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Montag, 12. Oktober 2009

Riesenrad und legasthenischer Freund

Auf dem Balkon eines Hauses westlich der Pfarrkirche der väterlichen Gemeinde. Ich sitze, bzw. liege im Balkon wie in einem Liegestuhl und er ist genauso wackelig, schwankt unter meinem Gewicht bei jeder Bewegung hin und her. Es ist bereits völlig dunkel, da wird meine Aufmerksamkeit plötzlich auf bunte, funkelnde Lichter am Himmel östlich über und hinter der Kirche gelenkt. Was ist das denn? Ein Feuerwerk? Langsam erkenne ich es. Es ist ein Riesenrad! Zwar nicht ganz so hoch wie der Kirchturm, aber ebenfalls ziemlich groß. Es muß um die Kirche herum ein Weihnachtsmarkt aufgebaut worden sein. Das ist an diesem Platz neu. Normalerweise lassen mich ja Weihnachtsmärkte kalt, aber so von oben auf die vielen funkelnden Lichter zu schauen ist ein tolles Erlebnis - bei dieser schwankenden Höhe allerdings auch riskant. Was für ein Ausblick!

In einer therapeutischen Einrichtung. Ich befinde oder befand mich in einer Gruppe, in welcher kreative Tätigkeiten zur therapeutischen Behandlung genutzt werden. Wir sind ca. zehn Leute in der Gruppe. Mit einer Frau bin ich etwas enger befreundet. Ich nenne sie Ch. K., wie eine Klientin von mir. Außerdem gibt es in der Gruppe einen Mann, mit dem ich nicht so viel zu tun habe, der aber immer wieder Kontakt zu uns sucht. Er ist geistig behindert und stottert, beachtet habe ich ihn bisher kaum. Eines Tages erklärt man mir bei einer Aussprache, daß ich eine große, verwerfliche "Sünde" begangen hätte und man mich deshalb aus der Gruppe ausschließt. Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, worum es ging, allerdings bin ich mir weder dieser speziellen Schuld bewußt, noch empfinde ich die entsprechende Sache tatsächlich als so verwerflich. Ich versuche deshalb darüber eine Diskussion zu führen und spreche einzelne Leute an, warum sie so denken, doch die Meinungen stehen felsenfest, wenn auch für mich unverständlich. Dann wende ich mich an Ch. K., sie weiß genau, daß der Vorwurf nicht stimmt und kann es bestätigen. Aber statt zu sagen, was sie weiß, schließt sie sich der Meinung der anderen an und erklärt, wenn die es sagen, müsse es stimmen.
Seltsam ist die umfassende innere Ruhe bei dieser Szene. Weder bin ich verärgert, noch enttäuscht, traurig, erschrocken oder sonst etwas. Ich bemühe mich zwar ernsthaft, den Vorwurf zu entkräften, doch ähnelt es mehr den liebevollen Bemühungen, das Denken der anderen für eine neue Betrachtungsweise, einen anderen Blickwinkel zu öffnen, und dazu, die tieferen Gründe für ihre Meinung zu hinterfragen. Erfolglos, wie ich irgendwann feststelle.
Also ziehe ich mich allein in mein Heimzimmer zurück und bemerke überrascht, daß von jemandem überall an die weißen Wände kleine Zettelchen gespickt wurden. Es sind winzige Kopien meiner Werke, Zeichnungen, Bilder und sonstigen kreativen Erzeugnisse. Nanu? Wer hat dies getan und wozu? Da erscheint der geistig behinderte Mann und lüftet das Rätsel. Er ist völlig überzeugt davon, daß mir Unrecht getan wurde und möchte sich für mich einsetzen, aber vor allem, da er wahrscheinlich ebenfalls nichts erreichen kann, möchte er mir eine Freude machen, die mich wieder aufmuntert. Dazu hat er sich überlegt, alle meine Werke schön gerahmt auf diesen Wänden zu präsentieren. Die Anordnung hat er bereits festgelegt, und um sie sich nicht zu vergessen, die kleinen Kopien mit Reißzwecken an der entsprechenden Stelle befestigt. Zuerst bin ich völlig überwältigt und sprachlos. So etwas Schönes hat sich noch niemand für mich ausgedacht. Dann kommen wir ins Gespräch. Je mehr ich mich mit ihm unterhalte, um so stärker empfinde ich hinter seinem äußeren "Idiotentum" eine unglaubliche innere Schönheit. Ich spüre sie so körperlich und faszinierend, daß sich das spontane und starke Bedürfnis meldet, ihn zu umarmen. Da wir bisher, halb sitzend, halb liegend auf einer Couch geredet hatten, jeweils einen Arm aufgestützt, muß ich ihn erst etwas ungelenk mit einer Berührung seiner Schulter und einer entsprechenden Bemerkung auf meinen Wunsch aufmerksam machen. Wir ändern die Sitzposition so, daß wir uns umarmen können und ich drücke ihn fest und lange. Danach erheben wir uns und er kommt irgendwann mit einem Brief wieder, den er mir reicht. Es ist ein Brief, den er geschrieben hat, um sich für mich einzusetzen. Ich versuche ihn zu entziffern, aber es ist fast unmöglich, denn er strotzt vor Rechtschreibfehlern und die einzelnen Wörter erscheinen in einer völlig absurden Lautsprache, die man mehrmals langsam wiederholen muß, um zu erraten, was es heißen soll. Anscheinend ist er also auch Legastheniker. Im ersten Moment entgeistert, muß ich gleich darauf schon lächeln. Es ist sowas von egal und völlig bedeutungslos, genauso wie seine geistige Behinderung. Es macht den Menschen etwas anderes aus.
Und mitten im Traum die Erkenntnis: Die Kreativitäts-Therapie bekommt mir gut. Ich sollte meinen Arzt unbedingt davon überzeugen, mir weitere Verordnungen zu geben.