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Freitag, 11. August 2006

Mein Elternhaus - Die Kirche

Natürlich spielten wir auch gerne neben der Kirche, an die sich ein kleiner Park anschloß, was aber unsere Eltern nicht gerne sahen. Sie wollten lieber, dass wir uns auf dem Hof aufhielten.
Die Kirche war so etwas wie ein spannendes Geheimnis und nur zu gerne, wären wir in alle ihre dunklen und unheimlichen Winkel gekrochen, um uns wie Helden zu fühlen und wohlig zu gruseln. Leider ging das nicht, weil sie meist geschlossen war und wir sie wie alle anderen in der Regel nur im Gottesdienst sahen. Um so eindrucksvoller war es für mich, wenn mein Vater als Pfarrer mich manchmal mit in die leere Kirche nahm, falls er dort etwas zu erledigen hatte oder der Kantor an der Orgel übte.
Die echte Kirche, die ich von meinen frühesten Erinnerungen her kenne, war ziemlich furchteinflößend, weil zum einen immer dunkel, vielleicht kam mir das auch nur so vor, und zum anderen mit einem wirklich gigantischem hölzernem Jesus an einem noch gigantischerem Holzkreuz ausgestattet. Und dabei handelte es sich um keine realistische oder gar verklärte Darstellung, sondern um ein expressionistisch anmutendes grobes menschliches Gebilde mit riesigen Augen, einem verzerrtem Gesicht, eckigen und kantigen Gliedmaßen und einer schweren, stachligen Dornenkrone, alles aus dunklem purem Holz, ohne jede Bemalung. Wahrscheinlich kam er mir kleinem Zwerg noch riesiger und furchteinflössender vor, als einem Erwachsenen und dennoch frage ich mich auch heute noch, wieso man in eine kalte, düstere Höhle mit diesem gräßlichen Anblick eines leidenden Menschen gehen soll, um Gott zu ehren.
Sollte bei aller Demut und Nachdenklichkeit ein Gottesdienst nicht auch fröhlich sein? Welcher wahre Gott wird sich durch bedrückte und furchtsame Menschen geehrt fühlen? Welche Mutter sieht ihre Kinder lieber weinen anstatt lachen?
Vielleicht ist dies der Grund, dass ich mich in der Natur Gott sehr viel näher fühle - sie kann grausam sein, aber auch schön, sie ist alles in einem, in ihr findet man alle Facetten Gottes.
Und doch mochte ich schon damals die Klänge der Orgel, die wie ein Wind zu mir herunter brausten, um mich herum und bis unter das Dach hinauf wehten, meinen Körper durchdrangen und in meinem Kopf etwas vibrieren ließen, ein Licht, das aus reinen Tönen bestand.
Früh schon in meiner Kindheit habe ich das große Kirchenschiff nie wieder gesehen, weil es wegen Bauarbeiten gesperrt wurde und die Gottesdienste in der kleinen Kapelle, die innerhalb der Kirche in einem Anbau lag, stattfanden. Diese war sehr viel freundlicher und heller, aber auch weniger beeindruckend. Erst nach der Wende wurde die Kirche nach den endlich abgeschlossenen Bauarbeiten wieder geöffnet. Im übrigen habe ich unzählige Male gegen die Kirchenmauern gepinkelt, weil sie, von dichtem Gestrüpp umstanden, bequemer waren als der Weg auf das Klo, aber das nur nebenbei.

Die Kirche war mindestens so unheimlich wie der Keller unseres Hauses, in dem wir ausnahmsweise nicht spielten, da er immer verschlossen war. Allerdings habe ich mich auch nie besonders wohl dort gefühlt. Dem Gebäude entsprechend war er ebenfalls ziemlich groß. Man stieg erst eine schmale Treppe hinab, die in einen ebenso schmalen und sehr langen dunklen Gang mündete, der genau unter dem Hinterhaus entlang führte. Am Anfang und am Ende befanden sich dicke Stahltüren mit Gucklöchern, da der Keller im Krieg natürlich als Luftschutzraum gedient hatte, und ich löcherte meine Mutter jedesmal mit Fragen über die Türen, wenn wir dort unten waren. Nachdem man durch diesen Gang gelaufen war, gelangte man in ein geräumiges, quadratisches Flurstück, von welchem nun im gleichen Winkel wie das Haus noch einmal ein langer dunkler Gang abging.
Diesen mußten wir glücklicherweise nie betreten, da unser Keller sich genau am mittigen Flurpunkt befand, allerdings war das gähnende schwarze Loch des unbeleuchteten Einganges um so gruseliger. Ich kann mich erinnern, dass ich mich lieber zusammen mit meiner Mutter in unserem Kellerraum aufhielt, der im übrigen riesig war und voller Gerümpel, als davor zu warten, wozu sie mich manchmal aufforderte. Denn da draußen sah ich immer allerhand unheimliche Gestalten und Dinge aus dem schwarzen Gang auftauchen, die sich bei Licht besehen als hervorstehende Brettertüren oder ähnliches entpuppten.

So wie jeder Ort meiner kindlichen Heimat mit anderen Erinnerungen verknüpft ist, so sind es auch die Jahreszeiten, die ich dort erlebte.
Zeitig im Frühjahr entdeckten wir im Wäschegarten die ersten Schneeglöckchen, danach die Hyazinthen und Maiglöckchen. Ihnen wurde stets besondere Aufmerksamkeit zuteil, vielleicht weil sie die Boten des nahenden Sommers waren.
Die Sommer waren das Schönste und ein Fest für uns Kinder. Endlich nicht mehr dick einmummeln, auf der Wiese herumtollen, unendlich lange Tage draußen verbringen und unserer Phantasie wurden nun keine Grenzen mehr gesetzt. Der Sommer ist für mich verbunden mit dem silbernen Rauschen des leichten Windes in den hohen Pappeln, mit der Stille der am Himmel vorbeiziehenden Wolken und mit dem so sehnsüchtig und wie aus weiter Ferne klingendem Ruf der Türkentaube.

Im Herbst verwandelte sich unser Haus in ein Farbenmeer. Denn, während es zur Straße hin eine gediegene, graublaue, bürgerliche Fassade hatte, war das Hinterhaus über und über bis zum Dach mit Weinranken bewachsen. Bevor ihre Blätter abfielen verfärbten sie sich knallig rot und als Kind habe ich besonders leuchtende Blätter oft aufgehoben, manchmal wurden auch welche in das Küchenfenster geweht, und wie einen Schatz bewundert. Außerdem hatten es uns die zusammengekehrten Laubhaufen angetan. Wir ließen uns gerne in sie hinein plumpsen oder bewarfen uns gegenseitig mit Armen voller Blätter, bis vom Laubhaufen nicht mehr viel übrig war. In einer Ecke des Kindergartenspielplatzes befand sich ein kleiner, durch einen niedrigen Holzzaun abgetrennter Verschlag, wo das Laub, sowie Erde neben einem Baum gelagert wurde. An dem Baum befand sich eine kleine Höhle, wo die zweite Hofkatze, mit der ich mich angefreundet hatte, einen Wurf Junge bekommen hatte. Um sie zu besuchen, kletterte ich über den Zaun direkt auf den schon festgetrampelten Haufen. Einmal hatte ich einen Lutscher dabei und um die Hände für die Kätzchen frei zu haben, steckte ich ihn mit dem Stiel hinter mir in die Erde. Als ich mich nach einer Weile umschaute, ich wollte wieder daran lutschen, sah ich so einen kleinen Racker von Kätzchen, das sich von den anderen weggeschlichen hatte, und während ich abgelenkt gewesen bin, fleißig an meinem Lolli leckte.
Leider verschwanden alle Katzennester schon nach kurzer Zeit, was mich heute nicht mehr wundert, weil M., mit dem ich zusammen spielte, es ebenfalls sofort mitbekam, wenn irgendwo Katzen waren und es wahrscheinlich dann auch gleich seinem Opa, dem Hausmeister erzählte.
Dieselbe Katze, die sich ab und zu in unserer Wohnung aufhalten durfte, bekam eines Tages auf dem Fernsehsessel einen weiteren Wurf Junge, drei an der Zahl. Meine Mutter trug sie vor Schreck alle auf die Wiese des Wäschegartens, doch die Alte packte eines nach dem anderen am Schlawittchen und trug sie wieder vor unsere Wohnungstür. So ging es eine Weile hin und her, meine Mutter schwitzte schon Blut und Wasser bei der Vorstellung, vier Katzen in der Wohnung zu haben, als die Alte es schließlich aufgab und bei den Kleinen auf der Wiese blieb. Irgendwann unterhielt sich meine Mutter darauf mit dem Hausmeister und er meinte kopfschüttelnd zu ihr, er habe es noch niemals erlebt, dass eine Katze ihre Junge auf der Wiese bekommen habe. Ich selbst vermute ja, dass er sich absichtlich ahnungslos gestellt hat, denn so oft wie die Katze mit ihren Jungen im Maul über den Hof und in den Hausflur hinein gewetzt ist, war es wohl kaum zu übersehen, woher sie kamen. Mir selbst tat es in der Seele weh, die Kleinen so schutzlos auf einer Wiese ausgesetzt zu sehen, weshalb ich mit den anderen Kindern ein Zelt für sie baute. Doch bald waren auch diese Katzen verschwunden.

Mit dem Herbst ist für mich ebenso das Geräusch der auf das Dach des kleinen Schuppens, in welchem die Spielgeräte des Kindergartens lagerten, knallenden Kastanien verbunden.
Der Winter zeichnete sich vor allem durch Kälte aus - unser Bad wurde nur mit einem kleinen Gasheizer dürftig erwärmt, meist war es eisig, insbesondere die Klobrille, und dekorative Eisblumen bedeckten das ganze Fenster. Auch die Küche war nur notdürftig beheizt und durch den kleinen Korridor, an den Küche und Bad angrenzten, zog es wie Hechtsuppe wegen der undichten hinteren Eingangstür.
Die anderen Zimmer hatten zwar Kachelöfen, kühlten aber durch ihre Größe schnell wieder aus. Mit dem Winter verbinde ich vor allem den in der Nase ätzenden Geruch voller Ascheeimer und qualmender Öfen, aber ebenso die wohlige Hitze, welche diese am Abend abstrahlten und die mir im Bett die Füße wärmte. Und natürlich das vollkommen ungehemmte und verschwitzte Herumtollen im Schnee. Ein echter Grißlibär kennt eben keine Kälte.( http://weltentanz.twoday.net/stories/2120854/ )