Ich war zweimal in meinem Leben als Patient in einem Krankenhaus, nämlich als Kind, als ich noch nicht weglaufen konnte. Beim ersten Mal war ich ca. zweieinhalb bis drei Jahre alt und meine Eltern haben immer behauptet, ich könne mich daran nicht erinnern und bilde mir das nur ein. Stimmt aber nicht. Ich kann mich sehr wohl an einiges erinnern, auch an einiges in diesem Alter, das nicht im Krankenhaus stattfand. Überhaupt neige ich zu der Theorie, daß ein gutes Traumerinnerungsvermögen irgendwie in Beziehung steht zu einem guten Kindheitserinnerungsvermögen. Auch damals fand eine Punktion statt, allerdings eine des Rückenmarks, an die ich mich selbst nicht erinnern kann. Ich weiß nur, daß ich von Ärzten und Schwestern umringt war, meine Mutter darunter, welche zu mir sagte, sie würde wiederkommen und dann verschwand. Später war sie wieder da und hatte meine Hausschuhe und allerhand andere Sachen mitgebracht. Ich wurde in einen riesigen alten Krankenhausflur geschoben, wo ich erst einmal eine Weile im Gitterbettchen an einem Fenster stand, durch welches die Sonne hereinschien. Eine Schwester kam, legte mir eine Tablette hin und sagte, ich solle sie nehmen, wenn ich Kopfschmerzen habe. Ich weiß nicht, ob ich sie genommen habe, denn an meinen gesundheitlichen Zustand kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Ich weiß nicht mehr, ob es mir gut ging oder schlecht, nur die Bilder sind geblieben. Unter anderem ein langer Krankenhausflur, der nach links um die Ecke ging, einige geöffnete Türen, hinter denen man Kinder gesehen hat. Unter ihnen ein schwarzhaariges Mädchen, welches mir seltsam vertraut und bekannt vorkam. Im Nachhinein bin ich aber nicht sicher, ob diese Erinnerung nicht doch nur etwas Hinzugefügtes oder mit späteren Erlebnissen Vermengtes ist. Ich war mit einem anderen Kind in einem Krankenhauszimmer untergebracht. Unsere Gitterbetten standen hintereinander an der linken Wand und man konnte sie sehen, wenn man durch die Glasscheibe in der Tür schaute. Bis auf die Schwestern durfte niemand herein. Auch meine Eltern mußten draußen bleiben, winkten, wenn sie zu Besuch waren, durch die Glasscheibe und zeigten mir neue Teddys oder Puppen, die sie mitgebracht hatten. Zum Essen setzte man uns an getrennte Kindertische im Zimmer. Einmal fragte mich das andere Kind, ob es meine Negerpuppe haben dürfte. Ich gab die Puppe her und als ich sie zurück bekam, hatte sie keine Finger mehr. Gebadet wurden wir in einer Wanne, die an der Wand befestigt war. Eine stämmige Schwester hob uns der Reihe nach hinein, um uns zu waschen. Ich mochte es als Kind nicht, hochgehoben zu werden, egal zu welchem Zweck, weshalb ich immer herumzappelte. Die Schwester schimpfte deshalb mit mir und ich habe dann stillgehalten, allerdings nicht gerne.
Beim zweiten Mal war ich ca. sechs Jahre alt und mir sollten die Mandeln herausgenommen werden. Auf der Station wurden sowohl Mandeln herausgenommen, als auch Ohren angelegt, weshalb viele Kinder mit Kopfverband herumliefen. Im Zimmer waren wir zu viert und es gab einen Aufenthaltsraum, in welchem gegessen und gespielt wurde, allerdings kann ich mich nicht erinnern, daß ich viel gespielt hätte. Zum Abendessen gab es regelmäßig Bananenbrote, und das in der DDR, man stelle sich vor. Allerdings durften diese Brote nicht die mandeloperierten Kinder essen, da Bananen für diese verboten waren. Mich hat das nicht gestört, da mir die Zusammenstellung von Banane auf Brot eh etwas suspekt war, aber ich kann mich an ein Mädchen erinnern, die unbedingt Bananenbrote essen wollte, es auch manchmal schaffte, sich welche zu stibitzen und dann entweder Aua oder Ärger mit den Schwestern oder beides bekam. Die Operation fand mit einer ganzen "Ladung" Kinder in einem Durchgang statt. Dazu wurden wir zu zweit auf Transportliegen geschnallt, d.h. ich hatte die Füße des anderen Kindes an meinem Kopf und dieses hatte wiederum meine Füße an seinem Kopf. Dann wurden wir in Fahrzeuge verladen, irgendwo wieder ausgeladen und in ein Wartezimmer mit "Wartebetten" gebracht. Auch in diesen Betten waren wir jeweils zu zweit. Während wir warteten wurde auf einer Liege ein älterer Mann mit Zickenbart hereingeschoben, dem es wohl sehr schlecht ging, denn eine Nierenschale stand unter seinem Kinn. Durch Gerüchte und Gemurmel erfuhr ich, daß dies der bekannte
Schneidermeister Nadelöhr aus dem Kinderfernsehen ist. Ich war mir nie ganz sicher, ob die Gerüchte stimmten, aber da der Schauspieler 1976 gestorben ist, würde es genau passen.
Schließlich wurde ich aus dem Bett gehoben und in das Operationszimmer getragen. Auch jetzt zappelte ich natürlich wieder herum, da ich es nicht mochte hochgehoben zu werden, so daß mich der Arzt ermahnen mußte, still zu halten, er würde mich schon nicht fallen lassen. Ich wurde auf den Operationstisch gelegt, bekam eine Nadel in die Hand, sollte in einen Ballon atmen und dann weiß ich nichts mehr. Auch auf der Rückfahrt muß ich wohl noch unter Narkose gestanden haben, denn ich kann mich nicht erinnern, wie ich zurückgekommen bin. Nach der Operation war Trinken anscheinend verboten, jedenfalls bekam ich in der Nacht so großen Durst, daß ich barfuß zum Waschbecken im Zimmer tappte und Leitungswasser trank. Die anderen Kinder ermahnten mich und sagten, das dürfe ich nicht, doch das war mir in diesem Moment egal. Allerdings übersah ich, daß ich wässrige Fußspuren vom Waschbecken bis zu meinem Bett hinterlassen hatte. Als die Schwester wenig später noch einmal in das Zimmer kam und die Fußspuren sah, wurde sie sehr ärgerlich und "versprach" mir, gleich mit einer großen Spritze wiederzukommen. Das habe ich natürlich geglaubt und die halbe Nacht vor Angst wach gelegen. Am nächsten Tag wurde ich nochmals bestraft, nämlich damit, daß meine Stimme weg war und ich keinen Ton mehr herausbekommen habe. Die anderen Kinder ärgerten mich, indem sie mir Fragen stellten oder mich aufforderten, etwas zu sagen, worauf ich allerdings nur mit einem hilflosen Krächzen reagieren konnte. Irgendwann, Tage später, blickte ich durch das Fenster des Aufenthaltsraumes und sah zwei vertraute Gestalten sich der Klinik nähern. Es waren meine Eltern, die mich Abholen kamen. Die Freude hätte nicht größer sein können.