera-Saft und vielen anderen wohlschmeckenden Zutaten, fand ich mich im örtlichen Baumarkt wieder.
Anfangs noch ziellos, irrte ich mit ungestümem Wagen durch hallenhohe Regale und bestaunte die Vielzahl der Möglichkeiten, die sich mir auch ohne ein schwedisches Möbelhaus auftaten. Bald erlangte ich die Orientierung zurück und als ich ausgiebig zwischen Gartenzubehör, Badeinrichtung, Schneidbrennern und sonstigen Werkzeugen, deren Zweck und Anwendung mir gänzlich fremd und unbekannt waren, gestöbert hatte, lud ich ein, was ich zu benötigen glaubte – Tapetenrollen, Leim, Wandfarbe, Gipsspachtel und einiges mehr. Dabei bemerkte ich ein elegantes ahornfarbenes Wandbord, das ebenfalls zum Verkauf angeboten wurde. Die klare Form kombiniert mit der kühl-distinguierten Farbe überzeugte mich und ich beschloss, dass sich meine Bücher ausnehmend gut darauf machen würden, auch wenn es bei weitem nicht für alle literarischen Werke ausreichen würde. Um den Kauf eines richtigen Regals kam ich nicht herum. Vollbepackt, meine Neuerwerbung in schützender Umarmung haltend, gelangte ich wieder nach Hause und stimmte mich auf das Abenteuer Renovierung ein.

Das erste Problem, das sich mir in den Weg warf, war das der Bekleidung. Irgendwo mussten doch noch ein paar alte Turnschuhe und abgetragene bequeme Klamotten zu finden sein, nur wo? Konsequenterweise folgte ich der Spur, welche in meinen Kleiderschrank führte, und mit wenigen Handgriffen hatte ich sämtliche Frühjahrs-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektionen um mich herum auf dem Fußboden ausgebreitet, gefolgt von dreißig Paar Schuhen vielfältigster Konstruktion, von denen ich einige infolge arbeitschutztechnischer Bedenken sofort von der Benutzung für angedachte Zwecke ausschloß. Schließlich schälte ich mich in ein baumwollrippenes Unterhemd, geringelte Leggins, die vor zwanzig Jahren äußerst hip gewesen waren und deren Ringel damals beileibe noch nicht so breit ausfielen wie heute und mich wie ein schwangeres Zebra aussehen ließen, sowie ausgelatschte Textil-Sneaker. Das restliche Zeug stopfte ich schnell wieder in den Schrank hinein, um freie Bahn zu haben.
Glücklicherweise befanden sich nicht sehr viele Möbel im Zimmer, so dass ich alles bald von der Wand abgerückt, in der Zimmermitte aufgebaut und mit Folie abgedeckt hatte. Die Bücher stapelte ich vorsorglich in den Korridor um. Sollte der Postbote ruhig sehen, wie hochgradig intellektuell ich war, wobei ich das literarisch wertvolle Werk „Die Glut der Leidenschaft“, welches wahrscheinlich einige Analogien zu Bloom’s (Anmerkung der Verfasserin: Hauptfigur des Romans „Ulysses“ von James Joyce) „Die Süße der Sünde“ aufweisen dürfte, wohlachtsam mit dem Buchrückentitel zur Wand kehrte. So vorbereitet hatte ich mich gerade auf die oberste Sprosse der altersschwachen Leiter begeben um die Tapete einzuweichen, als das Telefon klingelte.