Die Journalisten Charlotte und Denis Plimmer erzählen aus diesen Tagen des Zurechtfindens, daß ein Besucher (des Vatikans), der sich im Labyrinth von Fluren und Höfen verirrt hatte, in ein großes und prächtiges Zimmer mit Spiegelwänden geriet. Sicher hatte ein Außenstehender hier nichts zu suchen, aber als er die reichverzierte Tür hinter sich zugezogen hatte, konnte der Unglückliche den Ausgang nicht mehr finden. Wohin er sich auch wandte, blickte ihn sein verängstigtes Spiegelbild an, bis er hilflos und geschlagen nur noch in den Spiegel schaute. Da stand er nun in schrecklicher Erwartung, als einer der großen Spiegel auf ihn zuschwang, und ins Zimmer trat der Papst. Johannes, der die Lage gleich durchschaute, legte spitzbübisch einen Finger auf die Lippen und flüsterte: "Pst! Ich habe mich auch verirrt."
(aus "Ich möchte Johannes heißen - Das Leben eines großen Papstes" von Lawrence Elliott)
Stabkirchen heißen so, weil sie aus einer speziellen Holzrahmenkonstruktion bestehen, dem Grundgerüst, wobei die Rahmen mit Brettern ausgekleidet sind, die mit Hilfe von Rillen und Nuten befestigt wurden. Im Prinzip ist so eine Stabkirche wie ein Baukastensatz, der richtig zusammengepuzzelt werden muß. Diese Stabbauweise war im Mittelalter vor allem in Nordeuropa weit verbreitet, wurde jedoch außerhalb Norwegens häufig sehr frühzeitig durch Bauten aus Natur- oder Backstein ersetzt. Die ältesten erhaltenen Funde eines Kirchenbaus mit Stabwerkkonstruktion finden sich als Reste im Dorf Greensted in Essex in der Nähe von London. Vollständig erhaltene Stabkirchen aus dem Mittelalter gibt es heute, mit Ausnahme eines Baues in Schweden und einer "geschenkten" und umplatzierten Kirche in Polen, nur noch in Norwegen. Die meisten der Stabkirchen wurden zwischen 1150 und 1350 errichtet. Ab 1350 verwüstete die Pest Nordeuropa und traf Norwegen so hart, daß vermutlich ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung dem Schwarzen Tod zum Opfer fiel. Dadurch stagnierte auch die Bautätigkeit, da es nur noch wenig Bedarf an neuen Kirchen gab. Erst im 17. Jahrhundert erreichte Norwegens Bevölkerungszahl wieder den Stand von vor 1350 und es entstand eine größere Notwendigkeit, alte Kirchen umzubauen, bzw. neue Kirchen zu errichten. Die mittelalterlichen Stabkirchen wurden oftmals abgerissen und durch Kirchen in Blockbautechnik oder aus Stein ersetzt. Gleichzeitig erwachte auch bei immer mehr Menschen das Interesse an der Rettung dieser alten Kirchen. Die letzte Stabkirche wurde um das Jahr 1880 abgerissen. Im Jahre 1905 wurden alle noch erhaltenen Stabkirchen, 29 an der Zahl (von ursprünglich über zweitausend), unter Denkmalschutz gestellt. Heute sind es nur noch 28 Stabkirchen, da eine von ihnen bei einem Feuer abgebrannt ist. Die in Norwegen besichtbaren Stabkirchen sind die letzten Beispiele für eine früher übliche Bautechnik, die es jetzt nicht mehr gibt.
Während unserer Reise besuchten wir die Stabkirche von Kvernes, die dem Møre-Typus zugeschrieben wird. Die Besonderheit sind Mittelstäbe in den Rahmen, sowie durchgehende Deckenbalken. Außerdem wird die Kirche durch Schrägstreben an den Außenwänden gestützt, was an sich sonst nicht üblich war. Man weiß nicht, wieso das geschah, vielleicht ja einfach, damit die Kirche an ihrer ungeschützten Position nicht weggepustet wird. Das genaue Alter der Kirche ist nicht bekannt. Sie wurde 1432 erstmals erwähnt. Die bunten Dekorationen und Malereien stammen übrigens nicht aus dem Mittelalter, sondern aus den Jahren 1630 bis 1640, das Kriegsschiffmodell aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Und das letzte Bild mit dem kleineren Schiff ist natürlich nicht von der Stabkirche, wie der aufmerksame Leser sofort erkennen wird, sondern von der daneben befindlichen, später errichteten Kirche.
Jede Rose hat Dornen und statt dauernd Rücksichten auf Leute nehmen zu wollen, die auf meinen Grenzen herumtrampeln, sollte ich mir endlich einmal ein Schulterklopfgerät zulegen. Jeder soll und darf es wissen, daß von mir scharf zurückgeschossen wird. Wer das nicht akzeptieren kann und will, wird gehen, aber dafür kommen andere, die das in Ordnung finden und nicht erwarten, daß ich für alles Verständnis habe. Das sagt die Psychologin und sie hat sicher recht. Trotzdem bleibt es nicht aus, daß es betroffen macht, wieviele Menschen in einer Nation der Miesepeter sich ihre Häme in solchen Momenten kaum verkneifen können. Und es ist nicht so leicht zu akzeptieren, daß es Freunde gibt, die einen entweder nur ganz unten oder ganz oben sehen wollen. Es gibt jene, die plötzlich da sind, wenn es einem sehr schlecht geht, es aber nicht ertragen und einem gönnen, wenn es einem wieder gut geht oder man gar Erfolg hat und glücklich ist, Dann sind da jene, die plötzlich da sind, wenn man ganz oben auf der Welle surft, die aber bei allen Unannehmlichkeiten oder Katastrophen sofort die Flucht antreten. Die eigentlichen Freunde sind die, die sich durch nichts in die Flucht schlagen lassen und sich mitfreuen können, wenn einem Gutes widerfährt. Ja, es stimmt, ich bin gerade sehr anstrengend. Das liegt wahrscheinlich daran, daß ich vierzig Jahre lang alles unternommen habe, um pflegeleicht und keine Belastung zu sein. Ist die Büchse der Pandora jedoch erst einmal geöffnet, quellen dort alle Überempfindlichkeiten hervor, die mich sonst noch seltsamer und anstrengender gemacht hätten und die ich deshalb irgendwo in mir vergraben habe, ohne daß sie deshalb weg gewesen wären. Doch wenn man sich mal überlegt, was eigentlich besser ist - nicht gemocht zu werden, weil man die eigenen Gefühle und Bedürfnisse in sich unterdrückt, oder aber nicht gemocht zu werden, weil man mit den eigenen Gefühlen so anstrengend und aufreibend ist - dann bin ich doch ganz klar lieber Prinzessin auf der Erbse. Aber Vorsicht! Wenn ich das wirklich wahr mache und die Büchse der Pandora wohl genug gefüllt ist (und das ist sie ganz sicher), dann könnte ich schlagartig sogar zur Drama-Queen mutieren, eine Rolle, die mir bisher immer fern lag. Doch ich spüre sehr deutlich, daß ich ein enormes, unerkanntes Potential dazu in mir habe. (Pluto tr im Quadrat zu Chiron r - "Die Wut äußern ***
Während vieler Monate gültig: Diese Zeitqualität könnte recht widersprüchliche Gefühle in Ihnen wachrufen. Möglicherweise verspüren Sie immer häufiger eine unbändige Lust, endlich Ihren Mitmenschen Ihre wirkliche Meinung über sie ins Gesicht zu sagen.")
Wanderungen in der Nacht. Zuerst verschlägt es mich auf den Hof meiner Kindheit. Alle offenen Sand- und Rasenflächen sind zubetoniert und teilweise bebaut worden. Ein Weihnachtsmarkt findet dort statt, wo noch Raum ist, natürlich, um Geld für die Gemeinde zu machen. Ich verlasse den Ort wieder, kann jedoch nicht ausmachen, welches der richtige Weg zurück ist. Jemand weist ihn mir und zeigt auf einen schmalen Feldweg, der bis weit in eine bergige Landschaft hineinführt. Das irritiert mich, denn dort, wo ich herkam, gab es eigentlich keine Berge. Also muß der Weg falsch sein. Außerdem mißfällt mir, daß der gesamte Weg auf der rechten Seite durch einen Weidezaun und auf der linken Seite durch einen mehrere hundert Meter tiefen Abgrund eingegrenzt wird. Der Pfad selbst ist sehr schmal und die Gefahr groß, abzustürzen. Ich möchte nicht hier entlang laufen.
Schließlich auf einem Bahnhof in einer Gruppe von Frauen und Männern, einige ehemalige Klassenkameradinnen sind dabei. Ich unterhalte mich mit mehreren Männern, doch wir schreiten nun, ein wenig wie bei einer Klassenfahrt, in Zweierreihen zu den Bahnsteigen. Eine der Klassenkameradinnen geht neben dem großen Mann im karierten Hemd, mit dem ich gerade gesprochen hatte und irgendwie stört mich die Unterbrechung, da ich noch nicht weiß, wie mein Gesprächspartner hieß. Auch deshalb, weil das Gespräch nicht vorbei ist, finde ich, daß ich und nicht sie neben ihm laufen sollte. So springe ich nun immer zu ihm nach vorne, drängle mich etwas zwischen die beiden und frage interessiert: "Wie heißt du? Sag, wie ist dein Name?" Dabei fällt mir ein, daß er mir den Namen schon genannt haben muß, ich ihn aber vergessen habe, denn ich erinnere mich zumindest daran, daß der Name mit D begann. Da er mir nicht antwortet, beginne ich zu raten. "Daniel?" Keine Reaktion. "Ach ja, David, stimmts?" Genau, ich bin mir jetzt sicher, der Name ist David. Seine Reaktion ist minimal. Nur ein winziges Zwinkern mit dem Auge zeigt mir, daß ich recht habe. Er läuft vor mir die Treppe zur S-Bahn hinauf, dreht sich leicht zu mir um und sagt: "An deiner Stelle würde ich nachmittags anrufen!", verschwindet darauf in Richtung S-Bahn. Ich rufe ihm leicht amüsiert und leicht empört hinterher: "Hey, ich wollte dich gar nicht anrufen!" Doch kaum habe ich diese spontane Antwort gegeben, frage ich mich plötzlich, ob sein Satz wohl bedeutet, daß er nicht abgeneigt eines Anrufs wäre. Bevor ich mir lange den Kopf darüber zerbrechen kann, sehe ich, daß meine S-Bahn nach Zappoint bereits auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig gehalten hat und im letzten Moment vor der Abfahrt springe ich hinein. "Das war aber wirklich auf den letzten Drücker, hat ja zum Glück noch geklappt", meint eine der Klassenkameradinnen, die sich bereits im Zug befand.
Am Morgen des zwölften Tages mußten wir unsere Kabinen mitsamt Handgepäck verlassen, weil diese für die neuen Passagiere hergerichtet werden sollten. Da das Schiff erst irgendwann am Nachmittag in Bergen anlegte, suchte sich also jeder einen Platz in den Lounges. Ich selbst war noch bis Mittag im Freien an Deck, um soviel Meer wie möglich mitzunehmen, aber den anderen war das zu kalt. Als ich vor dem Restaurant zum Mittagessen auf diese wartete, sah ich durch eines der Fenster weiter entfernt im Wasser eine hohe Fontäne heraussteigen. Ich dachte sofort an einen Wal, aber niemand um mich herum schien etwas zu bemerken, was mich wunderte. Doch ich beschloß, daß es wohl ein Wal gewesen war, der mir 'Auf Wiedersehen' sagte. Als unser Mutterschiff schließlich in Bergen anlegte, begann der übliche Streß - Gedränge, lange Warteschlangen. Mir fiel besonders auf, daß bei Hurtigruten kleine, zarte Frauen die großen, schweren Gepäckstücke in den Bussen verstauen. Man mag gar nicht hinschauen, weil sie einem leid tun und nachvollziehen kann ich das auch nicht, denn es gibt durchaus auch kräftige männliche Angestellte. Weiterhin fielen mir im Flughafen von Bergen jede Menge junger 'Scouts' des Flughafens auf, die nicht hinter einem Tresen sitzen, sondern überall herumlaufen und Ansprechpartner für die Reisenden sind. Mir kam es so vor, als wenn das teilweise noch Schüler waren, aber ich finde diese Idee gar nicht übel. So muß man nie lange nach einer Auskunft suchen. Als ich wieder meine Wohnung betrat, war mein erster Gedanke, daß mir diese viel größer erscheint als vorher. Kein Wunder, wenn man fast zwei Wochen auf engstem Raum gelebt hat, ohne etwas zu vermissen. So war mein zweiter Gedanke auch sogleich, daß ich am liebsten alles aus der Wohnung werfen würde, was da zu viel herumsteht, denn schließlich kommt man mit sehr wenig aus, im Grunde mit einem Notizbuch, einem Bleistift, einem Smartphone, einer Kamera und ein bis zwei Stücken Lesematerial, wenn man nur genug Meer und Himmel um sich herum hat.
Seemannsschmaus:
Kartoffel- und Paprikasuppe mit Croutons
Gebackener Heilbutt mit Kräuterkruste, serviert an einem Meeresfrüchte-Risotto
Rharbarber- und Erdbeersoße serviert mit Blätterteiggebäck und Minzsahne
Der elfte Tag unserer Reise begann 250 Meter unter dem Atlantik. Allerdings nicht in einem U-Boot, sondern in einem Bus durch einen Tunnel auf die Insel Averøy. Dort besuchten wir die beiden Kirchen von Kvernes, eine davon eine uralte Stabkirche mit fremdartigem Charme. Mit dem Bus ging es dann weiter auf der Atlantikstraße entlang, dort wo das Meer besonders stürmisch ist, so daß der Leuchtturm drei Meter dicke Mauern hat. Während unserer Fahrt lag es jedoch friedlich und still. Die gesamte Insel ist unglaublich malerisch, die schönste Region von allen, die ich in Norwegen gesehen habe. Ich könnte mir sogar vorstellen, dort einmal einen Urlaub mit Ferienhaus zu machen. Es ist eine Landschaft, in welcher ich mich wie zu Hause fühle, grün, aber gleichzeitig auch rauh und felsig. Am Nachmittag machten wir Halt an einem Fischrestaurant, wo wir Bacarole in Eimern serviert bekamen. Bacarole ist ein Eintopf aus Klippfisch und Gemüse, doch er wird natürlich nicht aus Eimern gegessen, auch wenn ich zuerst an die Sangria-Eimer von Mallorca denken mußte. Wir erreichten am Nachmittag wieder unser Schiff und ab diesem Zeitpunkt machte sich Abschiedsstimmung breit. Nachdem ich meinen Koffer gepackt hatte, da diese am Abend bereits abgeholt wurden, hielt ich mich bis spät in der hellen Nacht an Deck auf, um so viel Meer und Wind wie möglich aufzusaugen. Ich bin so ein Mensch, ich könnte stundenlang auf das blanke Meer schauen, ohne mich jemals zu langweilen. Ich kann nicht erklären, warum das so ist, aber selbst wenn man nichts weiter macht als zu schauen, fühlt man sich lebendig. In dieser Nacht schwankte das Schiff besonders stark, so als würde es nun übermütig auf seinen Heimathafen zustreben, und ich genoß es in eher schlaflosen Stunden im Klappbett, während ich am nächsten Morgen das ein oder andere gequälte Gesicht sah.
In der Spiegelfassade dieses Hotels kann man unser Schiff sehen.
Als sie das Haus verließ, war es ein Tag wie jeder andere. Ungefähr einhundert Schritte lang. Dann sperrten hinter der Eckkneipe bunte Bänder und Barrieren über die gesamte Strecke einen Teil der Straße ab und ein Hinweisschild warnte vor offenem Feuer wegen durchzuführender Bauarbeiten an den Gasleitungen. Wenige Schritte weiter stand ein Schweißer in der Grube und die Funken sprangen so lustig, daß man sie fast juchzen hören konnte. Sie hatte es eilig, an den Absperrungen vorbeizukommen und beschleunigte ihre Schritte. Vor der Kinderkrippe am Ende der Straße saßen die Kinder fröhlich in zwei großen Wagen und eine der Erzieherinnen redete laut mit ihnen. Sie wunderte sich, warum sie nichts verstand, bis ihr auffiel, daß es Englisch war.
Die breite Hauptstraße erreichend, vernahm sie ein immer stärker anschwellendes Donnern, bis schließlich ein Hubschrauber mit den Schriftzügen des ADAC auftauchte, und nur knapp über den Dächern seine Kreise zog. Auf der Straße erstarrte das Leben. Mit aufgerissenen Mündern schaute man auf den Hubschrauber, Arme wurden nach oben gestreckt und ein Postbote, der gerade mit einem Paket an einer Tür hatte klingeln wollte, legte dieses bedacht auf einen Sims und kramte in seiner Jacke nach einer Kamera, deren Objektiv er gebannt auf den Hubschrauber richtete. Das Paket war vergessen. Sie lief einfach weiter und der Hubschrauber verschwand hinter einem Fabrikgebäude.
Die Stunde in der Turnhalle verging wie im Flug, so schnell war die Zeit beim Sport noch nie vorüber. Sie schob es auf ihre wachsende Kondition. Als sie auf dem Nachhauseweg den Eingang eines Kindergartens kreuzte und zwei Erwachsene sowie einige Kindern passierte, die Englisch miteinander sprachen, fragte sie sich, ob ihr etwas entgangen wäre und die Kinder heutzutage bereits ab der Kinderkrippe die englische Sprache erlernen. Vor dem Hauptpostamt dagegen begegnete ihr die kleine, bebrillte Frau, die sonst hinter dem Schalter stand, während sich nun die Menschen an den Scheiben des verriegelten Gebäudes die Nasen platt drückten. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann das Postamt das letzte Mal tagsüber geschlossen gewesen war. Der Supermarkt erschien ihr merkwürdig still und leer. Gegen Mittag drängten sich hier sonst die Halbwüchsigen aus der benachbarten Schule um die Kuchentheke und an den Kassen. Nur der Apotheker ihrer Stamm-Apotheke lief ihr über den Weg als sie versonnen in das Käseregal blickte.
Mit ihren Einkäufen erreichte sie wieder die Wohnung und schloß kopfschüttelnd die Tür hinter sich. Was für ein seltsamer Tag! Äußerst eigenartig! Sie zerbrach sich auch noch den Kopf über die absonderlichen Begebenheiten der letzten Stunden und was diese zu bedeuten hatten, als sie das Fenster öffnete und die menschenähnliche, graue Kreatur mit den großen irisierenden Insektenaugen zum Nachmittagstee in die gemütliche Wohnstube bat. Wie gewöhnlich an jedem Tag.
(Ok, wenn ihr euch die graue, menschenähnliche Kreatur wegdenkt, wißt ihr, wie mein Tag war - voller winziger verstörender Details, die mein Gehirn sofort zu einem Independence Day kombinierte.)
Vorhin lernte ich meinen inneren Kritiker kennen. Er hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem Chemieprofessor aus dem Film "Die Feuerzangenbowle", trägt einen Zylinder, einen weißen Binder, einen Gehstock, ein Monokel, sowie ein Zickenbärtlein, ist äußerst elegant und streng. Natürlich hat er eine Menge an mir auszusetzen, was er mir mit erhobenem Zeigefinger näselnd doziert. Doch komisch, seit ich weiß, wer mein innerer Kritiker ist, muß ich dauernd loslachen, wenn ich mich dabei erwische, mich selbst zu kritisieren. Bald brauche ich vor Lachen Baldrian.
Wenn man sich nicht genug wertgeschätzt und anerkannt fühlt, was macht man da? Gehen? Schimpfen? Betteln? Ignorieren? Weiter?
Meine Psychoonkologin würde sagen, wenn man das, was man bei anderen sucht, nicht bekommt, muß man lernen, es sich selbst zu geben. Das ist sehr klug und auch sehr praktisch, denn es minimiert gleichzeitig etwaiges Abhängigkeitspotential. Bloß blöd, daß man, wenn man sich selbst Wertschätzung und Anerkennung entgegen bringt, auch schnell mal als eingebildet und egozentrisch rüberkommt, speziell in reflektierenden halb-privaten Tagebucheinträgen. Im Kontext der Selbstliebe betrachtet, wäre es gut, eine solche Situation zu verlassen. Doch wie ist es zum Beispiel beim öffentlichen Schreiben? Ich kann aufhören, wenn man mich für das, was ich mache, nicht wertschätzt, ich kann es aber auch einfach immer und immer wieder versuchen, trotz Herabsetzungen, Abwertungen, Vorurteilen und Ausgrenzungen. Letztere Variante trägt im Grunde, besonders offensichtlich bei Beziehungen, sehr viel Destruktivität in sich. Es ist, als würde man ständig gegen eine Mauer rennen, sich unzählige blaue Flecken holen, obwohl es absolut ungewiß ist, ob man die Mauer jemals durchbrechen wird. Doch wenn es die Menschen nicht gäbe, die es trotzdem immer wieder versucht hätten und darüber teilweise sogar gestorben sind, gäbe es heute eine Menge großer Literatur weniger. Überhaupt sehe ich, seit ich bewußter den Pfad der Selbstliebe betreten und verstanden habe, daß diese im Grunde der Schlüssel zu fast allen Problemen der menschlichen Existenz ist, vieles mit anderen Augen. Nicht nur, daß ich es überhaupt wahrnehme, wenn ich mich nicht wertgeschätzt fühle, was früher nie der Fall war, wahrscheinlich, weil es einfach zu normal gewesen ist, alltäglich sozusagen, und damit über ein Problem mehr grübeln muß, welches ich vorher nicht hatte, so frage ich mich heute auch, was von dem, das ich tue, wirklich zu mir gehört. Irgendwie wäre es schön gewesen, wenn zu meinem für mich wichtigen Eintrag über einen Teil meines bisherigen Lebens "Künstler und ihre Ateliers", der alles darüber aussagt, wie ich zu meinen heutigen Denkweisen und Einstellungen gekommen bin, was Kunst für mich ist, wie meine Vergangenheit mich geformt und mir meine jetzigen Motoren verliehen hat, sowie was ich mir wünsche und warum, mehr gekommen wäre als nur viele Kommentare zu einem kleinen, unwichtigen Accent. Aber es wiederholt sich eben alles ganz genauso wie in meiner Kindheit.
Einfach ignorieren und weitermachen, war die Devise in meinem Elternhaus. Eigentlich nicht unbedingt ein schlechtes Motto, zumindest habe ich diesem sicher meine Zähigkeit zu verdanken (zäh wie Leder, doch nicht hart wie Kruppstahl), aber für ein hochsensitives Kind, das Dinge nicht effektiv verdrängen kann, ist solch eine Handlungsanweisung einfach nicht schadlos durchführbar. Und während ich mich früher abgestrampelt und angestrengt habe, dieser Handlungsanweisung nachzukommen, sagt mir heute eine innere Stimme, daß ich gar keine Lust mehr habe, dauernd Leistung bringen zu müssen, um vielleicht mal gesehen und wahrgenommen zu werden. Auch alles, was um mich herum vor sich geht, klopfe ich nun gerne hinsichtlich der Selbstliebe ab und es gruselt mich zu sehen, wie wenig überall davon vorhanden ist. Man muß nur in die massenhaft auftretenden, typischen Rollenspielgesichter schauen, um es zu bemerken. Und selbst bei Religionen und Weltanschauungen ist es spannend, diese in Hinsicht der Selbstliebe auf den Prüfstand zu stellen. Ist es Selbstliebe, wenn sich jemand willentlich ans Kreuz nageln läßt, sogar wenn es für einen guten Zweck ist, und damit aber im Grunde nur erreicht, daß sich Heerscharen von Märtyrern trotzdem noch auf die Socken machen, um sich zu kasteien und sich und andere mit rigidesten Moralvorstellungen zu quälen, obwohl doch schon jemand für aller Sünden gestorben ist? Im ritualisierten Buddhismus gibt, bzw. gab es ebenfalls einige erstaunlich rigide "Meditationstechniken". Wenn zum Beispiel der Zenmeister dem Schüler eine über die Rübe zieht, damit dieser wortwörtlich schlagartig Erleuchtung erlange, (wobei ich das Konzept von Erleuchtung ja schon immer sehr zweifelhaft fand, da vielen, die diesem Schmetterling nachjagen, dabei scheinbar einige notwendige und wichtige Gefühle völlig abhanden kommen), ist es wahrscheinlich keine Erleuchtung, aber dafür der höchste Grad der Selbstliebe, wenn man dem Zenmeister dafür eine in die Fresse haut und sich von diesem Ort sofort verflüchtigt.
Es ist mal wieder soweit, in diesem Monat kam das Päckchen enorm früh. Ich hatte vorher gelesen, daß das Motto der Novemberbox "Rosé" sein solle. Fand ich eigentlich gut, denn Rosé, wenn es nicht gerade sehr knallig oder Lidschatten ist, benutze ich als unauffälliges Makeup am liebsten. Trotzdem war ich diesmal klüger und unterließ es, irgendwelche Erwartungen zu haben. Und dafür, daß ich keine hatte, finde ich den Inhalt gar nicht so schlecht, obwohl die Info über das Rosé-Motto wohl eher bewußte oder unbewußte Irreführung war, denn die enthaltenen Produkte passen mehr zu einem "Dramatic"-Makeup. Zuerst wäre da natürlich die unvermeidliche Gesichtscreme, allerdings heute eine gut getönte von Annemarie Börlind. Da sie auch ganz brauchbar Rötungen abdeckt und es nur 15 ml sind, trotz der großen Schachtel, werde ich sie benutzen. Ein kleines Fläschchen Cranberry Joy Shower Gel von Body Shop duftet sehr lecker nach Beeren, und so ein Shower Gel ist immer ok, verbraucht sich ja schnell. Als Originalprodukte sind enthalten ein Lippenstift mit Matt-Effekt von Miners Cosmetics, ein Eyeshadow von Emite Makeup und ein Cheek+Lip Tint-Gel von Modelco. Der Lippenstift hat einen dunklen, schönen Beerenrot-Farbton, der mir als Kleidung eigentlich gut steht, auf den Lippen mag ich es so dunkel aber weniger. Trotzdem bin ich froh, daß es nicht orange, braun oder kirschrot ist, denn diese Farben mag ich überhaupt gar nicht an den Lippen. Außerdem riecht der Lippenstift ebenfalls so lecker nach Beeren, daß man ihn am liebsten aufessen möchte. Und auch das Cheek+Lip-Gel duftet ungeheuer fruchtig und angenehm, hier ist der Farbton tatsächlich ein leichtes Rosè. Wenn man allerdings auf die Tube drückt und etwas auf die Fingerkuppe kleckst, sieht es zuerst richtig dunkelrot aus und leider habe ich den Eindruck, daß die meiste Farbe schließlich an den Fingern haften bleibt, ziemlich fest sogar, dagegen nur minimal an den Wangen oder Lippen. Doch vielleicht sind ja rosarote Fingerkuppen bald der letzte Schrei. Die Farbe des Eyeshadows ist tiefschwarz und läßt sich irgendwie nicht besonders gut auftragen, jedenfalls nicht so gut wie bei dem Schminkstift, der in einer der letzten Boxen war, ganz abgesehen davon, daß ich mir hochdramatisches Augenmakeup sehr selten schminke. Mal sehen, ob sich das Zeug eventuell zum Zeichnen mißbrauchen läßt. Mir ist aufgefallen, daß noch in keiner der Boxen Mascara enthalten gewesen ist, obwohl das im Grunde ein absolutes Basic-Produkt ist, welches zumindest ich immer brauche. Und auch Augenmakeup- oder Nagellackentferner könnte ich wieder gebrauchen. Aber die Glossybox ist eben kein Wunschkonzert, sondern ein Überraschungskonzert.
Das Eingangsfragment ein belebter Seminarraum, in welchem ich eine Frau frage, ob der Platz in ihrer Nähe noch frei ist. Sie sieht mich seltsam an, so als hätte sie die Frage nicht verstanden, und wiegt ihren Kopf hin und her, aber ohne, daß man darin ein Nicken oder Kopfschütteln erkennen könnte. Ich frage sie noch einmal und noch einmal, immer mit derselben Reaktion. Als ich mich abwende, weil ich schlußfolgere, sie verstehe mich nicht oder könne nicht reden, höre ich sie jedoch in sehr klarem Deutsch zu anderen sprechen. In mir beginnt es zu brodeln, denn anscheinend ignoriert sie mich absichtlich. Um den anderen zu zeigen, daß meine nicht abgeschlossene Suche nach einem Platz und einer Antwort nicht an meiner Unfähigkeit zu fragen liegt, sage ich zu ihnen etwas schnippisch: "Ah, sieh an, sie kann ja doch sprechen!"
Es ist dunkel um mich herum, als ich erwache. Nur ein schlammiger Schein des Nachthimmels fällt durch die großen Fenster vor mir. Ich kann mich nicht erinnern, wo ich mich hier befinde. Es scheint eine Art Schlafsaal mit Doppelstockbetten zu sein. Mir ist als sähe ich Schemen unheimlicher Kreaturen, weshalb ich schnell wieder die Augen schließe. Da fühle ich, wie sich mein Bett bewegt, was ich zuerst noch unheimlicher finde, doch dann fällt mir schlagartig ein - Natürlich, ich bin auf einem Schiff! Es ist die allerletzte Nacht einer Schiffsreise. Sobald ich das weiß, beginne ich das Schwanken zu genießen, ja förmlich mit allen Sinnen aufzusaugen. Hui, macht das Spaß, besser als Karussellfahren. Das Schwanken wird immer heftiger, ich kann deutlich spüren, wie es wie in einem Fahrstuhl nach unten und wieder nach oben geht, mache mir aber lange keine Sorgen deshalb. Doch irgendwann wird das Schlingern so stark, daß ich bei mir denke, ich sollte mal nachschauen, was sich draußen auf See so tut und ob alles unter Kontrolle ist. Als ich den dunklen Schlafsaal verlassen habe, stelle ich fest, daß ich allein bin, denn um mich herum ist alles menschenleer, was mich aber nicht weiter beunruhigt. In einem der großen Säle tost und brodelt Wasser knietief und auch im Speisesaal ist ein aufgewühltes Meer zu beobachten. Sogar jetzt fühle ich mich keineswegs in Gefahr, sondern genieße vor der geöffneten Saaltür dieses aufregende Schauspiel und fühle mich sehr wohl dabei. Seltsamerweise bekomme ich nicht einen Spritzer Wasser ab, es ist, als wäre eine Glaswand in der Tür, welche das Wasser wie in einem riesigen Aquarium hält. Auf einer der Treppen neben mir kommt eine eigenartige Gestalt heruntergestiegen. Als sie sich zu mir umdreht, erkenne ich, daß es sich um einen Seemann handelt, der von Kopf bis zu den Füßen in Regen- und Wetterschutz steckt. Der alte Seebär sieht mich und sagt erstaunt und ruhig: "Ach, hier ist ja noch jemand!" Mir wird klar, daß er wohl nach Passagieren schaut, die sich noch im Schiff befinden. Anscheinend wurde alle anderen längst evakuiert, ohne daß ich davon etwas mitbekam.
Wir werden niemals erfahren, ob Edgar Allan Poes Rausschmiß in West Point ein Beispiel für Kompetenz oder Inkompetenz war, es sei denn, wir gewinnen eines Tages Klarheit über die Motive seines Handelns. 1831 wurden die Kadetten angewiesen, "mit weißen Gürteln, weißen Handschuhen und in Waffen" zur Parade zu erscheinen. Poe wurde "wegen grober Pflichtverletzung" der Kadettenanstalt verwiesen - er war zu der anberaumten Parade mit Ausnahme des weißen Gürtels, der weißen Handschuhe und seines Gewehrs völlig nackt erschienen.
(aus "Schlimmer geht's immer - Das Peter-Prinzip im Lichte neuerer Forschung" von Laurence J. Peter)