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Das vergessene Poesiealbum

Freitag, 9. Oktober 2009

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Es ist ein fades Städtchen, überall trifft mann auf leeren Schein, kleinlichen Betrug und Aufgeblasenheit, aber die Bäder sind gut. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, und sie waren sich alle darin einig. Drei Jahre lang hatte ich dauernd rheumatische Schmerzanfälle, aber der letzte verschwand, nachdem ich vierzehn Tage dort gebadet hatte, und ich habe seither nie wieder welche durchgemacht. Ich glaube fest daran, daß ich meinen Rheumatismus in Baden-Baden gelassen habe. Er steht Baden-Baden gern zur Verfügung. Es war wenig, aber mehr hatte ich nicht zu geben. Ich hätte gern etwas Ansteckendes zurückgelassen, aber das lag nicht in meiner Macht.
(aus "Bummel durch Europa" von Mark Twain)

Montag, 5. Oktober 2009

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Wie sind wir nur auf die Idee gekommen, die Deutschen seien ein stures, phlegmatisches Volk? Tatsächlich sind sie weit davon entfernt. Sie sind warmherzig, gefühlvoll, impulsiv, begeisterungsfähig, beim zartesten Anstoß kommen ihnen die Tränen, und es ist nicht schwer, sie zum Lachen zu bringen. Es sind wirklich Kinder des Impulses. Im Vergleich zu den Deutschen sind wir kühl und verschlossen. Sie umarmen und küssen sich, weinen, jubeln, tanzen und singen; und wo wir einen liebenden, kosenden Ausdruck anwenden, verströmen sie gleich zwanzig. Ihre Sprache ist voller zärtlicher Diminutive; nichts von dem, was sie lieben, entgeht der Anwendung einer kosenden Verkleinerungsform - weder das Haus noch der Hund, noch das Pferd, noch die Großmutter, noch irgendein anderes Geschöpf, ob beseelt oder unbeseelt.
(aus "Bummel durch Europa" von Mark Twain)

Mittwoch, 30. September 2009

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Man glaubt, Heidelberg - mit seiner Umgebung - bei Tage sei das Höchstmögliche an Schönheit; aber wenn man Heidelberg bei Nacht sieht, eine herabgestürzte Milchstraße, an deren Rand jenes glitzernde Sternbild der Eisenbahn geheftet ist, dann braucht man Zeit, um sich das Urteil noch einmal zu überlegen.
(aus "Bummel durch Europa" von Mark Twain)

Montag, 28. September 2009

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Wer die Welt beherrscht, weiß aus täglicher Erfahrung, daß es in ihr nicht mit rechten Dingen zugeht, daß die Verquickungen der Geschehnisse nicht von ihm abhängen, daß er ein Spielball geheimer Kräfte und Gegenkräfte ist, die nach Anbetung und Opfer verlangen und immer wieder verlockt oder ausgesöhnt werden müssen. Ob die Kugel eines Attentäters trifft oder nicht, das hängt weniger von der Ballistik ab als von jenen Mächten, mögen sie ein dreieiniger Gott sein oder der Wille der Gestirne. Nur ein Herrscher erlebt es, wie sehr er außerhalb des erkannten Naturgesetzes steht, das heißt, inmitten des Wunders. Darum ist der Glaube der Könige und der Gewaltigen seit eh und je der Aberglaube...
(aus "Das Lied von Bernadette" von Franz Werfel)

Samstag, 26. September 2009

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Das Zimmerchen, das Bernadette bewohnt, ist kahl, winzig, weiß getüncht, geht aber auf den Garten hinaus. Sie kann, wie sie es liebt, halbe Stunden lang am Fenster sitzen und völlig sinnverloren auf die Baumkronen starren. Dann und wann wird sie bei diesem gedankenvoll gedankenlosen Müßiggang überrascht, der für einfältige Beobachter unverständlich und daher aufreizend ist. Ein leerer Kopf hält's nämlich nicht aus, wenn er nicht jederzeit alle Hände voll zu tun hat.
(aus "Das Lied von Bernadette" von Franz Werfel)

Freitag, 25. September 2009

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Das Göttliche ergreift das ganze Wesen dessen, den es begnadet. Das Dämonische will es sich leicht machen und wählt daher unsre Talente, um sich einen Eingang zu bahnen. Die krankhafte Eitelkeit aller Talentierten hat darin ihren Ursprung.
(aus "Das Lied von Bernadette" von Franz Werfel)

Samstag, 19. September 2009

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Und dann übermannte auch ihn die Erschöpfung, die Lider fielen ihm zu, und er entschlummerte. Sein Kopf sank herab, seine Wange berührte die seiner Freundin, die mit der Stirn an seiner Schulter ganz sanft schlief. Sein Haar floß in das ihre über, in ihr herrliches goldenes Haar, das sie halb gelöst hatte; und sein Gesicht badete in der schimmernden Flut, und aus deren Duft stiegen ihm köstliche Träume auf.
(aus "Lourdes" von Emile Zola)

Samstag, 12. September 2009

Die Priesterin

Nachdenklich nickt im Dämmer die Pagode...
Daneben tritt aus ihres Hauses Pforte
T'ang-ku-ei-i, die Hüterin der Orte
vom krausen Leben und vom grausen Tode.

Aus ihrem Munde hängt die Mondschein-Ode
Tang-Wangs, des Kaisers, mit geblümter Borte,
in ihren Händen trägt sie eine Torte,
gekrönt von einer winzigen Kommode.

So wandelt sie die sieben ängstlich schmalen
aus Flötenholz geschwungenen Tempelbrücken
zum Grabe des vom Mond erschlagnen Hundes -
und brockt den Kuchen in die Opferschalen -
und lockt den Mond, sich auf den Schrein zu bücken,
und reicht ihm ihr Gedicht gespitzten Mundes...


(Christian Morgenstern)

Donnerstag, 10. September 2009

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Im Islam besitzt der Teufel blaue Augen...
....Die Araber sehen grundsätzlich in blauen Augen ein böses Zeichen...
....Auch unsere Kultur kennt die dämonischen blauen Augen: In der Magie und im Volksglauben des Nordens sagt man, dass Männer, die mit Wasserwesen schlafen, Kinder mit leuchtend blauen oder wasserblauen Augen zeugen. Bisweilen ist zu lesen, dass das gesamte Geschlecht der Blauäugigen aus der Verbindung von Nixen und Menschenmännern stammt.

(aus "Das große Buch der Farben" von Klausbernd Vollmar)

Donnerstag, 3. September 2009

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Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet, dass ich dir lobsinge und nicht stille werde.
(Psalm 30)