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Süße-Teilchen-Therapie und Begegnungen auf dem Friedhof

Nachdem ich die Praxis der Onkologin betreten hatte, für welche mir die eine freundliche Ärztin der Strahlenklinik einen ungeplanten Termin besorgt hatte, war ich erst etwas skeptisch, ob die Warterei wirklich viel bringt, zumal ich ja sämtliche Nachsorge-Untersuchungen bereits mit meiner Gynäkologin abgegessen hatte. Zwei Wartezimmer waren knackend voll und an der Anmeldung wurde ich kurz angebunden darauf hingewiesen, daß ich meinen Überweisungsschein irgendwo hineinzulegen habe. Danach hieß es drei Stunden warten. Während der Wartezeit konnte ich Gespräche mithören, in denen Patienten erzählten, daß dieser oder jener, der bei der Onkologin in Behandlung war, gestorben ist. Das führte mich zu inneren Betrachtungen darüber, daß Onkologen ja blöderweise eine grundlegende sch.... Reputation haben, wenn man ständig hört, daß Patienten von ihnen gestorben sind, selbst wenn das in diesem Fall völlig normal ist, da immer welche auf der Strecke bleiben.
Endlich war ich an der Reihe und ich muß sagen, daß ich noch nie solch ein Arztgespräch erlebt habe. Ich weiß nicht, wie lange ich im Sprechzimmer war - mir kam es vor wie mehr als eine Stunde - wahrscheinlich war es weniger, aber die Ärztin hat wirklich an alles gedacht und alles abgefragt, nicht nur die Anamnese, sondern auch die behördliche Situation (Schwerbeschädigtenausweis), berufliche und private Situation. Und anders als ich es gewöhnt bin von den meisten Ärzten, bei denen man immer erst fragen und ansprechen muß, hat sie mir von sich aus alles angeboten, was mein Herz begehrt: Medikamente, Verordnungen, Lymphdrainage, Krankschreibung, Untersuchungen, Kuren, da ich aber schon alles hatte, bot sie mir außerdem noch Tee, Wasser, Bonbons und schließlich - "Ich weiß was! Das ist hier was für Sie - ein süßes Teilchen frisch aus dem -KaDeWe!" - an. Das Teilchen sah in der Tat verlockend aus, allerdings lehnte ich ab und nahm lieber das Bonbon, denn schließlich brauchen Ärzte an einem langen Arbeitstag ihre Verpflegung. Ich kenne das ja aus meinem Job, wo man immer mal wieder von Klienten um die Frühstücksstullen angebettelt wird, so als hätten die Leute schon seit einer Woche nichts mehr gegessen. Umgekehrt gibt es aber auch. Als wir noch die Kriegsflüchtlinge in Betreuung hatten, gab es eine Kroatin, die mir zu jedem Termin ein großes Kuchenpaket mitgebracht hat, so als würde ich total verhungert aussehen. Eigentlich dürfen wir nichts von Klienten annehmen. Nach offiziellen Richtlinien hätte jedes Kuchenpaket der Büroleitung gemeldet werden müssen und diese hätten entschieden, an welches Waisenhaus das Kuchenpaket geht. Und wenn das Kuchenpaket im Waisenhaus angekommen wäre, wäre es vermutlich nicht mehr genießbar gewesen. Aber glücklicherweise haben es unsere Teamleiter damals eher locker gesehen, so daß solche kleinen Mitbringsel dann doch von uns verzehrt werden durften. Dieselbe Klientin hat mich auch einmal zu einem Urlaub in Kroatien eingeladen. Wahrscheinlich habe ich nicht nur verhungert, sondern total fertig ausgesehen. Das habe ich dann aber abgelehnt. Wenn man so beim Arzt süße Teilchen aus dem KaDeWe angeboten bekommt, fühlt man sich fast als Privatpatient. Das Gespräch kam auf die Schmerzen in den rechten Rippen zu sprechen, die ich schon seit Monaten habe und weshalb mir die Klinikärztin eigentlich den Termin verschafft hatte. Nun hatten die Nachsorgeuntersuchungen ergeben, daß alles schön ist - schöne Lunge, schöne Leber, schöne Milz und überhaupt alles bestens. Ich erzählte ihr, daß die Schmerzen immer stärker werden, wenn ich Ärger, Streß oder Sorgen habe. Sie rätselte sichtlich herum, kam auf die Galle (wegen der Sprüche "Da läuft einem die Galle über", "Galle spucken" usw. hatte ich daran ebenfalls schon gedacht), aber bei der Sonographie war auch in der Galle alles bestens. So richtig konnte sie mir nicht sagen, was die Ursache ist und ich bot ihr meine Erklärung dafür an, daß es von der verkorksten Wirbelsäule kommt und den Nerven die davon abgehen, und sich bei Ärger oder Streß verstärkt, weil sich meine Muskeln dann verhärten und verkrampfen. Das hielt sie für gut möglich. Ich finde es ja allgemein angenehm bei Ärzten, wenn sie auch mal zugeben können, etwas nicht zu wissen, statt einem das Gefühl zu geben, nicht für voll genommen zu werden. Ich kenne das von meiner Allgemeinärztin her - wenn ich Beschwerden habe, die irgendwie untypisch sind und nicht passen (was bei mir fast die Regel ist als die Ausnahme, warum auch immer), bekomme ich generell erst einmal zu hören: "Das geht nicht! Das kann nicht sein! Das passt nicht!" und sie hat einen richtig bösen Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich guckt sie gar nicht böse, sondern einfach nur angestrengt, aber es reicht, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich fühle mich dann tatsächlich schuldig, obwohl ich nichts anderes getan habe, als Beschwerden zu haben, die nicht in das medizinische Fachbuch passen. Und das mache ich ja nun nicht mit Absicht.
Das Gespräch kam weiter auf das Angebot der Psychoonkologin und ich war erstmal nicht sehr begeistert. Ich sagte, ich hätte schon Gespräche in der Klinik gehabt, ohne weiteres von meinen einschlägigen Erfahrungen zu berichten. Das tat sie stattdessen, indem sie meinte, sie hätte schon von anderen gehört, daß diese Psychoonkologin in der Klinik nicht besonders gut angenommen werden würde. Aber der Ansatz der Praxis-Psychoonkologin sei ganz anders. Das, was sie mir über den Ansatz erzählte, klang zwar eigentlich genauso wie der Ansatz aus der Klinik, aber Ansätze kann man ja auch unterschiedlich bearbeiten. Also dachte ich mir, es kann ja nicht schaden, es mit dieser anderen Psychoonkologin noch einmal zu versuchen und bekam einen Termin. Überhaupt sagte mir die Ärztin Sachen, die ich selbst nicht wage zu sagen, da man ja nicht weiß, ob man dann nicht noch ein paar paranoide Störungen angehängt bekommt. Aber wenn ich von einer Ärztin höre, daß die Gesellschaft krank ist und das Gesundheitssystem krank ist, und wir nur versuchen, das Beste daraus zu machen, würde ich das so keinesfalls abstreiten. Weiterhin empfahl sie mir das Buch "Krebszellen mögen keine Himbeeren" und ich konnte ihr vermelden, daß ich das Buch bereits besitze und auch schon gelesen habe. Zum Abschied dann bekam ich gleich vier oder fünf Umarmungen, sowie das Kompliment, daß ich eine zauberhafte und hübsche junge Frau sei. Na ja, ich hatte ja bereits von den Fahrern des Fahrdienstes gehört, daß sowas in der Praxis dort üblich ist, aber ganz so exzessiv hätte ich es mir nicht vorgestellt. Doch ich finde, an so eine Komplimente-Umarmungs-süße-Teilchen-Therapie könnte man sich gewöhnen.
Eigentlich hatte ich geplant, nach dem Arztbesuch noch rauszufahren, aber da es inzwischen viel zu spät war, beschloß ich mir die Beine auf dem jüdischen Friedhof zu vertreten, der auf dem Weg liegt. Zwar habe ich im Moment einige Abneigungen gegen Friedhöfe, doch dieser Friedhof ist so alt und verwachsen, daß er trotzdem immer wieder schön ist. Das erste, was mir auf dem Friedhof entgegen kam, war ein Mann, der mir irgendwie bekannt vorkam. Als er mich sogar grüßte, erkannte ich einen früheren Klienten von mir. An den Knasttätowierungen am Auge ist er sowieso relativ leicht zu erkennen, allerdings hat er inzwischen einen Schnurrbart. Erstaunlich fand ich, daß er mich auch erkannt hat, obwohl es mindestens elf bis zwölf Jahre her ist und ich außerdem eine völlig andere Frisur habe. Wahrscheinlich macht er diese 3-EUR-Jobs auf dem Friedhof. Das nächste, was mir begegnete, war eine schwarze Katze auf einem Grabstein. Sicher die Friedhofskatze, die dort Mäuse fangen soll. Leider konnte ich mich nicht allzu lange mit ihr aufhalten, da ich keine Uhr hatte, und nicht wieder an der verschlossenen Friedhofspforte kratzen wollte, wie beim letzten Mal. Was bedeutet eigentlich eine schwarze Katze auf dem Friedhof, die weder von links nach rechts, noch von rechts nach links läuft?

Friedhof 1

Friedhof 2

Friedhof 3
Kinkerlitzch3n - Do, 00:18

Die Ärztin scheint ja extrem bemüht zu sein, total süß mit den Teilchen und den Umarmungen und Komplimenten, das tut bestimmt allen Patienten gut - ich freu mich über diese gute Nachrichten.

Ich hab zwar keine Ahnung, welche Bedeutung die Katz' am Friedhof hat, aber sie passt (besonders mit diesem Gesichtsausdruck *g*) perfekt auf den Grabstein.

Gute Nacht!
Kinker

Ja,

sie scheint sich ihren Idealismus sehr bewahrt zu haben. Dir auch eine gute Nacht!
books and more - Do, 10:20

Hatte ja gestern eine Unterhaltung über eventuelle alternative Therapieansätze - werde das mit den süßen Teilchen das nächste Mal ansprechen :-)

Tun Sie das! ;o)

Treibgut - Fr, 23:41

Die Katze

... zwischen den Grabsteinen sieht toll aus und wie sie schaut, hast du sie wahrscheinlich bei der Geisterjagd gestört.

Das könnte

gut möglich sein. *gg*

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