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Ulysses - der isses oder besser gesagt, soll es sein, und mein Kampf mit dem Müll

Ausnahmsweise ist diesmal mit Müll nicht der Roman gemeint, was einige meiner Leser sicher aufatmen lassen wird, sondern der Müll meiner Eltern, genauer gesagt, der meines Vaters. Ich durfte mir heute das Werk bei meinen Eltern abholen, meine Mutter machte mich aber gleich darauf aufmerksam, dass sie es nicht gefunden habe. Ich solle selber schauen. Nun mache man das mal bei ca. zehn doppelreihigen und deckenhohen Regalen mit tausenden von Büchern, vor denen meterhoch Kisten und Gerümpel gestapelt sind. An einige Regale bin ich nicht mal bis auf einen Meter herangekommen, da hätte ich schon fliegen müssen, aber das kann ich leider nicht.

Mir tut es im Herzen weh, wenn ich sehe, wie meine Eltern hausen, aber mein Vater, ein typischer Messie, kann sich von absolut überhaupt nichts trennen, nicht einmal von alten Dosen und Zeitungen. Leider ist er so aggressiv, dass Überredungsversuche oder Tricks aussichtslos sind. Allerdings glaube ich, dass er sich selbst nicht wohl fühlt zwischen den ganzen Müllbergen und mir kommt es so vor, als ob er, seit er jetzt an einer Depression leidet, auch nicht wirklich mehr so viel Interesse an seinen "Reichtümern" zeigt. Vielleicht musste es erst so weit kommen, damit er merkt, dass materieller Besitz allein nicht glücklich oder sicher macht, selbst wenn man für sämtliche Notfälle und Gelegenheiten die passenden Döschen zu Hause hat. Oder aber, er war vorher schon depressiv, hat es jedoch mit diesem ganzen Schnickschnack kompensiert. Da er sich nicht helfen lassen will, wird es wohl nicht mehr besser werden und meine Mutter leidet darunter. Manchmal habe ich aber den Verdacht, dass sie selbst auch etwas vermüllt ist, es jedoch allein meinem Vater in die Schuhe schiebt.

Jedenfalls musste ich heute, als ich zum Abendessen blieb, das mindestens fünfzig Jahre alte und völlig stumpfe Besteck wiedererkennen, mit welchem schon mein 15 Jahre älterer Bruder seinen ersten Grießbrei aß. Dabei besitzen sie seit langer Zeit ein neues Besteckset, welches zu den Feiertagen auch regelmäßig aufgelegt wurde (und es ist NICHT etwa kostbares Tafelsilber, sondern lumpiger Edelstahl). Ob meines sehr ungläubigen und fassungslosen Gesichtes raste meine Mutter dann gleich hinaus, um das neue Besteck zu holen, was aber nichts mehr half. Ich fragte mich trotzdem, warum um alles in der Welt meine Eltern das neue, überhaupt nicht kostbare Besteck nur an Feiertagen benutzen. Für was um Gottes Willen wollen sie es denn schonen? Etwa für die Erbschaft? Für was in Gottes Namen heben sie dieses alte, unansehliche Aluminiumzeug auf? Wenn das alte Besteck mehr als fünfzig Jahre überstanden hat, wird es das neue sicher auch für etliche Generationen, es besteht also keinen Grund, vorsichtig damit umzugehen. Genau deshalb entfuhr mir spontan die fassungslose Frage: "Habt ihr das immer noch nicht verschrottet?"

Na ja, die Chance, das gewünschte Buch zu finden, war also ziemlich gering. Ich glaube, ehe ich sämtliche Regale ausgeräumt hätte, um an die hinteren Reihen zu kommen, oder ehe ich irgendwie über all die Kisten und das Gerümpel geklettert wäre, um überhaupt an einige Regale ranzukommen, hätte ich es mir dann wohl lieber selbst gekauft. Würde mich ja nicht gerade in den finanziellen Ruin stürzen. Ich sah die Regale durch, so gut wie das ging, versuchte es hinter Marcel Proust, weil ich dachte, dass es gut dorthin passen würde und als das alles nichts brachte, wollte ich schon fast aufgeben. Doch dann, im letzten Moment, fand ich es. Zwei Bände. Ich halte das für ein gutes Omen.

Als ich aber mit meiner Beute in die Küche kam, meinte mein Vater gleich mit Blick auf die beiden Bücher zu mir: "Na, das wirst du sowieso nicht verstehen.", worauf meine Mutter mit ironisch spitzer Zunge zu mir sagte: "Er ist der einzige, der das versteht, weißt du...."
Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, mir zum Abschied an der Tür noch einmal Mut zu machen:
"Lass dir Zeit, lies schön langsam. Du wirst es schon verstehen. Bist ja klug."
Seltsam, warum beruhigen mich diese Worte nu gerade überhaupt nicht?
Xchen - Mi, 22:19

Ich sehe, deine Eltern sind auch nicht gerade einfach - was mich momentan ein bisschen beruhigt, weil ich doch aus so einer verpeilten Familie komme (Vater Alkoholiker, ich glaube, der ist mittlerweile auch depressiv vor lauter Unzufriedenheit, Mutter ein liebes Schaf, die fast alles geschehen lässt).

Es wundert mich, dass er dir den Ulysses nicht gleich wieder aus der Hand gerissen hat.

Meine Mutter ist übrigens überhaupt keine Sammlerin, die kauft dauernd dekoratives altes Geschirr secondhand und stellt es auf den Tisch.
Zitat:
Oder soll ich es etwa im Schrank aufbewahren bis ich gestorben bin???
Ich liebe sie dafür.

Du ahnst gar nicht, WIE verpeilt sie sind. Meine größte Angst war es schon als Kind, irgendwas von meinem Vater und auch teilweise von meiner Mutter abbekommen zu haben. Doch leider musste ich bald feststellen, dass der Kelch nicht an mir vorübergegangen ist, ansonsten wäre ich ja auch nicht das Kind meiner Eltern gewesen. Leider ist es ja nicht so, dass man nur die positiven Dinge vererbt bekommt. Dadurch, dass mir das aber wirklich bewußt wurde, konnte ich auch immer bewußt gegensteuern, was mich zwar als Person nicht unbedingt ändert, aber doch die Art wie ich manche Dinge sehe und auch mit meinen Eigenheiten umgehe.

Wenn ich zum Beispiel bei meinen Eltern war, muß ich mir immer wieder ganz bewußt sagen, dass ich das Recht auf ein eigenes Leben habe, dass ich nicht so leben muss, wie meine Eltern und nicht die Pflicht habe, ihnen alles nachzumachen und das auch nicht will. Wenn ich mir das nicht immer wieder bewußt mache, ertappe ich mich nämlich schnell wieder dabei, irgendwelche Dinge aufzuheben oder das schäbigste noch gut genug für mich zu finden. (Meine Mutter war vor der Renovierung in meinem Zimmer und meinte zu dem 15 Jahre alten fleckigen Teppichboden "Ach, der ist doch noch gut.") Ich bin fest entschlossen, mich von diesem Denken zu lösen, auch wenn es mir durch meine Eltern sozusagen mit der Muttermilch eingeimpft wurde. Ich gehöre noch immer nicht zu den Leuten, die extrem locker mit Geld umgehen, habe aber auch keine Skrupel mehr, mir auch wirklich mal was Teureres zu leisten oder was Neues, auch wenn das Alte noch "gut" ist. Und ich miste fast ständig aus. Das ist schon fast wie eine Sucht, aber ich habe tatsächlich immer ein starkes Bedürfnis nach Reduzierung, obwohl ich gar nicht wirklich so viel Krempel habe. Liegt aber wahrscheinlich auch an meiner kleinen Wohnung. Und diesen eingeimpften Glaubenssatz "Das ist doch noch gut." wandle ich nach und nach, so hoffe ich, in den Glaubensatz "Nur das, was mir gut tut." und "Ich bin es mir wert." um.
Xchen - Mi, 23:06

Gut so.

Ich habe viele Jahre das Arschloch-Verhalten meines Vaters gelebt, weil ich dachte, dass er mich dann irgendwann "liebt".
Und ich brauchte es auch, um zu überleben.
Heute weiss ich, dass er mich sehr liebt, doch das wird er NIE sagen.
Für mich war schon immer klar, dass ich nie wie meine Eltern leben will. Trotzdem habe ich selber eine Beziehung mit einem Alkoholiker geführt und bin sehr, sehr, sehr abhängig, wenn ich eine Beziehung habe.
Jetzt lerne ich gerade, alleine zu wohnen - ohne Partner - richtig alleine, das allererste Mal in meinem Leben.

Da meine Eltern sehr wenig Geld hatten als ich klein war, kann ich es nicht leiden, allzu günstige Dinge zu kaufen, weil ich nicht sparen will (mittlerweile kann ich sogar das).

Es ist ein Kreuz, doch ich sehe, du bist auf jedem Fall auf einem guten Weg - und wenn man auch mal einen etwas teureren Fehlkauf machen sollte (kann ja vorkommen), muss man deswegen nicht 10 Jahre Busse tun.

Na ja, weißt du, mir persönlich ist irgendwann auch mal klar geworden, dass es nicht nur eine Sache des Umgangs mit dem Geld oder der Ordnung ist, sondern auch des Selbstwertes. Leider bin ich damit nicht sehr reich gesegnet, ebenso wie meine Eltern. Und wenn man sich die ältesten, billigsten und schäbigsten Dinge zumutet, oder aber ein energie- und kräftezehrendes Zuhause, selbst wenn man sich locker etwas besseres leisten könnte, so heißt das ja irgendwie nichts anderes, als dass man sich dessen selbst nicht wert fühlt oder dass man glaubt, es nicht verdient zu haben. Das sehe ich jetzt überhaupt nicht mehr so, seit mir das bewußt geworden ist. Und schließlich kann ich das Geld ja nicht mit ins Grab nehmen. *gg*
Xchen - Mi, 23:21

Stimmt, zum Thema Selbstwert wollte ich nämlich auch noch was sagen:

Ich bin mir auch nicht viel wert, jedoch nur im Bezug auf Männer.

Ich mag immer mal wieder neue Kleider, ich will nicht die ältesten Möbel (sie können jedoch schon Second Hand sein), ich hätte gerne ein teureres Auto (da haperts aber wirklich an den Finanzen *G*) und ich verwöhne mich schon mit diesen und jenen Kleinigkeiten materiell.
ElsaLaska - Mi, 23:14

Aber der Ratschlag ist nicht schlecht,

lies schön langsam und überschlag ruhig etwas schneller alle Stellen, die dich Nerven. Am Ende kommst du ziemlich zügig zur Molly Bloom durch, alles andere ist eh unwichtig ...

*gg*

Ich bin für jeden Ratschlag dankbar, besonders von Insidern, die das Werk schon gelesen haben. ;o)

Ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe im Buchgeschäft auch schon nach Ulysses gefragt. Hatten sie aber nicht da....

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