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Dilemma

Wenn man sich nicht genug wertgeschätzt und anerkannt fühlt, was macht man da? Gehen? Schimpfen? Betteln? Ignorieren? Weiter?
Meine Psychoonkologin würde sagen, wenn man das, was man bei anderen sucht, nicht bekommt, muß man lernen, es sich selbst zu geben. Das ist sehr klug und auch sehr praktisch, denn es minimiert gleichzeitig etwaiges Abhängigkeitspotential. Bloß blöd, daß man, wenn man sich selbst Wertschätzung und Anerkennung entgegen bringt, auch schnell mal als eingebildet und egozentrisch rüberkommt, speziell in reflektierenden halb-privaten Tagebucheinträgen. Im Kontext der Selbstliebe betrachtet, wäre es gut, eine solche Situation zu verlassen. Doch wie ist es zum Beispiel beim öffentlichen Schreiben? Ich kann aufhören, wenn man mich für das, was ich mache, nicht wertschätzt, ich kann es aber auch einfach immer und immer wieder versuchen, trotz Herabsetzungen, Abwertungen, Vorurteilen und Ausgrenzungen. Letztere Variante trägt im Grunde, besonders offensichtlich bei Beziehungen, sehr viel Destruktivität in sich. Es ist, als würde man ständig gegen eine Mauer rennen, sich unzählige blaue Flecken holen, obwohl es absolut ungewiß ist, ob man die Mauer jemals durchbrechen wird. Doch wenn es die Menschen nicht gäbe, die es trotzdem immer wieder versucht hätten und darüber teilweise sogar gestorben sind, gäbe es heute eine Menge großer Literatur weniger. Überhaupt sehe ich, seit ich bewußter den Pfad der Selbstliebe betreten und verstanden habe, daß diese im Grunde der Schlüssel zu fast allen Problemen der menschlichen Existenz ist, vieles mit anderen Augen. Nicht nur, daß ich es überhaupt wahrnehme, wenn ich mich nicht wertgeschätzt fühle, was früher nie der Fall war, wahrscheinlich, weil es einfach zu normal gewesen ist, alltäglich sozusagen, und damit über ein Problem mehr grübeln muß, welches ich vorher nicht hatte, so frage ich mich heute auch, was von dem, das ich tue, wirklich zu mir gehört. Irgendwie wäre es schön gewesen, wenn zu meinem für mich wichtigen Eintrag über einen Teil meines bisherigen Lebens "Künstler und ihre Ateliers", der alles darüber aussagt, wie ich zu meinen heutigen Denkweisen und Einstellungen gekommen bin, was Kunst für mich ist, wie meine Vergangenheit mich geformt und mir meine jetzigen Motoren verliehen hat, sowie was ich mir wünsche und warum, mehr gekommen wäre als nur viele Kommentare zu einem kleinen, unwichtigen Accent. Aber es wiederholt sich eben alles ganz genauso wie in meiner Kindheit.

Einfach ignorieren und weitermachen, war die Devise in meinem Elternhaus. Eigentlich nicht unbedingt ein schlechtes Motto, zumindest habe ich diesem sicher meine Zähigkeit zu verdanken (zäh wie Leder, doch nicht hart wie Kruppstahl), aber für ein hochsensitives Kind, das Dinge nicht effektiv verdrängen kann, ist solch eine Handlungsanweisung einfach nicht schadlos durchführbar. Und während ich mich früher abgestrampelt und angestrengt habe, dieser Handlungsanweisung nachzukommen, sagt mir heute eine innere Stimme, daß ich gar keine Lust mehr habe, dauernd Leistung bringen zu müssen, um vielleicht mal gesehen und wahrgenommen zu werden. Auch alles, was um mich herum vor sich geht, klopfe ich nun gerne hinsichtlich der Selbstliebe ab und es gruselt mich zu sehen, wie wenig überall davon vorhanden ist. Man muß nur in die massenhaft auftretenden, typischen Rollenspielgesichter schauen, um es zu bemerken. Und selbst bei Religionen und Weltanschauungen ist es spannend, diese in Hinsicht der Selbstliebe auf den Prüfstand zu stellen. Ist es Selbstliebe, wenn sich jemand willentlich ans Kreuz nageln läßt, sogar wenn es für einen guten Zweck ist, und damit aber im Grunde nur erreicht, daß sich Heerscharen von Märtyrern trotzdem noch auf die Socken machen, um sich zu kasteien und sich und andere mit rigidesten Moralvorstellungen zu quälen, obwohl doch schon jemand für aller Sünden gestorben ist? Im ritualisierten Buddhismus gibt, bzw. gab es ebenfalls einige erstaunlich rigide "Meditationstechniken". Wenn zum Beispiel der Zenmeister dem Schüler eine über die Rübe zieht, damit dieser wortwörtlich schlagartig Erleuchtung erlange, (wobei ich das Konzept von Erleuchtung ja schon immer sehr zweifelhaft fand, da vielen, die diesem Schmetterling nachjagen, dabei scheinbar einige notwendige und wichtige Gefühle völlig abhanden kommen), ist es wahrscheinlich keine Erleuchtung, aber dafür der höchste Grad der Selbstliebe, wenn man dem Zenmeister dafür eine in die Fresse haut und sich von diesem Ort sofort verflüchtigt.
Herr B. - So, 21:40

Die Selbstliebe ist schon ein spannendes Thema, ist sie doch der Schlüssel für vieles. Dumm nur, dass wir das meist nie, spät oder nicht wirklich deutlich erkennen.
Wie ehrgeizig und zielstrebig wir dann bestimmten Zielen und/oder Idealen entgegen streben, muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen. Gibt es hier überhaupt ein richtig oder falsch? Ich weiß nicht ...

Eigentlich

habe ich es aus Überlebensgründen schon ziemlich früh erkannt, allerdings unterlief mir der Fehler, daß ich alte und falsche Gedankenmuster und Überzeugungen trotzdem unbewußt weiter mit mir herumtrug. Deshalb ist ein professioneller und unabhängiger Spiegel immer empfehlenswert.

Doch wie bereits festgestellt, führt auch das zu neuen und anderen Konflikten. Ich werde morgen meine Psychoonkologin befragen. Diese hat sicher wieder einen guten Denkanstoß für mich.
tinius - So, 22:39

Ich denke, man schreibt, weil es einen dazu drängt. Man veröffentlicht, weil man a) meint, man habe etwas mitzuteilen (was einer Art der Selbstliebe entspricht), und b) weil man gelesen werden möchte, also Bestätigung von außen haben möchte. Die Veröffentlichung ist relativ obsolet, wenn der erste Satz nicht gegeben ist. ;)

Richtig,

aber wenn man veröffentlicht, weil man glaubt, etwas mitzuteilen zu haben, und sich dann mit Herabsetzungen, Vorurteilen, Ausgrenzungen und ähnlichem auseinandersetzen muß, ist das eine schädliche Situation, in der einem die Selbstliebe eigentlich dazu raten müßte, nicht mehr zu veröffentlichen, selbst wenn man etwas mitzuteilen hat.
Chutzpe - Mo, 00:56

Seit in meinem Kopf angekommen ist, dass ich völlig ok bin (bis auf das, was ich durch die Therapie bis zu einem gewissen Grad anpassen konnte), kann ich keiner mehr abwerten - ich bin tatsächlich vom Nichts, zu dem man mich als Kind gemacht hat zu einer sehr zufriedenen Frau geworden - trotz allem Anecken, weil in keine Norm passend und die Leute immer wieder vor den Kopf stossend, weil sie meinen Charakter nicht verstehen können.

Ich erwarte nichts und freue mich über jede Wertschätzung und ich tue fast nur, was ich wirklich gerne tun mag.

Das klingt gut.

Aber würdest du z.B. auch Dinge gerne tun, bei denen du regelmäßig verletzt, herabgesetzt oder ähnliches wirst? Bzw. wenn du etwas gerne tust, bei dem so etwas geschieht, würdest du es weiter tun?
Chutzpe - Mo, 14:40

Dann würde ich zusehen, dass ich es irgendwo machen kann, wo ich dafür nicht mehr herabgesetzt werde.

Ich weiss z.B., dass mein Kleiderstil bei vielen Leuten Kopfschütteln auslöst, was für mich nur ein Zeichen dafür ist, dass sie noch immer versuchen, sich in etwas zu pressen, was sie nicht sind - für eine gewisse Eigenständigkeit und Extravaganz muss man allerdings auch lernen, das Gelaber und die Einwände des Umfelds an sich abprallen zu lassen, denn wenn sich, was immer man tut oder nicht tut, für einen selber richtig, ok, stimmig anfühlt, dann kann man so falsch nicht liegen.

Beispiele aus meinem Leben:
Ich kann keinen Rhythmus erspüren oder halten - Anfang 20 habe ich mich in Discos nie getraut zu tanzen, weil ich wusste, dass ich völlig neben dem Takt bin und das "blöd" aussieht - mit etwas nach Mitte 30 hat mich dann ja eine Arbeitskollegin wieder an Parties mitgeschleppt und seither tanze ich - auch ohne eine Freundin - wenn ich mich bewegen will und mir ist egal wie das aussieht und ob das zur Musik passt, mir tut es gut und ich fühle die Musik halt wie ich sie fühle und auch da hängen noch immer diese Style-Miezen rum, die natürlich viel besser aussehen und an so einen Ort passen als ich - trotzdem kommt meine ehrliche, offene Art an und das zeigt mir, dass man einfach tun und sich selbst sein soll.
Einer meiner besten Freunde, der nicht tanzt, weil sehr korpulent sagt immer: Chutzpe hört keinesfalls die gleiche Musik wie die anderen - jedoch nicht um mich klein zu machen, denn ich weiss ja selber, dass es unpassend aussieht.

In der Klinik hatte ich Mal-Therapie und ich hatte einige Themen im Kopf, die ich zu Papier bringen wollte - ich kann nicht Zeichnen, konnte ich noch nie - sieht aus als hätte es eine 5-jährige gemacht. Ich habe mich gefreut wie blöd, dass ich zur Mal-Therapie durfte und habe die Themen einfach so gut gezeichnet wie ich konnte - durfte auch fest stellen, wenn man ohne Druck einfach zeichnen darf, das Ergebnis besser wird als ich erwartet und liebe diese Zeichnungen sehr.
Das Gute daran war, dass ich diese Erfahrung in einem wertfreien Raum machen durfte.
Als ich der Therapeutin im Abschlussgespräch sagte, dass ich sie von der ersten Sekunde an mochte (eine tolle Französin mit einem abgefahrenen Stil), vertraute sie mir an, dass auch sie sich lange nicht getraut habe, sich so zu kleiden wie es ihr passe, worauf ich sagte, dass sowas eh nur Französinnen können - sie war ganz verlegen.

Ein grosser Teil meiner Haltung bezieht sich auf diesen Satz und hilft mir persönlich gewaltig:
I just don't care (gerne mit einem f*ck*ng erweitert).

Tja,

Bloggen funktioniert leider nur im Internet, wo Miesepeter und Unzufriedene sich gerne an anderen abarbeiten (wie die Psychoonkologin das ausdrückt).

Die Dinge an sich abprallen zu lassen, wie du es nennst, ist allerdings bei mir genau die Ursache allen Übels, denn das ist es, was mir von klein auf eingetrichtert wurde, was aber bei einem Hochsensitiven einfach nicht funktionieren kann, wie ich oben schrieb, weil wir eben anders ticken in unseren Empfindungen. Doch zu meiner Zeit gab es noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über HSM, da kannte man noch nicht einmal das Wort, stattdessen bekam man ständig vermittelt, daß man das Sorgenkind ist und etwas seltsam, weil man das eben nicht schaffte, und sich schließlich selbst abzulehnen beginnt. Zwar kann man sich als Hochsensibler auch bis zu einem gewissen Grad abhärten, doch dazu muß man sich in der normalen Andersartigkeit erst einmal annehmen und darf die Hochsensibilität nicht mehr als Schwäche ablehnen und verdrängen.

Ich glaube, zur Zeit bin ich in einer Phase, wo ich die mir gegebene Überempfindlichkeit bewußt wahrnehme, lebe und nicht mehr zu verdrängen versuche. Das ist für mich total anstrengend, gradezu körperlich anstrengend, da ich dauernd mit neuen heftigen Emotionen konfrontiert werde, die ich sonst irgendwo in mir vergraben habe, und es ist mit Sicherheit auch für meine Umgebung ziemlich anstrengend, da ich eben mehr wahrnehme und entsprechend auf mehr reagiere. Außerdem führt es bei mir zu Unsicherheit, weil ich noch nicht richtig weiß, wie ich halt auf gesunde, mir mögliche Weise, am besten damit umgehe und so entstehen dann solche Blogeinträge.
g a g a - Mo, 01:13

Erfährst du diese erwähnten Herabsetzungen hinter den Kulissen?

Bei deinem Eintrag zu dieser interessanten Kindheitsphase, in der du das Glück hattest, mit der Welt der Ateliers bildender Künstler in Kontakt zu kommen, war ich auch ziemlich irritiert, dass sich ein endloser Kommenarstrang zu einer absoluten Nichtigkeit entwickelt hat, völlig am Thema vorbei. Du warst aufgrund der vielen Kommentare sogar in dieser twoday-Hitparade ganz oben. Soviel zum Aspekt Quantität statt Qualität. Allerdings hast du diese Entwicklung auch gefüttert, mit eifrigen Antworten, in denen ich nicht lesen konnte, dass es doch vielleicht interessant wäre, langsam mal zum eigentlichen Thema zu kommen.

Mich hat dieser Eintrag von dir insofern beschäftigt, als ich eine gegenteilige Kindheitserfahrung habe - die Umwelt bescheinigte mir unablässig ungefragt kunstrelevante Talente, die in meinem Familienumfeld als irrelevante Nebensächlichkeit abgetan wurden. Es wurde zur Kenntnis genommen, aber nicht als wegweisend identifiziert. Zum Glück kann man vieles nachholen, wenn man einigermaßen unabhängig von Familienurteilen- und -Unterstützung geworden ist. Das zum Beispiel wollte ich dir nicht gerne unter DEINEN Eintrag schreiben, weil es ja meine Geschichte ist, die da unter deiner nicht so viel zu suchen hat. Für diese Nabelschau habe ich mein eingenes Blog.

Selbstliebe ist existenziell, wenn man irgendwann Frieden mit sich und seiner irdischen Existenz schließen will. Ich glaube, dass im Rahmen eines protestantischen Wertesystems (oft auch bei Atheisten vorhanden) flächendeckend in der Erziehung vermittelt wird, dass Egozentrik nicht mit Nächstenliebe oder Empathie zu vereinbaren ist. Was völliger Unfug ist. Ich glaube, dass eine satte Selbstliebe erst dazu führen kann, dass man den Punkt erreicht, wo es überfließt, man etwas für andere übrig hat, weil man kein Defizit mehr empfindet, die Nabelschau nicht mehr unausgesetzt notwendig ist. Die Reihenfolge ist wichtig. Wenn man es versäumt, nie begriffen hat, sich selbst mindestens genauso wertzuschätzen, wie jede Kreatur der Schöpfung um sich herum, verfällt man in Projektion. Dann werden Idole wichtiger als man selbst. Denn etwas Außenstehendes darf man ja verehren, ohne überheblich oder gar elitär zu wirken. Auch so ein Irrtum. Sich bei Zuwendung nicht auszusparen, bedeutet ja nicht, andere kleiner zu machen. Sich selbst zu erhöhen, schließt ja nicht aus, andere ebenfalls zu erhöhen. Bis auf Augenhöhe. Ich denke, da fehlt Virtuosität. Sollte in der Schule ein Unterrichtsfach werden. Oder so. (Ich hoffe auf Evolution. Wir können ja gemeinsam daran arbeiten.)

Nicht nur

hinter den Kulissen.

Natürlich antworte ich auf Kommentare und natürlich habe ich mich mit diesem verflixten Accent-Problem auseinandergesetzt, damit endlich Ruhe ist. Ich würde ungern meinen Lesern vorschreiben wollen, worüber sie in ihren Kommentaren zu schreiben haben. Es hat mich allerdings sehr an gewisse Situationen in meiner Kindheit erinnert und ich habe es deshalb ebenfalls als Herabsetzung empfunden, und zwar ziemlich perfide, weil es ja genau um dieses Thema dabei ging, nie gut genug zu sein.

Diese Überlegung, daß man sowas als Unterrichtsfach haben sollte, habe ich auch schon angestellt. Jedenfalls wäre das mal etwas gewesen, das wirklich als Wissen nützlich wäre, selbst wenn man es wahrscheinlich vollständig erst mit etwas Erfahrung anwenden kann. Denn obwohl mir theorethisch das alles schon vor zwanzig Jahren bekannt war und ich fleißig daran geübt habe, konnte ich, wie oben im Kommentar bereits erwähnt, trotzdem die unbewußt antrainierten Überzeugungen und Denkmuster nicht erkennen, das gelang erst durch die Hilfe eines professionellen Spiegels. Ich sehe das mit der Selbstliebe alles genauso wie du.

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