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Familiengeschichten

Feiertage sind so richtig schön dazu geeignet, wieder alte Kamellen aus der Geschichtenschublade zu ziehen und im Kreise der Familie zum besten zu geben. Wenn man Glück hat, kommen manchmal auch neue Geschichten dazu, dann wird es wenigstens nicht langweilig. So erfuhr meine Mutter vor kurzem von ihrem Cousin eine Anekdote über ihre Großeltern, die sie sogleich an uns weitergab. Meine Urgroßeltern waren beide bereits über 70, als sie während der Endkämpfe des zweiten Weltkriegs im Oderbruch und in Berlin zweimal zu Fuß nach Berlin flüchteten. Nach dem ersten Mal kehrten sie nach Küstrin zurück, doch das gab es nicht mehr, also wanderten sie erneut nach Berlin. Irgendwann auf dieser Flucht begegneten ihnen russische Panzer und sie versteckten sich im Straßengraben, um nicht gesehen zu werden. Die Panzer zogen vorüber, jedoch ausgerechnet der Führer des allerletzten Panzers entdeckte meine Urgroßmutter im Straßengraben und winkte sie zu sich heran. Sie glaubte, sie würde erschossen werden, aber stattdessen streckte er ihr ein Stück Brot entgegen. Auch das gab es.

Seltsamerweise ist es mir früher nie aufgefallen, daß von meiner Familie nur väterlicherseits wirklich alte Fotos existieren. Von der Sippschaft meiner Mutter gibt es erst ab 1945 Fotos. Bewußt geworden ist es mir kürzlich, aber es ist logisch, da die Familie meiner Mutter ja ausgebombt wurde und sie nichts anderes mehr hatten mitnehmen können, als ein Stück Schmalz. Meine Mutter rollt heute noch mit den Augen, wenn sie erzählt, wie sich die Sippe meines Vaters darüber aufgeregt hätte, daß die Russen ihr Klavier konfiszierten. Denn das ist natürlich kein Vergleich zu dem, was sie erlebte, wenn mit einem Mal alles, was man besitzt, weg ist und man nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf hat.

Die Familie meines Vaters wohnte auf dem Land, im schönen Spreewald, und hatte deshalb nicht viele Verluste zu beklagen. Jetzt sind einige sehr alte Fotos aus dem Nachlaß meiner Großeltern aufgetaucht, die ich noch nicht kannte. Auf den ersten beiden Fotos sieht man die Mutter meiner Großmutter, also meine Urgroßmutter, die sehr früh an Typhus oder Tuberkulose starb als ihre Tochter erst 3 oder 4 Jahre alt war (links). Sie trug noch die typisch sorbischen Trachten, was mich an den Bildern besonders fasziniert.

Urgroßmutter 1

Urgroßmutter 2

Dieses Bild ist, wie auf der Rückseite vermerkt, von Pfingsten 1921. Ich könnte nicht sagen, wer darauf abgebildet ist, aber das Foto gefällt mir an sich gut, weil es das alte Interieur so stimmungsvoll zeigt:

Pfingsten 1921

Diesen Schnappschuß fand ich auch witzig, dürfte jedoch keine Familie gewesen sein, sondern lustiges Dorftreiben:

Spreewalddörfliches Treiben

Und zum Schluß noch zwei fesche Fotos von meiner Oma aus den 20igern. Wie man sieht, hatte sie mit sorbischen Trachten nix mehr am Hut, sondern war modisch up-to-date:

Oma in den 20igern 2

Oma in den 20igern 1
Chutzpe - Di, 21:58

Tolle Fotos - so ne ähnliche Reise habe ich heute auch hinter mich gebracht - unsere Grossmutter väterlicherseits ist gestern verstorben und meine Schwester und ich müssen uns als Erben wohl oder übel kümmern, so haben wir erst stundenlang dort herumgewühlt und nachher noch bei unserer Mutter Fotos von ihrer Seite angeschaut und erzählt bekommen, was unserer Mutter (deren Mutter ist auch erst kürzlich verstorben) so alles aufgefallen war.

Ich finde

sowas ja ungemein spannend, wobei der Anlaß dafür bei dir natürlich nicht schön ist. Mein Beileid für dich.
Chutzpe - Di, 22:36

Ich auch - ich auch - heute hatten wir seit Jahren zum ersten Mal ein anständiges Gespräch - Mami und ich.

Ich danke dir. Wir sind froh, dass sie daheim sterben konnte, sie wollte nicht ins Altersheim, wäre heute 91 geworden und konnte jedoch alles noch alleine erledigen, nur Einkaufen ging nicht mehr gut. Die Nachbarn und eine Cousine meines Vaters haben sich jedoch gut um sie gekümmert. Sie war meine Ersatzmutter bis unsere Mutter nicht mehr gearbeitet hat. Jetzt sind wir nur noch 3 (Mami, Schwester und ich). Wir sind nicht sehr traurig, da wir wussten, dass sie gerne bald gehen wollte.
(Dass ich mich über die Pfarrerin, die eine Freundin unserer Mutter ist, schon tierisch aufgeregt habe, weil die es enorm eilig hat mit der Beerdigung, ist eine andere Geschichte.)
g a g a - Fr, 20:21

Prachtvolle Aufnahmen. Die opulenten Trachten hätte Frida Kahlo wahrscheinlich gleich dutzendweise aufgekauft und heim nach Mexico geschleppt. Hätte hervorragend in ihre Kleidersammlung gepasst. Tolle Sachen.

Ja,

manchmal finde ich es schade, daß diese Folklore kaum noch, bzw. nur zu Festtagen gelebt wird, andererseits stelle ich es mir auch ziemlich unbequem vor, solch eine Tracht zu tragen. Allein diese große Haube, die Röcke, Schürzen, Halstücher usw. müssen ziemlich schwer sein, mal ganz davon abgesehen, daß es ca. zwei Stunden dauert, solch eine Tracht anzuziehen (http://www.spreewald-info.de/de/service/wissenswertes/). Allerdings gab es früher auch Alltagstrachten, die arbeitstauglich waren. Diese prachtvollen Trachten wurden nur zu Feiertagen getragen. Doch wer hätte selbst heute an Feiertagen noch Zeit, sich zwei Stunden lang anzuziehen? Früher war das ja anders, da gab es keine, bzw. nur wenige Ablenkungen und der Kirchgang war sonntags wahrscheinlich noch das aufregendste.
g a g a - Sa, 16:16

Ich denke, das ist dieselbe logistische und körperbeherrschungstechnische Herausforderung wie bei High Heels, Nylonstrümpfen, komplizierten Frisuren und Korsagen. Alles unbequem, aber manchmal halt ein Hingucker, für den man den unkomfortablen Aspekt in Kauf nimmt. An hohen kirchlichen Feiertagen wie besonderen abendlichen Verabredungen oder für eine Bühnensituation. Ich würde ja zum Beispiel hochhackige Schuhe, von denen es noch einige in meinem Schrank gibt, nur noch von langer Hand geplant, an einem Abend anziehen, wo von vorneherein klar ist, dass weder gelaufen noch getanzt werden muss. Man also quasi nur dekorativ herumsitzt und maximal kurze Wege von Haustür zu Autotür gehen muss. Da solche ausgefallenen Barbesuch-Situationen aber äußerst selten bei mir vorkommen, stauben die Hackenschuhe vor sich hin. Ich kriege ganz schnell schlechte Laune, wenn es an den Füßen zwickt, also lieber bequeme Schuhe und ein entspannter Gesichtsausdruck, so toll ich solche Schuhe zum Angucken finde. Man kann nicht alles haben! Nylonstrümpfe auf der Haut finde ich auch supereklig. Habe aber eine erstaunliche, ebenfalls verstaubende Sammlung davon. Wer weiß, ob sie nicht doch noch mal stundenweise zum Einsatz kommen ;-)

Das geht mir

mit beidem genauso. Mit Highheels fühle ich mich irgendwie amputiert. Ich glaube, die wurden nur erfunden, damit Frauen nicht weglaufen können und das Geklacker schon von weitem auf paarungswillige Weibchen aufmerksam macht. Ich schleiche ja lieber und hab es auch gerne bequem. Ist einfach ein ganz anderes Lebensgefühl, wenn man weiß, daß man rennen und notfalls einen Kilometer mehr laufen kann. Und Nylonstrümpfe finde ich vom Gefühl nicht nur eklig, sondern meine Haut reagiert auch empfindlich drauf. Trotzdem habe ich ebenfalls einige im Schrank, obwohl die Röcke längst alle entsorgt sind. Man weiß ja nie, wofür die noch gut sind. ;o)

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