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Es ist alles so schrecklich

Anfangs fand ich ja die "neue" Brust gar nicht so schlimm, wie ich mir vorgestellt hatte. Sie war relativ ähnlich der anderen Brust, wenn auch nur zu dreiviertel Teilen, und schien mir überraschend natürlich. Zumindest bewegte sich da noch etwas mit und ich dachte mir so, das ist zwar nicht meine Brust, aber irgendwann, wenn die Schmerzen nachlassen, werde ich mich wohl daran gewöhnen können. Am meisten störte mich nur das Loch neben der Achsel, wo die Ärztin etwas zu eifrig alles ausgehöhlt hatte und welches leider auch nicht von vielen BHs abgedeckt wird. In den letzten Tagen bemerkte ich nun, daß die Brust zwar nicht mehr sehr viel größer wird, aber dafür viel härter und steifer. Ich stellte fest, daß sich die ganze Form irgendwie geändert hat, als wenn sich die Brust ringförmig zusammengezogen hat. Dadurch steht jetzt das Volumen so hoch, wie man sich das ungefähr bei einem Implantat vorstellt. Und dementsprechend hat sich die Brustwarze sehr nach oben verzogen, so daß sich beide Brustwarzen schön schräg gegenüberstehen. Jetzt habe ich also gleich drei Sachen auf einmal, die ich NICHT wollte. Eine davon hätte vollkommen genügt.
Beim Termin zum Punktieren heute war nur noch wenig Wasser zu sehen, weshalb das entfiel, und auf die Veränderung angesprochen, meinte die Ärztin, es könne manchmal vorkommen, daß die Brustwarze nach oben wandert, weil sie keinen Halt mehr habe und daß am Implantat nichts mehr weicher wird und sich bewegt. Es steht halt und weiter nichts. (Wobei ich ja trotzdem das Gefühl habe, daß das Innere des Implantats etwas beweglich sein kann, wenn es nicht gerade steif geworden ist - so ein bißchen wie Knete. Aber wahrscheinlich muß ich dann vorher immer kneten, wenn ich es in einer bestimmten Form haben will.) Davon wurde mir vorher auch nichts gesagt. Ich glaube ja langsam, daß man sowas alles erst hinterher erfährt, weil sonst die Patienten schon vorher Reißaus nehmen würden. Dann wurde die Brust wieder fotografiert und gegenüber ist gleich noch ein großer Spiegel, in dem man, ob man will oder nicht, mit seiner neuen schrägen "Schönheit" konfrontiert wird.
Wenigstens ist von dieser ganzen Misere nichts zu sehen, wenn ich vollständig bekleidet bin. Da sieht alles völlig normal aus. Außer vielleicht, wenn ich mich ohne BH hinlege und eine Brust steht unter dem Oberteil nach oben. Oder ich habe nur BH an und man sieht das Loch an der Seite. Es ist alles so schrecklich.

Ich ertappe mich sogar dabei, daß ich Frauen beneide, die das an beiden Seiten haben, weil ich finde, wenn beide Seiten von Implantaten entstellt sind, fällt das viel weniger negativ auf, als wenn man auf einer Seite noch eine natürliche Brust hat. Da springt einen der Unterschied ja förmlich an. Und was auch noch doof ist (ich weiß), wenn ich im Fernsehen diese Helden mit doppelt amputierten Beinen sehe, die bei den Paralympics Weltrekorde aufstellen - und ich fast das Kotzen kriege. Denn wenn die sich selbst und anderen so dringend beweisen müssen, daß sie trotzdem und sogar besser laufen können, zeigt das ja eigentlich nur, wie tief die Verletzung sitzt. Das ist so ähnlich, als würde ich jetzt extra tiefe Ausschnitte tragen und mich überall präsentieren, um zu beweisen, daß ich es noch kann, aber das will ich gar nicht. Eigentlich will ich nur mich selbst anschauen können, ohne eine Krise dabei zu bekommen.

Vielleicht wäre jetzt der richtige Moment, um aufzugeben und die Brüste für dieses Leben ad acta zu legen und zu verdrängen. Ist aber ziemlich schwierig, wenn man täglich damit zu tun hat. Und man möchte sie ja auch nicht ständig in kneifende Bustiers sperren, um nicht mehr daran erinnert zu werden. So mit fast 45 wäre es ja vielleicht sogar das richtige Alter, um den ganzen Körper zu verdrängen und sich nur noch dem Geistigen zu widmen. Die Lust am Tanzen ist mir im Moment sowieso ziemlich vergangen. Schließlich hatte ich damit begonnen, um Spaß zu haben und mich in meinem Körper wohler zu fühlen. An Spaß ist gerade nicht mehr zu denken und das mit dem Wohlfühlen wurde mal wieder mit einem Streich zunichte gemacht. Mein Verstand sagt mir allerdings, daß es zu schade wäre, jetzt aufzuhören, wo ich so viele Fortschritte gemacht und mich über diese gefreut habe. Zum Beispiel wenn ich nach langem Üben eine für mich schwierige koordinative Bewegung gemeistert habe oder wenn ich mir nach und nach Choreografien merken kann, was für mich auch nicht so einfach ist. Mal ganz abgesehen von dem guten Gefühl, wenn man die vier Treppen viel besser hinauf kommt. Aber wenn ich mich nur deswegen zum Tanzen peitsche, ist es trotzdem nicht mehr das, was es mal war. Doch wenn ich es nicht mehr tue, macht mich das ebenfalls traurig. Nicht einmal auf die Wut ist mehr als Energiespender Verlaß.

Überraschend erhielt ich eine duftende Revanche von einer Leserin - eine handgesiedete Naturseife mit Ringelblumenöl und Sandelholzduft mit einer schönen Postkarte. Vielen Dank an Chutzpe! Leider bin ich bei dem Wunsch, ich möge meinen Humor behalten, in Tränen ausgebrochen. Manchmal weiß ich wirklich nicht, wo ich den Humor noch hernehmen soll.
Auf dem Heimweg flog mir heute ein Stieglitz über den Weg. Stieglitze habe ich zuletzt in meiner Kindheit gesehen, also sehr lange nicht mehr.

Seife
Chutzpe - Mi, 22:53

Verschmickt - ich schreibe jetzt keine unflätigen Worte.

Nur soviel:
Was du hier schreibst, kann ich gut verstehen und ich würde mich wohl ähnlich fühlen - mehr als dass es mir leid tut, dass du damit belastet wirst, ist wohl auch kaum sinnvoll.

Ha - bin ich froh, dass die Seife heil angekommen ist. Ist übrigens ein deutsches Produkt - also quasi ein Re-Import ;-)
Und sehr gern geschehen.

Als ich ganz am Anfang meiner VT stand, habe ich einmal zu meiner Psychiaterin gesagt, ich wolle keinen Körper, ich möchte nur ein Kopf sein - ich kann also auch den Gedanken "sich dem Geistigen zu widmen" nachvollziehen.

Zum Weinen bringen wollte ich dich keinesfalls und einen Stieglitz habe ich - glaube ich - noch nie gesehen.

Nachtrag:
In der Nähe gibt es ein weltbekanntes Paraplegiker-Zentrum und der Pressesprecher muss morgen dorthin für eine Reportage über eine Rollstuhl-Sportlerin aus seinem Zeitungseinzugsgebiet. Dazu sagt er: Besonders bitter, sie ist seit 18 querschnitt gelähmt.
Ich nur so unwirsch: Lass mich in Ruhe mit all diesen Rolli-Fahrern, denen wird alles in den Arsch geschoben, weil sie sichtbare Krankheiten haben und wie tapfer sie doch sind etc. - erinnere dich nur an die, die mit mir in der psychosomatischen war und im Rolli sass.

So kann ICH auch ein Held sein - PAAAAAAAAAH!!!
Und ja, ich bin neidisch auf die Unterstützung, die die bekommen und wir nicht - mit unseren unsichtbaren Krankheiten - und sauer.

Weiß ich ja,

daß du mich nicht zum Weinen bringen wolltest. Und auch wenn die Seife ein Re-Import ist, habe ich sie hier noch nie gesehen. Ich freue mich schon, sie auszuprobieren.
Chutzpe - Mi, 23:09

Ich habe grad noch einen Nachtrag geschrieben.

Ich habe die Seife auf dem Markt gekauft und erzählt, dass sie ein Geschenk für eine Freundin in D sei, worauf mir die Frau dann verklickerte, dass es ein D-Produkt sei.

Es freut mich, dass du dich auf die Seife freust.
schlafmuetze - Do, 18:04

Hallo Zucker :-)

Dein Beitrag spiegelt ein wenig dein Gefühlsleben wieder. Der Genesungs- und auch Gewöhnungsprozess nimmt Monate in Anspruch; eine schwierige Zeit für dich. Es geht immer weiter, das lese ich aus deinem Beitrag heraus.
Du sprichst nebenher ein interessantes Thema an. Sportler, die an der Paralympic teilnehmen.
Ich zitiere dich einmal:"Denn wenn die sich selbst und anderen so dringend beweisen müssen, daß sie trotzdem und sogar besser laufen können, zeigt das ja eigentlich nur, wie tief die Verletzung sitzt."
Ich glaube, du bist da etwas auf dem Holzweg.
Es gibt dazu einen höchstinteressanten Film von Niko von Glasow (der ähnliche Gedanken hegte): https://de.wikipedia.org/wiki/Mein_Weg_nach_Olympia Wenn man sich den angeschaut hat, denkt man ganz anders darüber.
Und ich möchte dir @ Chutzpe widersprechen.
Rollifahrer bekommen keineswegs alles "in den Arsch geschoben", wie du es nennst. Zumindestens sehe ich davon nichts bei meiner an MS erkrankten Freundin, die seit 16 Jahren im Rollstuhl sitzt und fast ebenso lange in einen Pflegeheim (Altenheim) lebt. Jede Krankheit bringt doch für sich andere Probleme mit sich. Darum kann man sie nicht miteinander vergleichen.
Ganz liebe Grüßli euch beiden :-)

Chutzpe im Büro (Gast) - Do, 18:42

Was ich während meines Aufenthalts in der Psychosomatie gesehen habe, hat mir für immer gereicht.

Kommt ein Körperbehinderter, wird sofort der Arbeitsplatz angepasst/umgebaut - kommt ein unsichtbar Behinderter (wobei ich mich als Asperger nicht als behindert empfinde, trotzdem jedoch gewisse Adapationen an meinen Arbeitsplatz nötig sind), tun sich Ämter und Arbeitgeber ungleich schwerer und man wird vor allem nach wie vor als Simulant hingestellt - selbst wenn man via Wiedereingliederung von der Invalidenversicherung kommt.

MS ist ja noch mal was ganz anderes, das bleibt ja auch so unfassbar bis es in die letzten Runden geht - ich sprach vor allem von Unfallopfern oder Geburtsfehlern.

Auch hier wohnen viele Behinderte (egal welcher Art) in Altenheimen, da es keine anderen Pflegeplätze gibt. Da bin ich direkt wieder dankbar für meine Abart.

Es sollte kein Vergleich sondern eine Feststellung sein.

Es mag durchaus

so sein, daß ich auf dem Holzweg bin. Dies ändert jedoch nichts daran, daß ich das Kotzen bekomme, wenn ich diese "Helden" irgendwo in den Medien sehe. Doch wie du bereits erkannt hast, spiegelt dieser Beitrag vor allem meine Gefühlsebene (und das nicht nur wenig, sondern absolut). Ich glaube ja, daß es vor allem etwas mehr Wahrhaftigkeit statt Heldenhaftigkeit bräuchte, denn ich denke, daß letzteres eigentlich vor allem von den sogenannten Gesunden gewünscht wird, weil es für sie nämlich die Situation erträglicher macht, wenn sie nicht mit seelischen Abgründen und verstörenden Emotionen konfrontiert werden. Deshalb wollen sie einem auch häufig gerne erklären, wie man zu denken und mit solch einer Situation umzugehen hat. Mit dieser Indoktrination, vor allem wenn sie durch das Anpassungsbedürfnis des Belehrten erfolgreich ist, sichern sie sich in ihrer eigenen Normalität ab.
schlafmuetze - Fr, 23:09

... mmmh ..

ich lass das jetzt mal so stehen.
Ich bin nicht deiner Meinung, denn ich sehe zumindestens in meinem Umfeld durchaus die Bereitschaft, sich auch mit seelischen Abgründen auseinander zu setzen. Wir sind überwiegend im Alter 50 + (ich bin 56 J.).
Da gibts es eigentlich "durch die Bank weg" in jeder Familie Schicksale, die angenommen werden müssen und die von allen mitgetragen werden.
Es ist ziemlich schwierig, so ein Thema schriftlich in Kommentaren zu behandeln. Zu leicht wird etwas mißverstanden. Zu wenig erkennt man die seelische Verfassung des anderen.
Ich möchte dir auch nicht auf den Nerv gehen. ;)
Ganz liebe Grüße

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