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Das vergessene Poesiealbum

Samstag, 9. November 2013

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Wir werden niemals erfahren, ob Edgar Allan Poes Rausschmiß in West Point ein Beispiel für Kompetenz oder Inkompetenz war, es sei denn, wir gewinnen eines Tages Klarheit über die Motive seines Handelns. 1831 wurden die Kadetten angewiesen, "mit weißen Gürteln, weißen Handschuhen und in Waffen" zur Parade zu erscheinen. Poe wurde "wegen grober Pflichtverletzung" der Kadettenanstalt verwiesen - er war zu der anberaumten Parade mit Ausnahme des weißen Gürtels, der weißen Handschuhe und seines Gewehrs völlig nackt erschienen.
(aus "Schlimmer geht's immer - Das Peter-Prinzip im Lichte neuerer Forschung" von Laurence J. Peter)

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Ein Gebet

Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Halb neun!
Halb zehn!
Halb elf!
Halb zwölf!
Zwölf!

Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Sie falten die kleinen Zehlein,
die Rehlein.

(Christian Morgenstern)
 

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Zum Welttag der seelischen Gesundheit

"Die meisten Personen, die sich von mir psychisch beraten lassen, kommen in der Absicht, durch die Therapie Frustrationen besser ertragen zu können und ein "dickeres Fell" zu bekommen. Ihr dünnes Fell aber ist gerade ein Zeichen für ihre Gesundheit, denn ihre Leidensfähigkeit zeigt, dass sie noch nicht abgestumpft sind und sich gedankenlos mit der Frustrationsweitergabe begnügen. Die meisten psychisch Leidenden zeigen mit ihren Symptomen, dass sie ein moralisches, humanes Potenzial haben, das überangepasste Egoisten nicht mehr besitzen. Diese Egoisten denken nicht mehr moralisch, sie leiden deshalb auch weniger bewusst psychisch...
...Auch in Magengeschwür und anderen psychosomatischen Symptomen können sie meist keine psychische Verursachung sehen...

Der Durchschnittsmensch ist im moralischen Sinn charakterlos. Im psychologischen Sinn ist der Normalcharakter ein dressierter, programmierter Automat, der vorhersagbares Verhalten zeigt, als Handelsware seiner selbst...
Er wird als Arbeitskraft, als Konsument und politischer Stimmfaktor verplant. Wer einmal Normalcharakter erreicht hat, kann der Manipulation seiner Person kaum mehr entrinnen...

Die zivilisierte Gesellschaft geht weiter den Weg in die kollektive Neurose. Der Neurotisierungsprozess nimmt in der Bevölkerung ständig zu. ...
Die psychische Krankheit ist zur Norm geworden. Nur wer sich weigert, im Sinne der Norm normal zu sein, hat noch eine Chance, seine Seele zu retten."

(aus "Lassen Sie sich nichts gefallen" von Peter Lauster)

Den ersten Teil sagt die Psychoonkologin auch immer zu mir, aber ich finde, es ist auf Dauer kein großer Trost.

Montag, 19. August 2013

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Ein reicher Mann lag einst im Sterben. Sein ganzes Leben hatte sich nur um Geld gedreht, und als es nun mit ihm zu Ende ging, dachte er, dass es nicht schlecht wäre, auch im Jenseits immer ein paar Rubel zur Hand zu haben. Darum bat er seine Söhne, ihm einen Beutel voll Rubel in den Sarg zu legen. Die Kinder erfüllten ihm diesen Wunsch. Im Jenseits angekommen, entdeckte er eine Anrichte mit Speisen und Getränken, wie im Erste-Klasse-Wartesaal eines großen Bahnhofes. Vergnügt betrachtete er seinen Beutel und trat an die Theke. Alles, was dort angeboten war, kostete eine Kopeke: die appetitlichen Pastetchen ebenso wie die frischen Sardinen und der Rotwein. "Billig", dachte er, "alles sehr billig hier", und wollte sich einen guten Teller voll bestellen. Als der Mann an der Theke ihn fragte, ob er auch Geld habe, hielt er ein Fünf-Rubel-Stück hoch. Doch der Mann sagte trocken: "Bedaure! Wir nehmen nur Kopeken!" Der Reiche inzwischen - wie sich leicht nachvollziehen lässt - furchtbar hungrig und durstig, befahl daraufhin seinen Söhnen im Traum, den Beutel mit Rubeln im Grabe auszutauschen gegen einen Sack Kopeken. So geschah es. Und triumphierend trat er wieder an die Theke. Doch als er dem Mann hinter der Theke eine Handvoll Kopeken übergeben wollte, sagte der lächelnd, aber bestimmt: "Wie ich sehe, haben Sie dort unten wenig gelernt. Wir nehmen hier nicht Kopeken, die Sie verdient, sondern nur die, die Sie verschenkt haben."
(Leo Tolstoi)

Dienstag, 6. August 2013

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Die meisten Menschen gleichen einem stark hinkenden Blinden, der die unsägliche Mühe auf sich nimmt, in acht Stunden auf die Bastille zu steigen, wo ihm die schöne Aussicht eine unendliche Freude verschaffen soll...
(Stendhal in einem Brief an seine Schwester Pauline)

Sonntag, 4. August 2013

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Das Werk ist zu leicht und hell und sprühend; ihm fehlen Schatten; es müßte hier und da durch ein langes Kapitel ausgedehnt werden - etwas Sinnvolles, wenn möglich, wenn nicht, dann mit irgendwelchem ernsten pathetischen Unsinn -, über etwas, das nichts mit der Geschichte zu tun hat. Ein Aufsatz über das Schreiben, eine Abhandlung über Walter Scott oder Bonapartes Geschichte, irgend etwas jedenfalls, das einen Kontrast hervorrufen würde, damit der Leser sich mit wachsender Begeisterung wieder auf den spielerischen und pointierten Stil des Ganzen stürzt.
(Jane Austen über ihren Roman "Stolz und Vorurteil", aus "Geliebte Jane" von Jon Spence)

Sonntag, 14. April 2013

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Nach dem Applaus nahm Marte an seiner Seite Platz und fragte, um den Anfang zu machen, warum er in der Passage, die er vorgelesen hatte, den Traum im Präsens geschrieben habe, während der übrige Roman in der Vergangenheitsform geschrieben sei. Das war natürlich eine gute Frage, und seine Achtung vor dem jungen Mann mit dem Ring im Ohr stieg. Er antwortete, er habe das immer bei Träumen gemacht, solange er sich erinnern könne, denn Träume seien wie Mythen von ihrem Wesen her nicht historisch. Man sage auch nicht 'Tristan liebte Isolde', sondern 'Tristan liebt Isolde'.
"Übrigens", sagte er und fuhr mit beiden Händen durch sein Haar, "ich kann das nicht mit letzter Sicherheit sagen, es gibt andere, die das besser wissen als ich, doch ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß ich noch nie einen Roman geschrieben habe, in dem nicht geträumt wird. Ein Roman oder eine Erzählung ist nichts anderes als ein bewußt konstruierter Traum. Ein Roman ohne Traum steht sowohl im Widerspruch zum Menschen, der eben nicht nur wacht, sondern auch schläft, als auch zum Wesen des Romans."

(aus "Siegfried" von Harry Mulisch)

Samstag, 6. April 2013

Autobiographie in fünf Kapiteln

1.
Ich gehe die Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren...Ich bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, wieder herauszukommen.

2.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so, als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es lange, herauszukommen.

3.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein - aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen.
Ich weiß, wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.

4.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.

5.
Ich gehe eine andere Straße.

(Sogyal Rinpoche)

Freitag, 18. Januar 2013

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Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen, Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten, denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander und es entstehen neue Welten. Heute weiß ich, das ist das Leben!
(Charlie Chaplin)

Donnerstag, 27. September 2012

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Wir alle stecken voller Grauen, jeder einzelne von uns. Wenn du heiratest, um dich diesen Grauens zu entledigen, wirst du doch nur erreichen, daß es sich mit dem Grauen eines anderen verbindet; dein Grauen und das des anderen werden die Ehe miteinander führen, du wirst bluten und dieses Bluten Liebe nennen.
(Michael Ventura, Shadow Dancing in the Marriage Zone)