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Dienstag, 13. Juni 2006

Neuer Schreck aus dem Krankenhaus

Mein Vater liegt jetzt wieder auf der Intensivstation, weil es auf der normalen Station nicht ging und sie sich dort besser um ihn kümmern können. Es sieht schon wieder ziemlich schlecht aus. Er hat zwar alles anscheinend überstanden, will aber keine Nahrung mehr zu sich nehmen, wehrt alles mit Händen und Füßen ab. Die Ärzte sind ziemlich ratlos und wissen auch nicht so recht, was sie machen sollen. Sie wollen ihn nicht gegen seinen Willen zwangsernähren und das geht ja auch nicht auf Dauer. Er sagt nichts so richtig, kann ja auch noch nicht so gut sprechen, deshalb wissen sie nicht, ob er nur nicht will oder vielleicht Beschwerden beim Essen hat, zumal er ja auch den Schleim, den er abhustet nicht schlucken kann. Er will sich jetzt auch nicht mehr berühren lassen, wehrt auch das ab. Zu meiner Mutter hat er bei ihrem letzten Besuch gesagt: "Ich bin bald tot."
Die Ärzte haben meiner Mutter geraten, sie soll nichts planen, es geht alles nur von einem Tag zum anderen. Meine Mutter war heute ziemlich überzeugt davon, dass er es wirklich nicht mehr schafft. Ob nun aus Trotz oder wegen der Krankheit kann man gar nicht so genau sagen, aber so wie er sich jetzt herumquält, wäre es wahrscheinlich besser gewesen, er wäre gleich in der Narkose eingeschlafen.

Die Geschichte, die NICHT "Auf geheimer Nachbarschaftsmission" heißt - Teil 14

Doch so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben, weshalb ich hilfesuchend in seine Wohnung spähte. Und sogleich entdeckte ich etwas, das mir helfen würde, das Gespräch in Gang zu halten ohne all zu aufdringlich zu wirken. An einer Seite seines Korridores befand sich eine kleine, in die Wand eingelassene, halbrunde Nische, die augenscheinlich als Ablage diente. So eine hatte ich nicht in meiner Wohnung. Ich bekundete mein Entzücken mit einem staunenden Ausruf der Bewunderung, während ich meinen Blick auf das kleine Wohnstil-Accessoire gerichtet hielt.

„Nein! Wieso habe ich so was nicht in meiner Wohnung? Die ist ja praktisch und hübsch noch obendrein!“

Herr Luchterhands Augen leuchteten auf. „Ja, nicht wahr? Die habe ich selbst gemacht.“

„Ach? Tatsächlich?" war meine fassungslose Reaktion darauf, „Das müssen Sie mir unbedingt mal erklären, wie das geht.“

Herr Luchterhand strahlte. „Also wenn Sie Zeit haben, äh.....können Sie ja für einen Moment herein kommen. Das heißt, wenn es Sie nicht stört, dass ich mir gerade etwas zu essen mache.“

„Aber nein.“ Ich schüttelte den Kopf und trat in den kleinen Flur. Mein Nachbar schloss hinter mir die Tür und bat mich linkerhand in ein großes Zimmer. Alles war sehr sauber und ordentlich, doch das wunderte mich nicht, denn Herr Luchterhand wirkte ebenfalls immer sehr ordentlich und adrett gekleidet. Ich nahm auf einem massigen, dunkelgrünen Sofa Platz, welches so tief war, dass ich mich nicht mit dem Rücken anlehnen konnte ohne halb zu liegen. Sogleich reichte er mir zwei riesige ebenso grüne Sofakissen und forderte mich auf, diese zusätzlich hinter meinem Rücken zu postieren. Das sei bequemer so. Ich tat wie er gesagt hatte und versank in einem dunkelgrünen Meer aus Sofakissen. Nun saß ich sehr gut. Er schien seine Couch gut zu kennen.

Dann entschuldigte er sich und eilte in die Küche, weil dort noch seine Bratkartoffeln auf dem Herd standen. Vorher fragte er etwas verlegen, ob ich vielleicht auch eine Portion haben möchte.

Ich winkte erschrocken ab. Nur keine Umstände. Und ein gemeinsames Essen mit Herrn Luchterhand war mir doch etwas zu intim. Das dachte ich aber nur. Aus der Küche hörte ich ihn rufen, ob ich nicht zumindest etwas trinken wolle. Ich rief zurück, dass mir ein Glas Wasser vollkommen reiche.
Während er an seinem Herd hantierte, sah ich mich neugierig um.
Die dunkle Schrankwand, etwas spießig aber mit schöner Maserung, nahm fast eine gesamte Wand des Zimmers ein. In den offenen Regalfächern standen dicht an dicht und nach Größe sorgfältig aufgereiht diverse Bücher. In einigen anderen Ablagen befand sich Krimskrams und Nepp, wie zum Beispiel eine russische Matrjoschka.
Ich fragte mich, welche Art Interesse wohl Herr Luchterhand an Russland hatte und ob er doch derjenige im Keller gewesen ist. Ich fragte mich ebenfalls, warum ich ihn jahrelang nie zu Gesicht bekomme und er jetzt auf einmal wie ein Gespenst überall im Haus auftaucht. Ein ungutes Gefühl wollte mich nicht loslassen.
In einer Ecke, etwas versteckt, entdeckte ich die obligatorische Kommode mit dem Fernseher.
Fernsehzeitschriften stapelten sich Kante auf Kante in einer Ablage unter dem Couchtisch. Eine robuste hölzerne Pendelleuchte mit Leinenbespannung zierte die Decke.
Vor dem Fenster hingegen schützten grüne Jalousien tagsüber vor der einfallenden grellen Sonne, welche man auf dieser Seite stets hatte, und vor fremden Einblicken aus dem gegenüberliegenden Haus während der Nachtzeit. Undeutlich erkannte ich durch die noch geöffneten Streben hindurch eine Red-Bull trinkende Riesenkrake, die sich mit ihren vielen Armen in einem der Ahornbäume verfangen hatte.

Herr Luchterhand erschien in der Tür mit einem großen und einem kleinen Teller. Beide balancierte er zum Tisch, stellte sie dort ab und setzte sich selbst auf einen der jugendstilartigen Lehnstühle.
Die Bratkartoffeln dufteten herrlich und nicht nur das, sie sahen auch noch fantastisch aus.
Mein Magen gab mir da uneingeschränkt recht. Goldbraun und kross, aber nicht zu dunkel, sogar mit Gürkchenspalten und Tomatenscheiben geschmückt. Auf dem kleineren Teller entfaltete sich ein liebevoll zubereiteter grüner Salat.

Mein Wasser hatte er vergessen, doch sofort, als er zu essen beginnen wollte, fiel ihm das erschrocken ein und mit umständlichen Entschuldigungen eilte er zurück in die Küche um gleich darauf mit einer Flasche Selters und einem prächtigen Kristallglas zurückzukommen. Aber auch jetzt noch wollte ihm das Essen nicht so recht schmecken. Verlegen stocherte er darin herum, während er dabei davon erzählte, wie er die Nische in schweißtreibender Arbeit herausgestemmt, glatt gemeißelt und verputzt hatte.
Er schaute öfters zu mir hinüber und bemerkte schüchtern, dass noch Bratkartoffeln übrig wären, worauf ich sofort wieder abwinkte. Mein Magen widersprach mir hier energisch und innerlich knurrte ich ihn an: „Halt die Klappe.“ Leider ließ er sich nicht den Mund verbieten und knurrte laut zurück, so dass es selbst Herr Luchterhand vernahm. Das war mir außerordentlich peinlich, doch dieser schien sich jetzt von Fragen auf Taten zu verlegen und bestimmte, dass er mir die restlichen Bratkartoffeln holen würde. Ich versuchte gar nicht erst, mich zu wehren. Fast war ich gerührt von so viel Fürsorge. Entschuldigend murmelte ich, dass es heute schon eine Weile her sei, dass ich etwas gegessen habe.

Kurz darauf stand ein ebenso appetitlich duftender Teller vor meiner Nase und ich konnte mich persönlich davon überzeugen, dass die goldgelben Kartoffelscheiben mit dem knusperbraunen Rand köstlich waren.
„Herr Luchterhand...“ begann ich und wurde sofort unterbrochen.

„Klaus. Sagen Sie Klaus. Wenn es Ihnen recht ist, dass wir uns künftig duzen.“

Ich nickte. „Gerne. Ich heiße Kira.“

„Ein außergewöhnlicher Name. Klingt nach einem Papageienvogel.“ antwortete er ernst.

Prustend bemühte ich mich, den letzten Bissen bei mir zu behalten.

„Sie können sicher, äh.......du kannst sicher sein, dass ich sehr viel weniger plappere als ein Papagei.“

Auch Klaus kicherte. „Wie du sicher schon bemerkt hast, bin ich ebenfalls nicht gerade der Unterhaltungshit.“

Er wurde mir immer sympathischer. Sein graues, kantiges und gequältes Äußeres bemerkte ich kaum noch. Oder hatte es sich aufgelöst? Die grauen Augen erschienen mir mit einem mal sanft und freundlich. Selbst das Lächeln wirkte nicht mehr steif, sondern nur noch ängstlich.
Wenn da nur nicht dieses geheimnisvolle Verhalten und die seltsamen Vorfälle wären.
Sollte ich ihn direkt danach fragen? Ich beschloss zu warten. Es schien der Beginn einer, zwar nicht gerade wunderbaren Freundschaft, aber doch einer netten Nachbarschaft zu sein. Vielleicht war ja alles bald vergessen und würde nicht mehr vorkommen.

„Klaus....“ begann ich noch mal. „Deine Bratkartoffeln sind einfach fantastisch. Ehrlich. Woher kannst du denn so gut kochen?“

Verlegen kicherte er erneut. „Ich kann eigentlich gar nicht kochen.“

„Ach komm....!“

„Neee, ehrlich. Ich kann nur Bratkartoffeln. Doch die Zubereitung dieser habe ich in jahrelangen experimentellen Versuchsreihen schrittweise immer mehr perfektioniert.“

„Jetzt willst du mich aber auf den Arm nehmen?!“

Er sah mich verständnislos an. Klar, wie hatte ich auch annehmen können, dass jemand wie Klaus Scherze macht.

„Es war sehr viel Arbeit, die Bratkartoffeln so zu vervollkommnen, dass sie jetzt schmecken, wie du sie gerade gegessen hast. Zum Beispiel verwende ich zum Braten nur noch selbst hergestelltes Kräuter-Butterschmalz. Die Kräuter dazu baue ich ebenfalls selbst an, genauso wie die Zwiebeln. Und ich arbeite weiter daran, eines Tages die absolut vollkommene und perfekte Bratkartoffel herzustellen. Das hier ist nur der Anfang.“

Am liebsten hätte ich laut losgelacht, doch weil er beim Reden so ernst war, blieb auch mir das Lachen im Halse stecken. „Ähem.“ sagte ich deshalb bloß und nahm einen Schluck aus dem Kristallglas.

„Nun“ erzählte er weiter, „ich kann zwar außer Bratkartoffeln nichts anderes kochen, aber dafür auch noch leckeres Schmalz auslassen. Das mache ich ebenfalls selbst. Wenn Sie, äh....du möchtest, mache ich für dich mal ein kleines Töpfchen.“

„Danke. Das ist nett, aber vorerst nicht nötig.“

Gerade wollte ich mich verabschieden, da fiel mir ein, weshalb ich eigentlich überhaupt hier war. Nicht wegen der Bratkartoffeln, sondern weil ich etwas erfahren wollte.