Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Die alten Tagebücher

Freitag, 26. September 2008

Oh Gott,

meinen Vater in "Verkleidung" habe ich ja noch erkannt, aber seit ich die gescannten Familiendias das erste Mal gesehen habe, ständig überlegt, wer wohl dieser junge Mann ist, der zwischen ihm und meiner Mutter steht. Heute fiel mir gänzlich unerwartet ein, daß es wohl am wahrscheinlichsten wäre, meinen Bruder dort zu finden. Also schaute ich es nochmals genauer an - tatsächlich mein Bruder mit Bürstenschnitt! Hilfe! Aber ok, zu meiner Konfirmation trug ich einen französischen Zopf. Auch nicht viel besser.

Familiendia (Bruder)

Dienstag, 2. September 2008

Kartoffelpufferessen

Es war die schönste Zeit des Jahres, die Zeit, in welcher ich von früh bis abends draußen herumlungerte, weil ich zwei Monate Ferien hatte und es Sommer war. In dieser schönsten Zeit des Sommers geschah es, daß Kinder, mit denen ich sonst spielte, verreisten, und andere Kinder, mit denen ich sonst nicht spielte, ihre Oma in der großen Stadt besuchten. So auch T., der regelmäßig ein bis zwei Wochen im Sommer auftauchte und in der Wohnung über uns bei seiner Großmutter logierte. Wir freundeten uns an und so überbrückte ich einige der eher einsamen Ferientage. Ich erinnere mich, wie wir zusammen manchen Nachmittag auf den Stufen vor dem Küsteramt saßen, ein Tablett auf unseren Knien, mit Bergen von kleinen Kartoffelpuffern, die die Oma frisch zubereitet hatte und einer Schale weißen Zuckers. Der Duft von frischen Kartoffelpuffern mischte sich mit dem Duft von Sonne, kühlem Stein und Gras. Gerecht teilten wir sie uns, aßen sie genüßlich mit den Fingern, nachdem wir sie vorher in den Streuzucker getunkt hatten, und die Großmutter winkte uns freundlich aus dem Küchenfenster zu.

Samstag, 5. April 2008

Das Puppenhaus

In meiner Kindheit spielte ich bei ausreichendem Wetter am liebsten draußen oder in den Hausfluren, wozu ich nicht viel Spielsachen brauchte, doch an langen grauen Winternachmittagen gab es da etwas anderes, worauf ich mächtig stolz war - eine gigantische Puppenstube. Obwohl ich eigentlich wenig mit Puppen spielte, war die Puppenstube etwas, an dem ich sehr hing, im Gegensatz zu der Sammlung von geschenkten Puppen, die ich besaß. Seltsamerweise kann ich mich nicht mehr an den Moment erinnern, als ich sie, es muß wohl zu Weihnachten gewesen sein, geschenkt bekam. Sie war für meine Begriffe riesig groß, hatte vier Zimmer und auf der anderen Seite eine echte Hausfassade mit geklinkerten Säulen, kleinem Vorgarten mit grünem Rasen, auf welchem man auch ein Spielzeugauto abstellen konnte. An der zweiten Etage verlief ein langer Balkon über zwei Seiten des Hauses. Praktischerweise besaß sie ein Flachdach, praktisch deshalb, weil man sie so ohne Probleme erweitern konnte. Dies tat ich mit zwei einzelnen Puppenzimmern, einem Puppenbad, welches man - Schande über den Architekten - im Haus vergessen hatte, sowie einem alten Schulzimmer inklusive Schulbank, Tafel mit Kreide und Lehrerpult. Selbstverständlich erhielten die Kinder des vornehmen Hauses ausschließlich Privatunterricht. Zur Freude aller Kinder, die an dem Puppenhaus mitspielen durften, besaß das Bad an der Außenwand zwei große Wassertanks. Diese konnte man mit Leitungswasser füllen und dann die kleine Wasserhähne über Wanne und Waschbecken aufdrehen, aus denen jetzt das Wasser wieder herauslief. Außerdem gab es ein echtes kleines Klo, bei dem man den Deckel hochklappen und an der Spülung ziehen konnte. Auch wenn ich alleine wenig mit den Puppen spielte, beschäftigte ich mich doch Stunden damit, das Haus umzuräumen, zu dekorieren und mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten auszustatten. Ich fertigte aus alten Fellen Teppiche, aus Stoffen Gardinen und Vorhänge für die Rundbogentüren an der Balkonseite, malte Bilder zum Aufhängen und bastelte kleine Faltbücher für die Puppenbildung. Mein Cousin bastelte ein Batteriereservoir für verschiedene Lampen mit echten kleinen Glühbirnen, die man an und wieder ausschalten konnte. Das Wohnzimmer in der zweiten Etage, mit einer riesigen Fensterwand und einer davor befindlichen Blumenbank ausgestattet, aus der bunte Plastikblumen sprossen, besaß sogar einen Fernseher, und zwar einen, in dem man tatsächlich etwas sehen konnte, allerdings nur, wenn man ihn an das Auge hielt. Es war nämlich ein Touristenmitbringsel, das mir einmal geschenkt wurde, mit einem kleinen Guckloch. Wenn man auf einen kleinen Knopf an der Unterseite drückte, konnte man im Fernseher selbst diverse Bilder von feschen Schwarzwaldmädels sehen. Ok, vielleicht war das Fernsehprogramm etwas einseitig, aber doch weit fortschrittlicher als in manch anderer Puppenstube. Unter dem Wohnzimmer lag das Schlafzimmer, in ihm befand sich auch die Eingangstür des Hauses. Es ist zwar sicher etwas ungewöhnlich, sich nach dem Eintritt sofort im Schlafzimmer zu befinden, aber die breiten Puppenbetten brauchten einfach viel Platz und es schien auch keinen der Bewohner wirklich zu stören. Über das gesamte Haus verteilt waren witzige kleine Dinge, wie winzige Haarbürsten, bunte Schalen, klitzekleine Weinflaschen, Wanduhren, in der Küche waren die Schränke voll mit winzigen Tellern, Tassen und Kännchen, sogar Eßbares gab es, wie kleinste Käseecken und Brote. Dies alles wurde von einem Porzellan-Bernhardiner beschützt, dem Hund des Hauses, der einstmals aus einer Glasvitrine dorthin umgezogen war und schon leicht angeschlagene Pfoten hatte. Und auch ein Eichhörnchen durfte nicht fehlen. Das Plastiktierchen fand seinen Platz auf dem Balkon. Dies war das erste eigene Haus in meinem Leben und wird wohl das einzige bleiben.

Mittwoch, 2. April 2008

Hörgeschichten

Mit den unerforschlichen Weiten der Radiofrequenzen kam ich zum ersten Mal während einer Krankheit in Berührung. Radio kannte ich bisher nur aus den Nachmittagsstunden im Wohnzimmer oder dem Arbeitszimmer meines Vaters. Dieser hörte regelmäßig SFB und Deutschlandfunk, meistens Jazz- oder Swingsendungen. Nachmittags, wenn meine Mutter nach Hause kam und wir oft am Tisch saßen, um gemeinsam Tee zu trinken, lief stets Swing. Eines Tages, ich musste das Bett hüten, war jedoch nicht krank genug, um mich nicht zu langweilen, stellte mir meine Mutter, nebst dem Pfefferminztee, ihr wenig benutztes Kofferradio aus der Küche neben das Bett. Dieses lief auf Batterien, war ein echter Plärrer und besaß eine Antenne, sowie zwei große Knöpfe, einen für die Lautstärke und einen für die Sender. Nun beschäftigte ich mich durch Drehen an letzterem den ganzen Tag damit, interessante Neuigkeiten, kurzweilige Geschichten und schöne Musik zu finden.

Meine Mutter überredete meinen Vater, daß ich ein eigenes Radio bekommen sollte, was in der Praxis dann so aussah, daß ich einen uralten 50iger Jahre Weltempfänger, den er noch irgendwo in einer Rumpelkammer aufgehoben hatte, in das Zimmer gestellt bekam. Mit diesem empfing ich weniger Sender, als mit dem Kofferradio, aber er hatte den unschätzbaren funktionalen Vorteil, so riesig zu sein, daß man darauf Vasen und anderen Nippes abstellen konnte. Trotzdem war er für mich damals ungefähr so eine Attraktion wie für heutige Kinder ein eigener Fernseher (den ich nie besaß) oder ein eigener Computer (die es damals noch nicht gab). Ich frönte mit Eifer dem Frequenzenerforschen und dem Heben von Rundfunkschätzen, von denen ich vorher nicht wußte, daß es sie gibt. Natürlich war dieses Radiogerät im Vergleich zu denen, die andere Kinder in der Klasse besaßen, ein Witz, aber immerhin, in einer Zeit als die privilegiertesten Mitschüler schon einen Walkman besaßen, hatte sich meine Mutter so weit durchgesetzt, daß mich aus dem Westen ein Paket in Form eines Radioweckers ereilte. Dies war nicht das erste, denn einige zuvor hatte mein Vater schon in Gebrauch oder in Aufbewahrung genommen, so daß ich bei einem Besuch des entsprechenden Spenders wahrheitsgemäß auf die Frage, wie mir mein neuer Radiowecker gefalle, antworten mußte, daß ich gar keinen besäße, da mein Vater die alle habe. Der nächste, der geschickt wurde, kam dann an und landete neben dem Weltempfänger. Im Grunde war der Radiowecker nicht viel anders, nur sehr viel kleiner, und er konnte, was der Name schon sagt, mit Radio wecken, was mich wenig begeisterte, so wie alles, was mit Wecken zu tun hat. Auch heute noch ertrage ich eher selten am frühen Morgen Musik oder Radio. Aber er besaß außerdem so eine geniale Sleeptaste, was bedeutete, man konnte abends Radio hören, ohne daß dieses die ganze Nacht plärrte, wenn man dabei einschlief. Es wurde nun zu einem regelmäßigen Ritual vor dem Einschlafen noch Musik oder bestimmte Rundfunksendungen zu hören. Unvergessen bleibt der Donnerstag, denn Donnerstagabend lief im Ostfunk eine humoristische Spaßsendung, die bewirkte, daß ich, vollkommen untypisch, schon um 21 Uhr freiwillig im Bett lag. In dieser Sendung wurde besonders gerne der Hit „Ich bin der letzte Kunde und immer noch nicht blau“ gespielt, aber ansonsten war sie wohl weniger komisch, als ich erhoffte, denn in der Regel war ich in weniger als einer halben Stunde eingeschlafen, obwohl die Sendung über zwei Stunden lief.

Mit dem Donnerstag verknüpfe ich überhaupt sehr spezielle Erinnerungen an das Hören und die Körperpflege. Das liegt daran, dass der Donnerstag väterlich verordneter Badetag war. Mein Vater pflegte sich an diesem Tag hingebungsvoll und auf sehr spezielle Weise der Körperpflege zu widmen. Und weil es deshalb der einzige Tag war, an welchem der Gasheizer im Bad angeschmissen wurde, in welchem sonst im Winter so um die 10 Grad herrschten, wurde dieser Tag möglichst von allen Familienmitgliedern ebenfalls dazu genutzt, zumal es auch ungern gesehen wurde, wenn man an anderen Tagen das Bad blockierte. Als ich mich noch nicht wehren konnte, wurde ich dabei in das benutzte Badewasser meines Vaters gesteckt (Hatte ich schon erwähnt, dass mein Vater sehr sparsam war?), aber irgendwann weigerte ich mich und erklärte meiner Mutter, dass ich neues Badewasser wolle. Mein Vater nahm dies mit einem Donnerwetter, tausend Beteuerungen, dass sein Badewasser nicht dreckig sei, ich aber viel zu verwöhnt, zur Kenntnis und fügte sich schließlich kopfschüttelnd meinem unverschämten Eigensinn. Ab da badete er immer sehr viel später, was dazu führte, dass in diesen Abenden kein Fernseher lief, der ebenfalls der alleinigen Verwaltung meines Vaters unterstand. Da er nicht nur badete, sondern hinterher auch noch lange „abdünstete“, was bedeutete, dass er sich bis über beide Ohren zugedeckt ins Bett packte – wozu das diente, ist mir verschlossen geblieben, aber wenn er eingepackt im Bett lag, hieß es immer „Papa, dünstet ab.“ – und sich später sorgfältig dem Pudern und Cremen widmete, blieb mehr als genug Zeit für meine Mutter und mich, endlich einmal im Wohnzimmer alte Schlagerplatten zu hören. Auch meine ersten Märchenplatten hörte ich immer Donnerstags, wenn mein Vater dadurch nicht gestört wurde. Als ich schon älter war, nutzte ich diese Zeit gerne, um die neuesten Charts im Wohnzimmerradio zu hören. Das war ungefähr zu der Zeit, als „Maria Magdalena“ von Sandra auf Platz 1 gelangte. Natürlich hatte meine Freundin schon längst einen Kassettenrekorder, wie es ihn damals aus DDR-Produktion gab und damit ich nicht die letzte ohne bliebe, sorgte meine Mutter dafür, dass ich zur Jugendweihe von den Großeltern und von ihr so viel Geld erhielt, um mir ebenfalls einen zu besorgen. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich meine eigenen Kassetten aufnehmen und abspielen, was ich auch fleißig tat. Das war zwar alles Mono, aber das RFT-Teil leistete mir trotzdem gute und treue Dienste bis weit nach der Wende und war von der Qualität sogar den ersten billigen Stereo-Recordern aus dem Westen überlegen, bis ich mir irgendwann die erste Sony-Minianlage aus selbst erarbeitetem Geld leisten konnte.

Sonntag, 7. Oktober 2007

Ich weiß, ich weiß,

aber ich habe als Kind tatsächlich geglaubt, eine Kartause sei eine adlige Dame, die diesen Titel trägt. Und die Kartause von Parma eine adlige Dame aus Parma. Das fand ich so langweilig (ich konnte adligen Damen und Romanen über sie noch nie viel abgewinnen), dass ich das Buch aus der Bibliothek meines Vaters nie angefasst habe. Bemerkenswert ist aber trotzdem, dass Stendhal diesen tausendseitigen Roman, wie sie auch Dickens schon bekehrten, in nur 53 Tagen verfasst hat.

Montag, 3. September 2007

Eine Reise nach Polen

Gerade denke ich an eine Reise in die Beskiden vor ca. 16 Jahren zurück. Das Besondere an dieser Reise war, dass wir dort bei Bekannten wohnten, bei denen meine Eltern schon einmal mit mir und meinem Bruder zu Besuch gewesen sind, als ich ungefähr drei Jahre alt war. Sie hatten die Leute über die Kirche kennengelernt, weil zwei Töchter von ihnen in dem Kirchenchor sangen, der in unserer Gemeinde gastierte.
Ich selbst kann mich von der ersten Reise nur an ein buntes Schaukelpferd erinnern, welches dort im Garten stand, und an die langen Haare meines Bruders, die ihm während der Zugfahrt, als er schlief, über das Gesicht fielen. Die vielen anderen höchst dramatischen Geschichten, die meine Eltern so gerne erzählen, sind mir nur vom Hörensagen bekannt (manchmal habe ich ja den leisen Verdacht, dass sie gerne ein wenig übertreiben), z. B. die, wie ich meinen Kopf in das schmiedeeiserne Gitter eines alten Brunnens steckte und ihn nicht mehr herausbekam, oder stundenlang an der Hand meiner Mutter mit meinen kleinen Beinchen über Geröll, Steine und durch ausgetrocknete Flußbetten stolperte, ohne zu murren und zu klagen (wenn da nicht schon meine Passion für das Wandern deutlich wird), wie meine Mutter mit mir auf einer offenen, klapprigen Seilbahn fuhr und immer Angst hatte, ich würde mich nicht richtig festhalten, durch den Bügel rutschen oder den Absprung nicht schaffen und noch einige mehr.
Meine Eltern hatten stets den Kontakt zu den Bekannten gehalten, ebenso der Cousin meiner Mutter, der ebenfalls evangelischer Pfarrer war und seine Cousine geheiratet hat (also nicht meine Mutter, sondern eine andere Cousine). Er war Pfarrer geworden, nachdem er durch Gott von seiner Schuppenflechte geheilt worden ist, wie er sagte, und da er im Westen lebte, organisierte er desöfteren Hilfslieferungen für die polnische Gemeinde.
Er fuhr leidenschaftlich gerne Auto und nach dem Fall der Mauer machte er gerne längere Ausflüge nach Polen.
Einmal kam er auf die Idee, meine Mutter und mich dorthin mitzunehmen. Meine Mutter war sofort begeistert, ich weniger, da ich mir schöneres vorstellen konnte, als mit meiner Mutter und meinem 70jährigem "Onkel" bei einer 83jährigen alten Frau zu wohnen. Ich befand mich gerade in meiner Diskophase, wo meine Lieblingsbeschäftigung tanzen und feiern war. Trotzdem redeten die beiden so lange auf mich ein, bis ich schließlich nachgab und den Koffer packte.
Die Fahrt in den kleinen Bergkurort war lang. Mein "Onkel", wie ich ihn immer nannte, obwohl er es nicht war, hatte eine Vorliebe zu Marsch- und Volkmusik, die er während der Fahrt ausgiebig genoß.
Bei dem kleinen Haus angekommen, das uns für eine Woche beherbergen würde, hatten wir nur kurz Zeit, um uns frisch zu machen, dann gondelte er uns gleich von Empfang zu Empfang. Ich weiß nicht, wen wir dort alles besucht haben, aber es waren jede Menge Häuser, die wir abklapperten, u.a. auch die Pfarrerin der Gemeinde. Diese öffnete extra den Gemeindesaal und überreichte uns zum Abschied noch jedem ein Gastgeschenk, mir einen riesigen folkloristischen Holzlöffel. Diesen benutze ich heute noch dafür, Farbe umzurühren, weil er so schön stabil ist.
Auch bei der alten, über 90jährigen Tante waren wir, welche allein in einem sehr dunklen Haus wohnte, - zumindest kam es mir sehr dunkel vor -, seit Jahren nur schwarz trug, aber einen äußerst lebhaften und neugierigen Eindruck machte. Bei einer anderen alten Tante, die uns in ihrem mit Häkeldecken ausgestattetem Zimmer empfing, und noch vielen anderen, an die ich mich nicht erinnere.
Glücklicherweise verstand ich mich mit der Tochter unserer Gastgeberin auf Anhieb sehr gut. Es war eine von den beiden, die bei uns in Berlin gewesen sind, und ihr Neffe, ein Jahr jünger als ich, hatte mit mir schon auf unserer ersten Reise zusammen gespielt. Beide, I. und ihr Neffe P., nahmen mich nun unter ihre Fittiche und versuchten mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und mir auch etwas jüngere Gesellschaft zu bieten. Da P. Englisch konnte, ging die Kommunikation relativ reibungslos vonstatten.
Zuallererst wollten sie mir die Seilbahn zeigen, mit der ich schon als kleines Kind gefahren war, woran ich mich aber nicht erinnern konnte. Onkel H. und meine Mutter kamen mit, allerdings weigerte sich mein Onkel strikt, mit der Seilbahn zu fahren und malte sämtliche Horrorszenarien aus, die dabei geschehen könnten. Auch meine Mutter ist extrem ängstlicher Natur, irgendwie ähnelten sie sich darin sehr stark - das scheint wohl eine erbliche Familienanlage zu sein -, und lehnte es ebenfalls ab, damit zu fahren.
Ich jedoch hatte durchaus Lust Seilbahn zu fahren als sie mich fragten, auch wenn das Teil ziemlich klapprig aussah, und wir einigten uns schließlich, dass die älteren Herrschaften unten auf uns warten würden.
Da dies eine Seilbahn ist, die nie richtig anhält, sprangen wir also auf und gondelten nach oben. Zum Glück hatte ich I. neben mir zu sitzen, die mir die Schutzvorrichtungen erklärte, denn aus irgendeinem Grund bin ich mit absoluter Blindheit geschlagen, wenn es um irgendwelche Einrichtungen wie Schutzbügel geht. Ich sehe sie einfach nicht, auch wenn sie mir direkt vor der Nase hängen, ja, schlimmer noch, ich komme nicht einmal auf die Idee, dass ich so etwas wie einen Schutz brauche. Deshalb kann ich nicht alleine Karussell fahren, denn wenn ich Pech habe, falle ich plötzlich aus der Gondel, weil ich diesen völlig witzlosen Stahlbügel, der da irgendwo sinnlos in der Gegend herumhing, nicht wahrgenommen habe.
Oben angekommen genossen wir die Aussicht, doch als wir wieder nach unten fahren wollten, krächzte die Seilbahn noch einmal laut und stand still. Die beste Gelegenheit um sich die ausgefeilten Horrorszenarios meines Onkels zurück ins Gedächtnis zu rufen. I. und P. gingen in die Station und fragten dort nach, wobei sie erfuhren, dass gerade Mittagspause sei und die Seilbahn erst wieder in einer halben Stunde fahren würde.
Na wunderbar! Da standen wir also auf dem Ausguck und überlegten, wie wir irgendwie Rauchzeichen nach unten geben könnten. Für uns war zwar alles klar, aber wenn ich an die Phantasie meines Onkels dachte, fürchtete ich doch, dass sie unten in Panik ausbrechen könnten. Und das alles wegen mir.
Endlich war die Mittagspause beendet und wir fuhren besorgt in das Tal hinunter. Die beiden standen mit steinernen Gesichtern noch immer an der Stelle, wo wir sie verlassen hatten, aber als ich sie schuldbewußt anlachte und ihnen erklärte, dass die Seilbahn Mittagspause gemacht hatte, überwog wohl ihre Erleichterung und sie lachten ebenfalls wieder, jedoch nicht ohne auszurufen, dass sie schon dachten es sei sonstetwas passiert.

Fortsetzung folgt (vielleicht)

Samstag, 7. Juli 2007

Meinen ersten wirklichen, echten Horror,

weit entfernt von albernen Wallace- oder Vampirfilmen, bescherte mir in meiner Kindheit der Roman "Das Durchdrehen der Schraube" von Henry James. Es war ein Buch aus der Bibliothek meines Vaters und natürlich las ich es heimlich, ohne zu wissen, was mich erwartet. Das Grauen kam dann auch langsam, aber gewaltig. Ich kann mich nicht an viel erinnern, allerdings werde ich nie die Atmosphäre vergessen, die es um mich herum aufgebaut hat und mir das Gefühl gab, mitten in der Handlung und an den Schauplätzen zu sein. Es muss also gut geschrieben sein, trotzdem werde ich es nicht noch einmal lesen, weil ich fürchte, dass es mich heute nicht mehr so beeindrucken würde wie damals und ich enttäuscht wäre. Es diente im übrigen als Vorlage für diverse Horror-Klassiker, die ich wohl alle mehr oder weniger gesehen habe und die durchaus ebenfalls sehr gruselig sind, dieses subtile Grauen jedoch, wie ich es beim Lesen des Buches erfahren habe und welches ohne jede Schockeffekte auskommt, konnte keiner der Filme auch nur im entferntesten erreichen.

Montag, 25. Juni 2007

Die Zeit der alten Männer

Während der Dienstzeit meines Vaters als Pfarrer gehörte über einige Jahre hinweg zu seinen Aufgaben die Leitung eines Männer-Bibelkreises, von uns kurz "Männerkreis" genannt. Zu diesem Männerkreis gehörten, abgesehen von meinem Vater, ca. zehn Männer im Alter ab 70. Ich weiß nicht mehr genau, wie oft dieser Bibelkreis stattfand, ich vermute, es war einmal im Monat, aber wenn er stattfand, dann, bis auf einige Ausnahmen wie Weihnachtsfeiern, in unserer Wohnung. Ich als Kind hatte bei dem Männerkreis natürlich nichts zu suchen, aber da ich ebenfalls in der Wohnung wohnte, blieb es nicht aus, dass ich die alten Herrschaften ab und zu begrüßen musste und einige Male durfte ich auch zu besonderen Anlässen, wie sie z.B. eine Feuerzangenbowle darstellte, bei der Zusammenkunft teilnehmen. Eigentlich war ich darauf nicht wirklich sehr erpicht, aber die Feuerzangenbowle wollte ich mir nicht entgehen lassen, zumal diese doch höchst selten bei uns auf den Tisch kam. Genaugenommen kann ich mich nur an zwei bis drei Male erinnern. Überhaupt hatte ich mit alten Männern nicht viel am Hut, trotzdem wurde ich regelmäßig genötigt, bunte Weihnachtskarten aus Servietten für sie zu basteln, immerhin wurde ich durch diverse zugesteckte Tafeln West-Schokolade dafür entschädigt. Der Männerkreis bestand aus einem harten Kern, der regelmäßig teilnahm, und einigen, die nur sporadisch vorbeischauten und an die ich mich deshalb nicht mehr erinnern kann. Der harte Kern bestand zuerst aus dem "Leitwolf", der gleichzeitig der Jüngste war und noch dazu ein Clown - also kein echter Clown, aber eben immer zu Scherzen aufgelegt. Sein Sohn, ungefähr gleichaltrig mit mir und in meine Christenlehregruppe gehend, war ganz sein Vater und "Klassenkaspar". Heute ist er übrigens Konditor. Desweiteren gehörte zum harten Kern ein älterer Herr, der in seiner Wohnung wertvolles chinesisches Porzellan sammelte. Mein Vater nahm mich einmal zu einem Hausbesuch mit, außer Unmengen chinesischen Vasen gab es dort einen Porzellanchinesen gegenüber der Eingangstür, der mit dem Kopf nicken konnte, wenn man ihn anstubste. Es gibt ein Märchen von Andersen, das mich immer an diesen Porzellanchinesen erinnert, nämlich "Die Hirtin und der Schornsteinfeger".
Diese beiden Herren sind mir am stärksten in Erinnerung geblieben und ich kenne noch ihre Namen.
Der Bibelkreis war keineswegs so fromm, wie er sich anhört. Zwar wurden anfangs einige Bibelstellen und -sprüche vorgelesen, doch mit fortgeschrittenem Abend wurde es dann lustiger, es wurden Witze gerissen, geplaudert, Cocktails geschlürft, die mein Vater ab und zu mixte, oder es gab halt sogar mal eine Feuerzangenbowle. Irgendwann begann das Ende dieses Männerkreises. Es begann mit dem Abend, als einer der alten Herren schon krank bei uns ankam. Er klagte darüber, dass ihm nicht gut sei, auf der Couch sitzend übergab er sich und als schließlich der Notarzt kam und ihn abholte, verstarb er auf dem Weg ins Krankenhaus. Meine Eltern wunderten sich, dass er sich noch bis zu uns geschleppt hatte, denn es muss ihm vorher bereits nicht sehr gut gegangen sein. Natürlich habe ich davon nur aus ihren Erzählungen erfahren, denn ich lag zu dieser Zeit schon im Bett. Da mein Zimmer jedoch genau gegenüber der Wohnungstür lag, konnte ich an diesem Abend lange nicht einschlafen, weil es ständig klingelte, viele fremde Stimmen zu hören waren und es ein dauerndes Hin und Her zwischen Wohnzimmer und Eingangstür gab. Jetzt waren es nur noch neun. Der nächste war der alte Herr mit dem Porzellanchinesen. Er erhängte sich am Fensterkreuz seiner Wohnung. Meist hielt mein Vater auch die Beerdigung der Verblichenen ab, doch irgendwann gab es mehr Beerdigungen als Männerkreise. In dieser Weise ging es weiter, bis nur noch zwei übrig waren und der Männerkreis aufgelöst wurde. Immer mal wieder denke ich an die Zeit der alten Männer zurück.

Wenn ich es mir überlege, gab es in meinem Leben nur einen alten Mann, den ich wirklich sympathisch fand und das war mein Großvater väterlicherseits. Ich weiß nicht, warum ich ihn sympathisch fand, denn eigentlich hat er nie mit mir gesprochen, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Dies lag zum einen wohl daran, dass ich spät geboren wurde und er früh starb, so dass dazwischen nur dreizehn Jahre lagen, in denen man sich aber nur alle zwei Jahre sah, da es weder meinen Großeltern, noch meinem Vater leichtfiel zu reisen, zum anderen hatte ich aber bereits in meinen ersten Erinnerungen an meinen Großvater den Eindruck, als hätte er eine gewisse Scheu vor mir, obwohl er selbst drei Kinder großgezogen hatte. Ich sehe ihn noch stumm auf dem Sofa in ihrer kleinen Stube sitzen, während ich mich auf dem Teppich mit der Spielkiste beschäftigte. Und auch als ich zwischen meinen Großeltern im großen Ehebett schlief, kann ich mich nicht erinnern, dass er etwas zu mir gesagt hätte. Nur dass er sehr kalte Füße hatte, worauf mich meine Großmutter lachend hinwies. Vielleicht war er ja schüchtern oder er interessierte sich nicht für Kinder. Oder vielleicht war es auch mein Neptun auf seiner Sonne und seinem Merkur, der mich für ihn nicht fassbar machte. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass er mich nicht mochte. Da ich als Kind ebenfalls sehr schüchtern war und nie fremde Erwachsene von alleine ansprach - fremd waren für mich fast alle außer meine Eltern - , kamen wir nie zusammen. Und trotzdem, selbst heute finde ich ihn auf Fotos noch sehr sympathisch und auf manchen von ihnen sehe ich außerdem eine andere, ausgelassene Seite an ihm, die ich nie persönlich kennengelernt habe. Ich berichtete bereits einmal, dass mein Großvater Gedichte geschrieben hat, zumindest bis zu seiner Heirat. Danach ist ihm das Dichten anscheinend vergangen. Mein Vater hat mir einmal das Heft mit seinen Gedichten gegeben und vor allem dieses eine, das im Refrain immer lautet: "Mein Mädchen hört ich singen", womit wahrscheinlich meine Großmutter gemeint ist, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Auch mein Vater hat früher Gedichte geschrieben, zumindest behauptet er dies, ich habe aber noch nie eines von ihm gelesen. Irgendwie scheine ich die väterliche Linie meiner Familie weiterzuführen, während mein Bruder ganz nach der mütterlichen und weiblichen Seite kommt. So kann es gehen.

Montag, 28. Mai 2007

Etwas, was ich meinem Vater doch

irgendwie übel nehme, zumindest bei jedem Gewitter, ist der Spaß, den er daran hatte, mir mit irgendwelchen Erzählungen Angst zu machen, z.B. denen über Kugelblitze. Jedesmal, wenn es gewittert und ein Fenster steht offen, stelle ich mir vor, wie ein Kugelblitz hereingerollt kommt, an mir vorbei - hoffentlich - und sich in meinem Zimmer umsieht. Wobei Kugelblitze keine Erfindung sind - die gibts wirklich, siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Kugelblitz.
Ich bin schon froh, dass ich keine Phobie vor Krokodil-Handpuppen habe. Damit hat er mich nämlich auch immer erschreckt. Oder einem Menschenfresserbild in einem seiner Bücher.

Donnerstag, 3. Mai 2007

Sprüche meines Lebens

Durch Xchens Eintrag dazu angestiftet, suchte ich, neugierig geworden, meinen Tauf- und Konfirmationsspruch heraus. Ein Poesiealbum habe ich nie besessen, da ich es nicht besonders erstrebenswert fand, mir von anderen immer dieselben Sprüche irgendwo reinschreiben zu lassen und die meisten Einträge hätte ich sowieso nie ersammelt. Ich fand es auch stets ätzend, in die Poesiealben von anderen Kindern etwas schreiben zu müssen. Also gibt es in meinem Leben nur zwei Sprüche.
Der Taufspruch lautet:

Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. Römer 5,5b

Diesen Spruch finde ich sehr schön, schade nur, dass er mir nicht eingefallen ist, als so ein Seelenfängerretter mir erzählen wollte, dass der heilige Geist ausschließlich auserwählte, bibelgläubige Personen "bewohnt". Dass der Spruch in der Bibel steht, hat zwar nicht unbedingt etwas zu bedeuten, aber wenn mit Bibelsprüchen geschossen wird, sollte man scharf mit Bibelsprüchen zurückschießen, die Welt ist eben ein großer Kindergarten und manche verstehen es nicht anders.

Mein Konfirmationsspruch lautet:

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. Micha 6,8

Dieser Spruch gefällt mir sehr viel weniger, was zum einen daran liegt, dass es mir relativ egal ist, was irgendjemand von mir fordert, zum zweiten frage ich mich, warum uns gesagt werden muss, was gut ist, wenn wir doch gerade deshalb, WEIL wir eben vom Baum der Erkenntnis gegessen haben und so selbst gut von böse unterscheiden konnten, aus dem Paradies gejagt wurden, und zum dritten ahne ich sehr genau, warum mein Vater gerade diesen Spruch ausgesucht hat, denn ich war immer sehr aufmüpfig ihm und seinen totalitären Herrschaftsansprüchen gegenüber, nur blöd, dass er dabei übersehen hat, dass er als Verkünder Gottes nicht Gott selbst ist.

Bei dieser Gelegenheit ist mir ebenfalls wieder der dicke Stapel von Glückwunschkarten zu meiner Geburt in die Hände gefallen, welche mir meine Eltern irgendwann überreicht haben und die ich seitdem aufhebe. Allerdings ist es ein eher unangenehmes Gefühl, das mich beschleicht, wenn ich diese vielen Karten und Briefe anschaue. Zum einen kenne ich die meisten Schreiber gar nicht und zum anderen macht es mich nachdenklich, dass sie alle so freudig und hoffnungsvoll klingen. Ich frage mich, ob ich nicht viele der glücklichen Erwartungen, die mit meiner Geburt verknüpft waren, enttäuscht habe - die Erwartung meiner Großeltern an ein herziges Enkelkind, die Erwartungen diverser entfernter Onkel, Tanten und sonstiger Verwandten, an ein beliebtes und kommunikatives Familienmitglied, die Erwartungen der Gemeinde an ein sittsames und gewinnendes Pfarrertöchterchen und so fort. Ich war schon als Kind schwer zu lieben, weder herzig noch anschmiegsam, sondern scheu, teilweise auch wild und naseweis, und die meisten Erwachsenen auf Distanz haltend. Ich kann nichts dafür, dass ich so geboren bin und ich kann auch nichts für die Erwartungen anderer, aber wenn man sich überlegt, was für eine Last von Erwartungen, Wünschen und Vorstellungen auf einem neugeborenem Leben liegt, ist es fast erstaunlich, dass man dabei noch groß werden kann.