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Mittwoch, 17. Mai 2006

Die (immer noch) namenlose Geschichte - Teil 3

Mit dem Schraubenzieher ließ sich das mysteriöse Ding dort in dem Stein nicht hinausbefördern, also versuchte ich es mit allerhand anderen Geräten, wie Finger, Pinzette, Messer, Kochlöffel und so weiter. Als auch das keinen Erfolg brachte, kam ich auf die Idee, den Hohlraum mit dem Schlagbohrer zu erweitern. So viel, wie ich zu spachteln hatte, machte ein Loch mehr oder weniger auch nichts weiter aus.
Sorgfältig band ich mir einen strengen Zopf, kramte den Koffer mit der Bohrmaschine hervor und startete so bewaffnet den Angriff. Dröhnend hämmerte der Stahlbohrer auf den Ziegelstein ein. Roter Sand quoll wie Blut einer frischen Wunde aus der Wand hervor, legte sich in leichtem Fall auf Scheuerleiste, Fußboden und die winzigen Wandvorsprünge nieder. Gleich darauf wurde der Sand dunkler, braun und dann auffällig schwarz – schwarz und schmierig.
"was ist das denn?“ Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, kurz davor zu sein, auf eine Ölquelle zu stoßen.

Stattdessen brach ich in den Hohlraum durch. In der vergrößerten Öffnung konnte ich etwas Helles erkennen und eben wollte ich die Bohrmaschine erneut ansetzen, als ein Name in roten Alarmleuchten über meinem Kopf erschien.
„Tante Bärbel!“ stöhnte ich. Die hatte ich ganz vergessen. Dabei hatte ich ihr versprochen, heute zu ihrem halbrunden, dem achtzigsten nicht mehr fernen, Geburtstag zu kommen. Gehetzt blickte ich auf die Uhr: zwanzig vor fünf. Ich ließ alles fallen, stellte mich kurz unter die Brause und zog ein zerknittertes Etwas aus dem Kleiderschrank hervor, das ich mir über den Kopf stülpte. Am Bahnhof griff ich nach dem größten Blumenstrauß, den ich entdecken konnte, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen und eine halbe Stunde später begrüßte mich Tante Bärbel in ihrer kleinen Behausung.

Fesch sah sie aus, wie sie es nannte: die frische Dauerwelle kringelte sich verwegen um ihre altersgroßen Ohren, welche smaragdbehängt der Erdanziehungskraft trotzten, ihre noch immer buschigen Augenbrauen waren gestriegelt und gebürstet und ein leichter, malvenfarbener Lippenstift umspielte ihre dritten Zähne. Lächelnd schubste sie mich auf das Sofa und meinte „Wolltest du nicht eher kommen?“
Ich murmelte irgendwas von ‚Arbeit’ und ließ meinen Blick über den Kaffeetisch schweifen, auf dem eine fettige Butterkrem- und eine Schwarzwälder Kirsch-Torte vor sich hin suppten. Noch ehe ich mir wehren konnte, hatte Tante Bärbel ein riesiges Stück Kremtorte auf meinen Teller geschaufelt, welchen sie mir mit den Worten: „Du musst was essen, Kind! Du bist viel zu dünn!“ servierte. Angestrengt konzentrierte ich mich an der Kaffeetafel auf die Gespräche über Leistenbrüche, Zahnersatz und die neuesten Hausmittelchen, um vorzutäuschen, ich sei so brennend an diesen Themen interessiert, dass ich sogar das Essen darüber vergesse.

Leider fiel diese Strategie mit der Zeit auf, weshalb ich schaudernd die Kirsche von der Tortendecke nippte und mich mit der Gabel bis zum Kuchenboden durchstocherte. Danach schickte ich ein großes Glas Cognac hinterher, um die Bakterien abzutöten. Gerade setzte ich meinen vierten Cognac an, um ihn herunterzukippen, sicher ist sicher, als einer neuer Geburtstagsgast erschien. Spontan machte mein Herz einen Sprung und ich fragte meinen Cousin, der neben mir saß und stumpf auf seinen Teller stierte, wer das sei.
„Der da? Das ist der Ex von der Annette. Du weißt schon. Die Nichte meines Großonkels Albert von der Taubeninsel.“ „Ähem.“ sagte ich und schwieg.

...

Heute musste ich in der Wohnung meiner Eltern vorbeischauen, da meine Mutter verreist und mein Vater allein zu Hause ist. Weil mein Vater kaum noch aufsteht und sich nicht mehr anzieht, hole ich nun alle paar Tage die Post aus dem Briefkasten. Meine Mutter hatte mich schon vorgewarnt, dass mein Vater sich auch nicht mehr rasiert und nur noch in dem selben fleckigen Nachthemd rumläuft. Sie meinte, sie müsse ihm die Nachthemden vom Leib reißen und meist schmeißt sie sie gleich weg, weil sie die gar nicht mehr waschen kann. Ich machte mich also darauf gefasst, einem Geist zu begegnen und traf ihn natürlich im Bett liegend an, nachdem ich die Wohnung aufgeschlossen hatte (denn die Klingel hört er nicht mehr). Er begrüßte mich dann sogleich mit den Worten, wenn ich wolle, könne ich ja die Küche aufräumen und abwaschen. Ja, klar - ich kann mir echt nichts Schöneres vorstellen als nach dem Arbeitstag noch die Putzfrau zu spielen, aber wenn meine Mutter nach dem Urlaub nicht in Ohnmacht fallen soll, wenn sie wieder nach Hause kommt, bleibt mir gar nichts anderes übrig. Also hab ich schnell abgewaschen und aufgeräumt und mein Vater bequemte sich dann doch aus dem Bett und teilte mir mit, dass er jetzt die Zeit, wo meine Mutter weg ist, nutzen wolle, um seine ganzen Karl-May-Bände zu lesen. Leider fehlten ihm aber noch ein paar, die meine Mutter nicht gefunden hatte und nun sollte ich sie suchen. Nun suche mal einer zwischen tausenden von Büchern und das bei doppelten Regalreihen. Ich musste fast die ganze Bücherwand ausräumen, fand dann aber irgendwann eine ganze zweite Reihe voller Karl-May-Bücher, die ich alle auf dem Tisch aufstapelte. Mein Vater freute sich wie ein Kind - "Ach da sind ja noch so viele!" -, aber nach fünf Minuten stellte er fest, dass es die waren, die er schon alle gelesen hatte. Die anderen, die er unbedingt haben wollte, habe ich auch nicht gefunden. Wer weiß, ob er die überhaupt hat. Immerhin will er mir zum nächsten Mal den Herodot raussuchen, er sagte aber gleich, dass er ihn mir nur gibt, wenn ich ihn schnell lese, da er auch noch reinschauen will. Das kann ja heiter werden - 800 Seiten im Eiltempo.